Von der leidigen Familienräson
Das Oberhaupt der Familie vom Blautann schickt eine Botin an seine Base, die Ritterin von Natternhag.
Ort: Baronie Urkentrutz, Rittergut Natternhag
Dramatis Personae:
Griffpurga Praiona von Halberg (Landritterin der Nordmarken, Junkersgemahlin von Leuengrund)
Luitgard Praioberga von Züchtelsen (Griffpurgas nordmärker Knappin)
Gormla vom Blautann (Ritterin von Natternhag)
Nihal saba Mozon (Reitersöldnerin aranischer Herkunft, Lebensgefährtin der Ritterin vom Blautann)
Nahe des Blautanns, Efferd 1042 BF
Zwei Reiter schälten sich aus dem Morgennebel im Schatten des finsteren Blautanns. Die Pferde waren von edlem Geblüt - links ein braunes Elenvina Vollblut mit dem Brandzeichen des herzoglichen Marstalls zu Elenvina, zur rechten ein Dunkelfuchs, die als Boronsmären bekannt waren. Auch die beiden Frauen auf den Rücken dieser Tiere waren edel adjustiert. Die Ältere auf dem Rücken des Braunen trug eine feste Steppweste in Rot und Gold, dazu schwarze Beinlinge und leichte Stiefel. Ihre dunkelblonden Haare hatte sie zurückgebunden und hochgesteckt. Das Mädchen neben ihr, sie mochte in etwa 15 Götterläufe zählen, trug Hosen und Weste in schwarz mit goldenen Stickereien. Ihr langes rotbraunes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten. Obwohl sie dermaßen jung an Jahren war, schien sie bereits größer gewachsen, als ihre deutlich ältere Begleiterin, die eher klein und zart war.
Griffpurga von Halberg seufzte ob der herrschende Frische, die gepaart mit dem feuchten Nebel noch etwas unangenehmer war als sonst. Es war eines jener Dinge, an die sie sich wohl nie würde gewöhnen können. Über zwanzig Sommer war sie nun schon in den Bärenlanden. Sie, die Tochter eines Inquisitors und einer Hochgeweihten des Götterfürsten, mit dem die Menschen in der Mittnacht eher weniger anfangen konnten. Sie, der Abkömmling aus einem der wahrscheinlich mächtigsten Baronshäuser der Nordmarken, das gegenwärtig so tief gefallen war. Hielt man vor 30 Götterläufen, unter Kaiser Hal, für kurze Zeit sogar zwei Titel im Grafenrang, so beschränkte sich der Besitz der Familie gegenwärtig auf das Schlösschen Gehrheim im Umland Elenvinas, auch wenn ihre Cousine Linai das einflussreiche Amt der Stadtvögtin von Rommilys innehatte. Sie, die von Herzog Jast Gorsam vom Großen Fluss zur Ritterin geschlagen wurde und sich dann dem verfemten ´Hilfszug´ in die Bärenlande anschloss, für den ihre Landsleute hier noch heute schief angesehen werden. Und dennoch bereute sie es nicht, damals den Schritt hierher gewagt zu haben, mit dem sie sich auch weit unter die Erwartungen ihrer Familie begab. Bärwulf war das Beste, das ihr in ihrem Leben passiert war und ihre drei gemeinsamen Kinder liebte die Ritterin über alles.
“Wie weit ist es noch, Euer Wohlgeboren …”, die Stimme neben ihr riss Griffpurga aus ihren Gedanken. Sie wandte sich der Urheberin jener Worte zu. Lange war Luitgard noch nicht an ihrer Seite. Die Pagenschaft hatte das Mädchen, wie sie selbst auch, in der Obhut eines Ordens der Praioskirche abgeleistet und für die Knappschaft hatte ihr Großvater, der Junker von Kerbelberg am Großen Fluss, die glorreiche Idee, die Ärmste zu ihr nach Weiden zu schicken, um die Bindung der Familien zu stärken. Ins Land Rondras, mit der wiederum einige Nordmärker nichts anzufangen wussten - vor allem jene, die einen sehr engen Bezug zum Götterfürsten hegten. Darunter befanden sich eben auch die Züchtelsens. Eine alte Familie, die einst von Priesterkaiser Aldec Praiofold II protegiert ihren Weg in die Nordmarken fanden und seit dieser Tage sehr eng mit der Kirche des Gleißenden verbunden waren. Die kommenden sechs Götterläufe würden für sie nicht leicht werden, soviel war klar, und es war ihre erste gemeinsame Reise.
“Nicht mehr weit”, gab die Halbergerin ihr zur Antwort, “hinter der nächsten Wegbiegung würden wir unser Ziel schon sehen … wenn …”
“Ja, der Nebel …”, fiel ihr Luitgard ins Wort und zwang sich zu einem Lächeln, was ihr missland und zu einer seltsamen Grimasse geriet.
“Genau”, Griffpurga richtete ihren Blick wieder nach vorne. Es kam öfter einmal vor, dass Bärwulf sie nach Natternhag schickte. Die Differenzen zwischen ihrem Gemahl und Gormla waren lange Jahre alt. Bärwulf kritisierte ihren Lebenswandel. ´Kein Mann, keine Kinder … und ein Haufen Viehzeug aus aller Herren Länder´, waren stets seine Worte. Dass sie eine Amazone war, störte ihn dabei zwar nicht, aber zumindest pro forma hätte sie heiraten und ein-zwei Kinder zeugen können. Die Halbergerin sprach ihm da nicht entgegen. Sie konnte beide Seiten verstehen. Gormla folgte ihrer Liebe und ihren Leidenschaften - genauso wie auch Griffpurga es getan hatte, als sie sich entschied hier in Weiden zu bleiben … und Bärwulf dachte so, wie ein Familienoberhaupt zu denken hatte. Er hatte den Fortbestand und den Machterhalt seines Hauses sowie das Bild der Familie im Sinn, genauso wie er es sollte und wie der Götterfürst und die gütige Mutter es erwarten.
Die eher belanglose Nachricht, die ihr Gemahl mitgegeben hatte, nahm sie zum Anlass ihre Freundin zu besuchen. Denn auch wenn das Verhältnis zwischen der Herrin von Natternhag und ihrer besseren Hälfte ein angespanntes war - Griffpurga mochte Gormla sehr. So versank die Landritterin wieder in ihre Grübeleien, als sie dann schließlich hin zu ihrem Ziel ritten.
***
Gormla von Blautann versuchte die Pferde zu zählen, die am Ende der Weide standen und grasten, doch der Nebel ließ nur ein Erahnen zu. Dicht hing die weiße Decke aus Wassertropfen über dem Blautann und dem kleinen Gehölz, dem Natternhag, der dem Gut seinen Namen gegeben hatte.
Die etwa einen Schritt und 65 Halbfinger große Gormla versuchte vor allem die beiden Firnponys zu finden, da es vor allem der Firnponyhengst Finnlun immer wieder schaffte unter dem Koppelzaun hindurchzutauchen und auszubüchsen. Sie drehte sich zu Nihal um, die gerade den Weg vom Gut zu den Weiden herabgelaufen kam und lächelte. Der geschmeidige Gang der 31 Winter zählende Söldnerin erinnerte die Weidener Ritterin an eine Gabelantilope. Die langen, staksigen Beine schienen sich im matschigen Boden der urkentrutzer Herbstlandschaft nicht wirklich zuhause zu fühlen. Wie elegant wirkten sie doch auf dem aranischen Steppenboden und wie deplatziert hingegen im Natternhager Schlamm, der jeden ihrer Schritte bremste und ungelenk wirken ließ. Die schmalen Hüften der fast 1 Schritt 80 Halbfinger großen, schlanken Frau mit der kaffeebraunen Haut und den schwarzen langen Locken schwangen verführerisch je weiter ihre Schritte ausgriffen.
Gormla seufzte. Sie hatte solch eine Glück diese schöne, exotische Frau an ihrer Seite zu haben. Die Blautannerin war bereits 44 Winter alt. 13 Winter älter als diese schöne, schlanke Antilope.
“Kannst du erkennen, ob Finnlun bei den anderen ist?”, rief Gormla ihrer Amazone zu.
Nihal entblößte große, weiße Zähne als sie lachende antwortete. “Ich fürchte bei dem Nebel kann ich ihn auch nicht mit Sicherheit von Fjanna unterscheiden. Wir müssen wohl auf die Weide gehen und nachsehen.”
Gormla nickte und begann unter dem Gatter hindurchzuklettern. Seit an Seit mit Nihal stapfte sie mit ihren Stiefeln und der alten, zerschliessenen Lederbruche, der warmen, gesteppten Weste und der Wollgugel über die unebene, tiefe Grasnarbe der Koppel.
Sie waren noch nicht weit gekommen als die bunte gemischte Herde aus Firnponys, Tobimora Falben, Aranierpferden und einigen Urkuzis unruhig die Köpfe hob. Die schienen Artgenossen zu wittern, denn Hannomar, der Leithengst der Gruppe, ein Aranier, wieherte begrüßend und zugleich warnend in die Richtung aus der Besuch kam.
“Oh, hörst du, Nihal? Wir scheinen Besuch zu bekommen. Unsere Rösser haben bessere Sinne als wir. Ich sehe noch niemanden, aber Hannomar scheint schon informiert zu sein, wer uns besuchen kommt. Lass uns zum Koppelzaun zurückgehen.”
***
Es dauerte nicht allzu lange bis sich die Gestalt des Turmes vor den beiden Nordmärkerinnen aus dem Grau des Nebels abhob. Griffpurga kannte das Gut sehr gut und sie wusste, dass sie bald die ersten, der hier allgegenwärtigen Weidenzäune erreichen würden. Insgeheim hoffte die Ritterin, dass man sie nicht für Orks oder Strauchdiebe hielt … ein Gedanke, der ihr ein Schmunzeln auf die Lippen zauberte.
“Luitgard, reite vor und kündige uns an …”, wandte sie sich an ihre Knappin, auf deren Antlitz sich ein wenig begeisterter Ausdruck legte, “... einfach den Weg hoch”, beantwortete sie dann eine noch nicht gestellte Frage.
Die Halbergerin musste schmunzeln als ihre Knappin vorneweg ritt. Zu den Aufgaben einer Schwertmutter zählte auch ihren Schützling herauszufordern. Die junge Luitgard war Pagin in einem Kloster des Praios - sie würde mit der Ritterin von Natternhag schon auskommen.
Als Gormla und Nihal aus dem Herrenhaus traten, konnten sie bereits das Hufgeklapper eines Pferdes hören, das sich nur wenige Herzschläge darauf offenbarte. Es war eine unbekannte, junge Frau mit streng geflochtenem rotbraunem Zopf in schwarzer Kleidung. Auf ihrer Weste zeigte sich eine goldene Stickerei in Form eines Richtrades, das von einer goldenen Hand gehalten wurde. Gormla rechnete damit, dass es sich dabei um ein Wappen handelte, doch konnte sie dieses nicht zuordnen.
“Die Zwölf zum Gruße, hohe Dame …”, hob die junge Frau an, nachdem sie sich aus dem Sattel geschwungen hatte. Dabei konnte die Ritterin deutlich hören, dass der gesprochene Dialekt mit Sicherheit kein Weidener war, “... Praios und Travia ihnen voran. Mein Name ist Luitgard Praioberga von Züchtelsen und ich kündige das Kommen meiner Schwertmutter Griffpurga Praiona von Halberg an. Wir bitten Euch im Sinne der gütigen Mutter um Aufnahme und Gastung.”
Mit dem Anheben der Augenbrauen, schoben sich drei Hautfalten auf Gormlas Stirn aufwärts in Richtung Haaransatz. Dann aber entwickelte sich daraus ein ehrliches Lächeln.
“Griffpurga? Oh wie schön! Hast du gehört, Nihal? Das ist aber mal eine schöne Überraschung an diesem trüben Efferdtag.”
Sie hielt Ausschau nach der Angekündigten. Als sie diese ob des dichten Nebelsgraus nicht sogleich erblickte, besah sie sich die Knappin genauer.
“Und du? Dem Vernehmen nach kommst du von weit her… Nordmarken? Richtig?”
Nihals Haltung mochte von Menschen, die sie nicht kannten, als Arroganz interpretiert werden. Doch wer die Aranierin besser kannte, der wusste, dass sie aus Erfahrung vorsichtig und eher zurückhaltend gegenüber Fremden war. In ihrer Heimat gab es ein Sprichwort: “In der Zeit der Prüfung fällt oder steigt eine Person”.
Erst nickte Luitgard der Hausherrin zu, dann lag ihr Blick auf der exotischen Frau an deren Seite. “Ja, Nordmarken …”, antwortete sie, ohne ihren faszinierten Blick von Nihal zu nehmen. “Ihre Wohlgeboren von Halberg kommt mit einer Nachricht ihres Gemahls.” Wenn sie in Weiden viel erwartet hatte ... eine solche Frau war bestimmt nicht darunter. Sie erinnerte die junge Züchtelsen an die Borongeweihte von Calmir in Rabenstein - ihre Hochwürden Marbolieb. Die war zwar keine Kriegerin, sah Nihal aber dennoch sehr ähnlich.
Das Geklapper von weiteren Hufen, riss die Knappin aus ihren Gedanken und verhinderte damit, dass deren Kinnlade noch weiter nach unten klappte. Die nun aus dem Grau des Nebels erscheinende Frau hatte ein breites Lächeln auf ihren Lippen und schwang sich sogleich aus dem Sattel ihres Elenvina Vollbluts. Die Ritterin war klein und zart gewachsen.
“Gormla ... “, meinte Griffpurga erfreut, “... was für eine Freude. Sei mir gegrüßt. Möge der Herr sein Licht auf dich und die Deinen leuchten lassen …”, sie blickte hoch in die Nebelsuppe und lachte kurz auf, “... auch du sei mir gegrüßt, Nihal. Es ist ja schon etwas her.” Die Junkersgemahlin sah sich um. “Wie ist es euch beiden ergangen?”
Gormla breitete die Arme aus um Griffpurga zu begrüßen. “Die Freude ist ganz auf meiner Seite! Möge Praios sein Licht auch auf dich und die Deinen Leuchten lassen. Uns erging es gut in der letzten Zeit. Die Pferdezucht macht Fortschritte und Nihal hat von ihrem letzten Auftrag in Almada ein wahrhaftig schönes Paar Caldaier Faulziegen mitgebracht, die unser kleines Tierasyl nun bereichern. Kommt mit, wir zeigen sie euch!”
Griffpurga lächelte und stieß dann ihre Knappin auffordernd in die Seite, als diese keine Anstalten machte, die kleine Gruppe zu begleiten. Der Halbergerin war bewusst, dass es auf Luitgard befremdlich wirken mag wie die Ritterin hier lebte. Die Züchtelsens waren alter, standesbewusster Adel aus vorpriesterkaiserlicher Zeit. Ein Tierasyl ließ sich mit dem Selbstverständnis dieses Schlags Adeliger nicht leicht vereinbaren. Griffpurga selbst fand die Marotte jedoch charmant. Warum nicht? Solange die Ritterin ihre praios- und rondragegebenen Pflichten nicht vernachlässigte.
Ohne eine Antwort abzuwarten drehte die Ritterin sich um und ging humpelnd auf einen der Ställe zu, die im Hof des Gutes standen. Eine Verletzung beim Heerzug gegen Haffax war nicht gut verheilt, so dass Gormla das linke Bein nachzog, wenn sie ging.
Das einfache, strohgedeckte Gebäude bot etwa 10 Tieren Platz, die momentan aber auf der Weidefläche davor faul herumlagen und gelangweilt den Frauen entgegensahen, die sich näherten.
“Siehst du sie? Dort drüben, die beiden da!”
Während Griffpurga lächelnd nickte und die Tiere betrachtete, rümpfte das rothaarige Mädchen an ihrer Seite die Nase.
Eine der Ziegen saß erkennbar in der Futterraufe, die zweite lag in ihrem Schatten, so dass sie aus der Entfernung kaum erkennbar war.
“Der Bock ist frech, er legt sich immer in die Futterraufe und verteidigt sie auch vehement gegen den Zugriff der anderen Ziegen. Ich muss ihn immer im Stall füttern, weil er den anderen nichts gönnt. Sobald alle gefüttert sind, kann ich ihn dann rauslassen. Und gleich bezieht er wieder seinen Lieblingsplatz…”
Lachend drehte Gormla die Pupillen nach oben. Als Nihal neben sie an den Zaun trat, kam Bewegung in eine der anderen Ziegen, die schon an ihrer Farbe wegen unverkennbar bornische Rußböckchen waren.
Die weibliche Ziege erschien am Zaun und stubste mit den Hörnern hörbar an das Holz. Nihal lächelte und begann das zottelige Fell zu streicheln. Die Ziege legte genießerisch den Kopf auf das Gatter und schloss die Augen.
Auch die Halbergerin griff ohne Scheu nach dem Fell des Tieres und streichelte es. Vor 20 Sommern wäre dies undenkbar gewesen. Sie, eine Hochadelige aus einer so reichen Provinz, die sich mit Viehzeug abgab. Doch die Zeit in Weiden veränderte sie. Sie lernte das Land zu lieben. Die Pflanzen … die Menschen … und die Tiere. Hier lebte man einen anderen Umgang mit der Natur als in ihrer und Luitpergas Heimat.
“Wo bekommst du die Tiere denn immer her, Gormla?”, fragte Griffpurga lachend. “Haben sich die Almadaner bei dir gemeldet, oder du dich bei ihnen? Möchtest du sie züchten, oder ihnen einfach nur einen schönen Lebensabend bereiten?”
Neben der Ritterin wich die Knappin ein-zwei Schritte zurück und verzog immer noch ihr Antlitz.
Gormla nahm die Hand vom Kopf der Ziege und streichelte stattdessen über den Arm ihrer aranischen Freundin Nihal. Dann lächelte sie verschmitzt.
“Nihal ist die reitende Tierretterin. Sie verbringt den Winter meist außerhalb Weidens, begleitet Händler oder verdingt sich als Söldnerin. Ihren Lohn oder Sold steckt sie dann in den Kauf seltener und ungewöhnlicher Tierrassen. Manchmal bekommen wir sie sogar geschenkt oder als Gegenleistung für ihre Dienste. Den Firnponyhengst habe ich beispielsweise von der Elfensippe der Einhornrufer geschenkt bekommen. Die almadaner Faulziegen sind jedoch ein Geschenk der Familie von Nihals Vater. Er war Almadaner.”
Die Ritterin sah wie die Knappin Griffburgas das Gesicht verzog. Sie missinterpretierte den Gesichtsausdruck. “Kommt, wir gehen hinein. Es ist doch recht kühl. Auf dem Weg zum Gutshaus erzähle ich euch noch, was für Tiere wir momentan halten.”
“Hast du gehört …”, die Halbergerin wandte sich ihrer Knappin zu, die daraufhin bloß knapp nickte, “... du wirst in ganz Weiden kein zweites Gut wie dieses finden.” Griffpurga war unter den Adeligen der Bärenlande nicht immer gut gelitten. Zu hoch soll sie ihre Nase tragen, auch wenn man der zierlichen Frau damit oft unrecht tat, war sie Nahestehenden gegenüber doch stets ein sehr herzlicher Mensch. Das wusste zwar Gormla, aber viele ihrer Standesgenossen sahen in der Junkersgemahlin bloß eine Nordmärkerin. Ja, die ´Besatzung´ durch Truppen Jast Gorsams - denen sie als Jungritterin damals selbst angehörte - während er zweiten Weidener Unruhen lag immer noch sehr schwer in manchem Weidener Magen.
Auch Luitgard musste diesen Umstand ab und an spüren. Sie kam der Aufforderung hinein zu gehen sehr gerne nach und fand die gezeigte Offenheit und auch Freundlichkeit der Gastgeberin erfrischend. “Wie lange lebt Ihr denn schon hier, Nihal?” Sprach sie im Gehen die Lebensgefährtin der Ritterin an.
Die Aranierin lächelte Griffpurga offen an. Sie hatte keine Scheu vor der Adeligen.
“Ich lernte Gormla vor gut 5 Wintern kennen und besuchte sie dann im Sommer hier auf Gut Natternhag. Ich verliebte mich, nun ja, sowohl in diese Idylle als auch in die Frau, die das geschaffen hat. Nun ja, seither verbringe ich jeden Sommer hier und verdinge mich in den Wintermonaten, um meinen Teil für unseren Traum beitragen zu können. Habt Ihr auch Tiere auf Eurem Hof, Wohlgeboren?”
Gormla griff die Hand der Aranierin und warf ihr einen verliebten Blick zu. Sie hörte zu was Griffpurga erwiderte.
Die Knappin nickte der exotischen Kriegerin bloß zu, galt die Frage ja ihrer Herrin. "Nur unsere Pferde und meine Katze …", die Halbergerin lächelte das Paar freundlich an, "... für mehr ist in unserem Stadthaus zu Nordhag auch nicht Platz. Unser alter Sitz nahe des Blautanns wurde vor einigen Sommern zerstört. Seitdem lebt mein Mann auf einem Gutshof in Gutharn und ich im Stadthaus der Familie.” Den fragenden Blick Nihals begegnete sie mit einem Lächeln. “Wir sehen uns regelmäßig. Ich liebe meinen Mann - immerhin hat er es auch geschafft, dass ich aus der Großstadt Elenvina in die Heldentrutz kam und es noch keinen einzigen Tag bereut habe.”
Nach Durchqueren des Torturms öffnete sich der ummauerte Bereich der Besitzungen Gormlas. Hier schien der Nebel nicht so dicht zu sein, aber womöglich täuschte das. Linker Hand, vor dem Durchlass in den gesondert ummauerten Bereich in dem sich das Gutshaus und der Turm befand, konnte man ein Backhaus und eine Schmiede sehen. Rechts von ihnen und überall entlang der Mauerinnenseite standen mehrere Ställe, alle aus einfachem Fachwerk in Lehmbauweise. Luitgard zählte 6 Ställe.
Die Gutsbesitzerin bog nach rechts ab und zählte auf.
“Hier im ersten Stall lebt das Federvieh. Wir züchten Hühner, Wachteln und Pfauen. Sehr ihr dort drüben das Prachtexemplar? Und tatsächlich stolzierte gerade ein Pfauenmännchen über den Hof. Als im Hintergrund seine Henne erschien mit zwei halbwüchsigen Küken, brachte er sich in Position und schlug ein imposantes Rad. Sie fühlen sich erstaunlich wohl hier, trotz der kühlen Witterung.”
Luitgard fand an den männlichen Pfauen am meisten Gefallen. Ein Vogel präsentierte den vier Frauen stolz sein Rad. Es war ein Tier, welches sie aus Bollharschen am Fuße des Eisenwalds nicht kannte. Dort gab es viele Rabenvögel und Krähen, aber keine solch farbenfrohe Exemplare.
“Meine Schwester Adda hat auch welche …”, warf Griffpurga dann erklärend ein und deutete auf den Pfau, “... und auch ein paar meridianische Paradiesvögel. Unser Onkel war einst der Protektor über das Gouvernement Südmeer und hat ein paar Mal exotische Tiere nach Kyndoch gebracht. Die schienen sich auch an das Wetter gewöhnt zu haben, obwohl wir sie im Winter nach drinnen bringen mussten.”
Auf dem eingezäunten Bereich um den Stall des Federviehs konnte man die Hühner und Wachteln beobachten, die fleißig pickten. Sofort fiel auf, dass es sich um verschiedene Hühnerrassen handelte. Es gab große und kleine Hühner, welche mit lustigen Federhauben und Federbüscheln um die Hühnerbeine, weiße, braune und schwarze Hühner. Jede Hühnerrasse hatte ihren eigenen Bereich und jeweils ein Gockel wachte über seine Hennen. Den Wachteln gehörte ein Gehege hinter dem Stallgebäude.
Weiter ging es. Das Gebäude daneben diente verschiedenen Kaninchen und Stallhasen als Bleibe, wenn sie nicht draußen auf der eingezäunten Wiese vor dem Gebäude herumhoppelten.
Im hinteren Teil des geschützten Bereichs des Gutes standen zwei weiter Ställe. Schon von weitem konnte man sehen, dass sich dort Schafe tummelten. Als sie näher kamen erkannte man schon deutlich die Unterschiede. Gormla zeigte der Reihe nach auf die verschiedenen Rassen, von denen es jeweils ein Elternpaar und ein oder zwei Jungtiere gab. “Eisenwalder Langohrschafe, Rundohrenschafe und das Albenauer Schwarznasenschaf.”
“Ah, die kenne ich”, meinte Luitgard und deutete auf die Langohrschafe. “Die gibt es bei uns zuhause in Bollharschen.”
Gormla freute sich. Jeder Tierliebhaber konnte sich ihrer Sympathie sicher sein.
Die letzte Gebäudegruppe, unweit des Turms, wo es auch einen kleinen Durchlass in der Mauer gab, der einem schmalen Pfad Einsass gebot, schien neben Tieren auch Menschen Obdach zu gewähren.
“Das ist das Haus des Gutsverwalters und seiner Frau. Sie kümmern sich um die Arbeiten hier mit den Tieren, gemeinsam mit einem Knecht und einer Magd. In den Ställen dort sind Schweine untergebracht. Selemferkel und Urkentrutzer Wühlschweine.”
Sie hätte es nicht sagen brauchen. Es war weithin zu riechen.
Gormla schien das gar nicht wahrzunehmen. Sie war so an die verschiedenen Ausdünstungen der Tiere und ihrer Exkremente gewöhnt.
“Allerdings sind die Wühlschweine meist auch in einem Außengehege, wo sie Zugang zum Wald haben. Nur die Selemferkel sind hier.”
Die junge Knappin verzog ob des vorherrschenden Odors ihr Gesicht, wiewohl sie selbst aus einer Gegend kam, wo die Menschen zuvorderst von ihren Weiden und der Viehzucht lebten. Dennoch versuchte sie sich zu konzentrieren. “Wie kam es eigentlich dazu, dass Ihr hier soviele Tiere auf dem Gut habt? Ihr züchtet auch, wenn ich das richtig verstanden habe, oder betreibt Ihr eine Art Gnadenhof?”, fragte sie die Ritterin.
Die Blautannerin zuckte mit den Achseln. “Nun, das ist irgendwie so gekommen. Zunächst habe ich mich einfach für Nutztiere interessiert und überall wo ich hinkam habe ich, neugierig wie ich bin, die Leute nach ihren Nutztieren ausgefragt. Meist hat man mir dann bereitwillig viel über die verschiedenen, manchmal seltenen Tierrassen erzählt. Und jedes Mal war ich von den Eigenschaften der Tiere beeindruckt und wollte sie am liebsten selbst besitzen. Naja, andere sammeln Schilde oder Schwerter, Schmuck oder Geschirr… ich eben Tiere. Eigentlich will ich Natternhag nicht als Gnadenhof betreiben, sondern lieber zur Erhaltung der seltenen und gefährdeten Tiere beitragen. Wann immer es uns gelingt, eine Tochtergeneration zu züchten, geben wir die Tiere weiter an unsere Eigenhörigen. Damit sie selbst eine kleine Herde aufbauen. Also sie bekommen ein Paar und dann hoffen wir, dass es im Laufe der Jahre wieder mehr werden.
Eine richtige Zucht haben wir eigentlich nur bei den Urkuzi-Kleinpferden aufgebaut.”
Nihal nickte bestätigend. “Wir sind ganz vernarrt in diese Pferdchen. Es sind ja noch nicht so viele, aber jedes besticht durch seine tollen Eigenschaften. Im kommenden Jahr wollen wir meine Stute Cassia von einem Aranier decken lassen, um zu sehen ob es für unsere Zucht besser ist, mehr Einflüsse der Aranier zu haben und im Jahr darauf werden wir es sicher noch einmal mit einem Ponyhengst versuchen. Es ist immer wieder spannend zu sehen, welche Eigenschaften sich durchsetzen.”
Luitgard hatte den beiden Frauen interessiert zugehört. Griffpurga nahm dies wohlwollend auf und hielt sich für den Moment aus dem Gespräch heraus. "Durch was zeichnen sich denn diese Urkuzi-Pferdchen besonders aus? Und habt Ihr in Weiden Abnehmer dafür?" Die Knappin dachte daran ein Tier aus kommenden Würfen zu kaufen und in die Nordmarken zu überstellen.
Gormla geriet ins Schwärmen. “Nun, die Urkuzis sind zäh und ausdauernd und sehr duldsam gegenüber Kälte, Regen und Wind. Sie können für ihre Größe durchaus schwere Reiter über weite Strecken tragen ohne zu erschöpfen. Das sind die positiven Eigenschaften, die sie von den Ponys geerbt haben. Von den Araniern haben sie den deutlich zierlicheren Körperbau und die Schnelligkeit. Mit einem leichten Reiter und über eine angemessen kurze Distanz können sie sehr schnell werden.”
Nihal nickte. “So ist es. Ich denke gerade für die klimatischen Verhältnisse hier in Weiden und überhaupt von den Salamandersteinen bis zum Ambossgebirge sind die Urkuzis eine ideale Züchtung.”
Den Faden wieder aufgreifend brachte die Blautannerin das Gespräch auf die Abnehmer.
“Wir haben uns noch gar keine Gedanken um Abnehmer gemacht. Also nicht wirklich, denn noch sind es ja nur wenige Nachkommen. Aber ich würde mich freuen, wenn ich andere Züchter dafür gewinnen könnte, Urkuzis zu züchten. Firnponys bekommt man ja nicht einfach so, aber vielleicht könnte man einen Versuch mit Ferkinaponys machen, denn Paaviponys sind einfach zu klein.”
“Ich komme ja aus dem Eisenwald, jenes Gebirge, das die Nordmarken von Almada trennt …”, plauderte Luitgard los, “... und ich denke, dass man die Urkuzis in höheren Lagen gut brauchen könnte.”
Gormla durchschritt die Mauer, die das Gutshaus und den Natternturm umgab. Der schlanke, runde Turm verfügte über eine hölzerne Außentreppe, die sich bis in schwindelnde Höhen um die Fassade wand. In der hintersten Ecke, die über dem Steilhang thronte, stand das Gutshaus, an das eine kleine Kapelle angebaut war. Wem sie geweiht war, konnte man auf den ersten Blick nicht erkennen.
Nachdem sie die schwere Eichentür aufgeschoben hatten, öffnete sich der Blick auf eine Holztreppe, die in den ersten Stock hinaufführte. Dort befand sich der Wappensaal, das Herzstück des Gutshofs. Ohne ein Wort über die Räume im Erdgeschoß zu verlieren, stapfte Gormla voran nach oben. Eine Magd erschien und ein Junge von etwa 12 Jahren, der sich beeilte, die Mäntel der Gäste abzunehmen.
Der Wappensaal hatte seinen Namen von einer Reihe Wappenschilde, die an der Schmalseite über dem offenen Kamin aufgehängt waren. Sie zeigten die persönlichen Wappen einiger Ahnen der Ritterin. Sonst waren die Wände eher karg ausgestaltet. Eine Täfelung aus dunklem Holz bot nur wenig Raum für Zierat.
In der Mitte des langgestreckten Saals stand eine mächtige Tafel mit einem guten Dutzend hochlehnigen Stühlen.
“Nehmt doch bitte Platz!”, bot die Hausherrin den beiden Frauen die Plätze direkt neben dem Ehrenplatz an der Schmalseite der Tafel an. Nihal setzte sich neben Liutgard.
Inzwischen erschienen schon die Magd und der Junge und brachten frisches Knoblauchbrot und zwei Krüge mit Wasser und Bier. Wie es sich für einen weidener Gastgeber gehörte, überreichte Gormla persönlich ihren Gästen das landestypische Schmalzbrot mit Knoblauch.
Mit einem Wink zu den Krügen fragte die Blautannerin. “Oder wollt ihr lieber was Warmes trinken? Ingunde macht auch einen hervorragenden Kräutertee oder Lupinenkaffee.”
Griffpurga lächelte der Ritterin dankbar zu. "Wir nehmen gerne, was aufgetragen ist. Hab Dank, Gormla." Mit diesen Worten griff die Halbergerin nach einem der Brote und reichte auch ihrer Knappin eines davon. Interessiert beäugte sie deren Reaktion, denn mit Weidener Bräuchen und der Weidener Küche konnte die junge Frau noch nicht allzu viel anfangen.
Und genauso benahm sich die Knappin auch, wiewohl sie einen Bissen von dem Knoblauchbrot machte und dann verlegen in die Richtung der Gastgeberin lächelte. Doch noch bevor dieses Gebaren zuviel Aufmerksamkeit erregen konnte, sprang Griffpurga ihrem Anhang zur Seite. "Es ist wunderschön hier, ihr Beiden …", lobte sie Gormla und Nihal, "... und ein jedes Mal, wenn ich hierherkomme, entdecke ich neue Wunder." Sie lächelte freundlich, wurde jedoch bald wieder ernst. Es gab ja schließlich einen Grund warum sie hier war.
"Wegen meines Besuchs …", die Ritterin zog das Schreiben ihres Mannes heraus, während Gormla das Gesicht verzog. Bislang war der Besuch so schön gewesen. Was musste Griffpurga nun die schöne Stimmung zerstören.
“...Bärwulf lässt euch beide schön grüßen." Sie stoppte und seufzte leicht. "Es geht darum, dass er dich noch vor dem Winter in Leuengrund sprechen möchte. Du sollst …", die Halbergerin machte kein Geheimnis daraus, dass sie nicht gerne den Boten spielte, "... dir überlegen, wen aus der Familie du als Nachfolger benennst, damit ihr diesen der Baronin vorschlägt. Er meinte, dass man sich nie früh genug darüber Gedanken machen kann." Abermals stoppte sie in ihren Ausführungen, doch schien es das noch nicht alles gewesen zu sein. "Darüber hinaus hätte er einen Knappen, den er dir gerne antragen würde. Firnwan Hadamar von Biberwald. Überlege es dir. Wenn du damit einverstanden bist dann stellt Bärwulf den Kontakt her und holt den Jungen für euer Treffen nach Leuengrund."
“O nein, nicht wieder die leidige Erbenfrage…”, die Gutsbesitzerin drehte die Augäpfel nach oben.
Sie warf einen Blick auf Nihal, der das Thema ganz offensichtlich unangenehm war. Die Aranierin stand auf.
“Entschuldigt bitte, ich wollte mir gerne etwas Bequemeres anziehen. Wenn ihr mich wohl einen Augenblick entschuldigen wollt?”
Als Nihal gegangen war, seufzte Gormla hörbar. “Er wird keine Ruhe damit geben, was? Was würde er wohl sagen, wenn ich eine gebürtige Aranierin adoptieren und zur Erbin erklären würde?”
In den Augen der Natternhager Ritterin funkelte es. Sie liebte es ihren Verwandten zu provozieren. Unterschiedlicher konnten die Lebenseinstellungen zweier naher Verwandter kaum sein. Dann aber entschied sich Gormla die Frage selbst zu beantworten.
“Ich weiß, dass das keine Option ist. Wäre es für mich auch nicht. Nihal ist meine Geliebte, ich möchte nicht meine Tochter aus ihr machen auch wenn sie um vieles jünger ist als ich. Aber ich habe keine richtige Lösung. Schon länger denke ich darüber nach ob ich adoptieren soll… aber es müsste jemand sein, der so denkt wie ich. Der die Tiere so liebt wie ich und der oder die mein Lebenswerk fortführt. So wie Nihal es täte ... wo soll ich so jemanden finden? Oder denkt Bärwulf gar, dass ich ihn als Erben einsetze?”
Der Blick, den sie Griffpurga schenkte war sehr investigativ. Das zweite Thema, den Knappen, hatte sie zunächst hinten angestellt. Das konnte geklärt werden, wenn die schwierigste Frage geklärt war.
Insgeheim wusste sie, dass es geschickt von Bärwulf gewesen war, Griffpurga vorzuschicken. Die Ritterin von Natternhag mochte die Gemahlin ihres Cousins und beide wussten um das diplomatische Geschick Griffpurgas. Wäre er gekommen, hätte es vermutlich nur im Streit geendet. So sollte Griffpurga den Boden für ein harmonischeres Gespräch unter Verwandten in Leuengrund bereiten.
Die Halbergerin schüttelte ihren Kopf. “Nein, nein …”, sie hob beschwichtigend ihre Hände, “... er selbst möchte nicht als dein Nachfolger auftreten.” Es war ihr bewusst, dass das Thema ein sehr unangenehmes war, doch fand sie es schade, dass Nihal sich davon vertreiben ließ, wollte die Ritterin doch einen Vorschlag machen, der auch die Aranierin betraf. “Bärwulf macht das für die Familie und nicht für sich …”, was auch der Wahrheit entsprach, “... und wenn du Nihal adoptieren wollen würdest, dann wird er sich am Ende des Tages vielleicht auch gar nicht dagegen aussprechen. Mein Mann ist ein Sturkopf, aber er hält Travias Gebote sehr hoch. Vielleicht würde er darüber grummeln und schimpfen wie ein Rohrspatz, aber am Ende des Tages wird sie bestimmt in der Familie willkommen heißen.”
Griffpurga legte beruhigend ihre Hand auf den Unterarm der Ritterin. “Es ist deine Entscheidung. Ihr könntet natürlich auch einen Bund schließen. Rondra ... oder Rahja und dann im Sinne Travias ein Kind zu adoptieren. Dann wäre Nihal ebenfalls ein Mitglied der Familie. Es gibt in Weidenhag eine Rahjageweihte, die das bestimmt machen würde. Dann würde es an der Baronin von Urkentrutz liegen ob sie das adoptierte Kind, oder vielleicht auch Nihal als deine Nachfolgerin akzeptiert.”
Gormla sah Griffpurga überrascht an. “Er hätte Verständnis für unsere Verbindung?”
"Bärwulf will das Beste für seine Familie. Er ist wie ein alter Ganter, der laut schnatternd und mit seinen Schwingen fuchtelnd das Gelege der Familie verteidigt, Gormla”, meinte die Ritterin mit einem vielsagenden Lächeln, “am Ende des Tages geht es ihm bloß darum die Schäfchen zu schützen und beisammen zu halten und dass die Nachfolge zugunsten der Familie geregelt ist. Unterschätze ihn nicht, er weiß was es bedeutet für seine Partnerwahl schief angesehen zu werden. Immerhin hat er als Oberhaupt einer ehrwürdigen Weidener Familie eine Mordmärkerin geheiratet.” Das Wort, mit dem die Weidener ihre Landleute des Öfteren bedachten, hatte sie einst erzürnt. Gegenwärtig rang es ihr ein Lächeln ab.
Grübelnd rutschte die Ritterin auf ihrem Stuhl nach hinten und lehnte sich an. “Hm”, machte sie und knibbelte mit den Fingern der rechten Hand den Dreck unter den Nägeln der Linken heraus.
“Du siehst mein Dilemma, Griffpurga. Ich liebe Nihal und wenn ich sie adoptiere, muss ich sie wie eine Tochter behandeln. Das würde ich nicht verkraften. Natürlich wäre mir ein Bund am liebsten. Von der Rahjageweihten habe ich schon gehört. Eine verdammt schwierige Aufgabe hier in Weiden, was? Naja und wenn die Baronin Nihal nicht als Erbin akzeptiert? Dann haben Bärwulf und ich nichts gewonnen…”
“Wie gut ist denn dein Draht zur Baronin?”, fragte die Halbergerin und nippte an ihrem Trinkgefäß. “Ein Bund würde Nihal de facto in die Familie aufnehmen. Theoretisch könnte sie dir nachfolgen, wenn … ja, wenn die Baronin ihre Zustimmung gibt, so will es das Gesetz. Aber ihre Hochgeboren könnte genauso auch eine adoptierte Tochter, oder einen adoptierten Sohn als Nachfolger bestätigen. Denkst du denn sie würde dem Wunsch nicht entsprechen?”
“Grimmwulf?” Gormla sprach den Namen aus als wenn es sich um ein Fabelwesen handelte. “Nun, wir grüßen uns und halten “gepflegte Konversation” aber nicht mehr. Du kennst sie selbst. Sie ist unnahbar und lebt eher zurückgezogen seit… naja, seit sie Ingrold hat.”
Sie dachte nach. “Ich weiß ehrlich gesagt nicht wie sie zu unserer Verbindung steht und ob sie ihre Zustimmung geben würde. Vielleicht sollte ich vorfühlen? Was denkst du?”
Griffpurga lächelte ihrer Freundin zu. "Es hat ja Zeit. Sprich einmal mit Nihal darüber. Ihr könnt auch Rahjania besuchen und mit ihr darüber sprechen. Sie würde sich bestimmt freuen", die Ritterin wollte Gormla nicht zu etwas treiben, das sie selbst und ihre Geliebte nicht wollten. Auch wusste sie, dass nicht jeder eine solche Verbindung gutheißen würde. Doch das war deren beider Sache - Nebengeräusche ausblenden musste sie, seit sie in Weiden angekommen war. Anfangs war es schwer, doch inzwischen fiel es der Halbergerin leicht. Nihal und Gormla würden das auch schaffen.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und Nihal kam herein. Sie trug eine türkisfarbene Pluderhose mit einem engen Bündchen um die Fesseln, an denen silberne Fußkettchen mit kleinen Glöckchen baumelten. Unter der offen getragenen weißen Weste trug die Aranierin eine bauchfreie dunkelblaue Bluse, die den Nabel frei ließ. In diesem prangte ein Mondstein. Auch Handgelenke und Hals zierten Silberketten, teils mit bunten Glas- und Halbedelsteien, teils mit silbernen Plättchen, die klimperten und im Licht des Feuers blinkten. Mit ebensolchen Silberplättchen war auch das dunkelblaue Dreieckstuch verziert, das Nihal um die Hüften geschlungen hatte. Ihr schwarzes Haar trug sie in einem langen Zopf, in den ebenfalls einige bunte Glasperlen und Silberringe geflochten waren.
Gormla strahlte als sie die Aranierin so erblickte. Sie klatschte in die Hände.
“Oh, sie nur Giffpurga! Meine schöne Wüstenblume hat sich hergerichtet! Magst du uns ein paar deiner schönen Übungen zeigen? Sie kann sich unglaublich verbiegen und sehr elegant tanzen.”
Nihal lächelte zurück, zog die Weste aus und stellte sich breitbeinig hin. Dann bog sie den Rücken nach hinten bis der Mondstein in ihrem Bauchnabel zur Zimmerdecke zeigte. Sie fädelte die Arme in der Mitte unter den Beinen durch und ließ sich dann sachte und in extrem langsamen Tempo auf den Bauch gleiten. Dort hob sie den Oberkörper hoch, stemmte sich auf die Arme und kraulte sich mit den nackten Zehen rücklings am Kopf. Gormla kicherte.
Nihal legte den Oberkörper erneut ab rollte sich auf den Rücken und machte eine Brücke, dann hob sie in einem unglaublichen Kraftakt langsam aber sicher den Oberkörper aus der Bodenposition nach oben und ließ ihn wieder zurücksinken. Zuletzt schwang sie die Beine hoch über den Kopf in den Handstand und ließ sich in einem Handstandüberschlag auf die Füße zurückkatapultieren. Die Hände vor der Brust aneinandergelegt verneigte sie sich vor der extatisch applaudierenden Gormla und ihrem Besuch.
“Ist sie nicht großartig?” Die Ritterin von Natternhag sah Griffpurga und Liutgard Beifall heischend an.
Die Halbergerin lächelte breit und bedachte die Vorstellung mit Handgeklapper. Eine Geste, die nicht recht zur normal eher streng und reserviert wirkenden Frau passen mochte. Und auch ihre junge Knappin tat es ihrer Schwertmutter gleich. Ihr Lächeln war etwas dezenter, doch für eine Züchtelsen, die zum Lachen stets in den Keller zu gehen schienen, war es ein wahrer Gefühlsausbruch.
“Ja … wirklich großartig. Sowas gibt es in unseren Breiten wohl kein zweites Mal.”
Nihal lächelte schweigend und bedankte sich mit einem Kopfnicken.
“Sie übt jeden Morgen!”, plauderte die Blautannerin weiter. Vielleicht zeigt sie euch ja später noch ihren Waffentanz, den finde ich auch immer sehr schön!”
Die Aranierin wirkte ein wenig verlegen. Sie zog sich zunächst ihre Weste wieder an und setzte sich zu Liutgard.
“Stell dir vor, Griffpurga hat mich auf eine hervorragende Idee gebracht. In Weidenhag lebt eine Rahjageweihte. Rahjania, richtig?” Sie sah die Halbergerin fragend an.
Griffpurga entgegnete ihr ein Nicken.
“Was hältst du davon sie einmal aufzusuchen und mit ihr über die Möglichkeiten eines offiziellen Bundes zu sprechen. Eines, der dich im Falle meines vorzeitigen Ablebens auch zur Nachfolgerin über Natternhag machen könnte.”
Entsetzt sah Nihal die Blautannerin an. “Über so etwas will ich gar nicht nachdenken oder darüber sprechen. Das bringt Unglück!”
Gormla sah milde lächelnd zu Griffpurga hin. “Aranier sind schrecklich abergläubisch musst du wissen. Wobei in Weiden ist es ja nicht viel besser. Hier darf der Name des Herrn der Letzten Dinge ja auch nicht ausgesprochen werden.”
Die Ritterin lachte laut und scheppernd.
“Nihal, Liebes, überleg dir das in Ruhe. Aber ich finde Griffpurgas Vorschlag sehr gut. Mein Verwandter Bärwulf hat recht. Man kann nicht früh genug darüber nachdenken die Nachfolge zu regeln. Sag´, Nihal, du hast mir doch schon einmal von der “Seelenverwandschaft” erzählt, an die man in deiner Kultur glaubt. Erklär doch Griffpurga und Luitgard davon”, bat Gormla.
Die Aranierin seufzte. “Nun ja, das ist richtig. Bei uns glauben viele an die Wiedergeburt. Und so glauben sie auch, dass sich manche Individuen seit mehreren Leben kennen und so auch immer wieder begegnen. Es gibt den Glauben, dass wenn eine wiedergeborene Seele auf Dere einsam ist und ihren in Borons Hallen verbliebenen Seelenpartner vermisst, dieser durch Tsas gütigen Zuspruch wieder über das Nirgendmeer in unsere Späre geschickt werden kann.”
Gormlas Augen zeigten einen träumerischen Ausdruck. “So ist es! Gewiss! Meine Seele war auf Dere so einsam, dass Tsa mir ein gutes Dutzend Winter später meine Seelenverwandte zurückgeschickt hat!”
Mit einem Ausdruck innigster Liebe und Verbundenheit ergriff Gormla die Hand der Aranierin.
“Meine schöne Reiterprinzessin, mein exotisches Kleinod. Lass uns zu Rahjania reisen und sie um Rat fragen!”
Nun erwiderte auch Nihal den Blick und lächelte. “Wenn du es dir so wünschst, meine Taube.”
Griffpurgas Blick war zwischen den beiden Frauen hin und her gegangen. Erst etwas unsicher, dann wurde ihr Lächeln immer breiter und breiter. Sie konnte sich vorstellen, dass es das nicht war, was Bärwulf im Sinn hatte, als er meinte, dass Gormla ihre Nachfolge regeln sollte. Doch die Ritterin kannte ihren Gemahl. Er hatte zuvorderst das Wohlergehen seiner Familie im Sinn und dazu gehörte wohl auch das Glück in der Liebe. Bärwulf hatte damals auch nichts auf die Stimmen der anderen gegeben, als sie geheiratet hatten - ein in Weiden so begehrter Junggeselle und die Besatzerin aus einer dekadenten Familie, die sich in ihrer Heimat sogar einen Grafentitel anmaßte. Und auch als eben dieses Haus Ehre und Besitz verlustig ging, wich er keinen Finger breit von ihrer Seite. Er verstand und auch wenn sich ihr Gemahl als streng gab, in seiner Brust befand sich ein großes, gütiges Herz. Er würde sich für die beiden einsetzen, da war sich Griffpurga sicher.
“Schön. Überstürzt es nicht. Ich werde Bärwulf mitteilen, dass ihr beiden diesen Schritt überlegt. Das dürfte ihn fürs erste ruhig stimmen.” Die Nordmärkerin lächelte.
-Fin-