Grafenstadt Salthel, Praios 1040 BF
Die Steuern erhöht, den Sterbetaler selbst kassiert, eine Umlage für die Baronie Uhdenwald eingeführt und einen ebenso unnötigen wie verlustreichen Kriegszug gegen die Rotpelze ausgerufen: Im ersten Amtsjahr, 1029 BF, hat der Sichelwachter Graf Bunsenhold von Wolkenstein und Wettershag wahrlich keinerlei Rücksicht auf die Befindlichkeiten seiner Vasallen genommen. Da wundert es nicht, dass sich unter den eigenbrödlerischen und freiheitsliebenden – mancher mag auch sagen: sturen und aufrührerischen – Sichelbaronen rasch Widerstand regte. Auf dem Weidener Baronsrat 1030 BF liefen sie gegen ihren neuen Herrscher Sturm. Mit dem Ergebnis, dass der nach einer Intervention Herzogin Walpurgas von Löwenhaupt die meisten seiner selbstbegünstigenden Neuerungen zurücknehmen musste.
Danach wurde es erst einmal still um den Wolkensteiner. Seine Vasallen frohlockten und wähnten sich als Sieger des Kräftemessens. Sie hätten falscher kaum liegen können, wie die Situation zehn Götterläufe nach der Inthronisierung zeigt. Offenbar zog sich der Graf nicht auf die Feste Aarkopf zurück, um Wunden zu lecken und Trübsal zu blasen, sondern um einen Plan zu schmieden. Jedenfalls sieht das, was in den vergangenen Götterläufen geschehen ist, verdächtig nach einem Plan aus. Und zwar nach einem, der es ihm ermöglicht, seinen widerborstigen Adel Stück für Stück in die Knie zu zwingen. Die Auswirkungen werden offenbar, wenn man das große Ganze im Auge behält. Genau das hat Fantholi natürlich getan und will hier davon künden.
Am auffälligsten ist dies: Seit dem Jahr 1037 BF hat sich in vielen Sichler Baronien ein Machtwechsel vollzogen. Teilt man die Lehen in zwei Lager auf – eines, dessen Herrscher dem Grafen gewogen sind, und eines, dessen Herrscher bislang als neutral oder widerständig gelten – ergibt sich mittlerweile interessanterweise eine Pattsituation. Wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, wird es dabei aber bestimmt nicht lange bleiben.
In den Baronien Östlingen, Ingerimms Steg und Uhdenwald wurden die Vögte ausgetauscht. Dort sitzt nun jeweils ein treuer Diener des Wolkensteiners auf dem Thron. In Gräflich Salthel war das schon immer so, in Adlerflug hat der Graf jüngst einen weiteren Vogt an sich gebunden, indem er ihn im Amt bestätigte, obwohl sein Leumund zweifelhaft ist. Die neue Baronin von Herzogenthal hängt ebenfalls von Bunsenholds Wohl und Wehe ab, und in Rotenforst hat er einen Mann auf den Thron gehoben, an dessen verbrecherischen Händen das Blut seines getöteten Vorgängers klebt. Von Beonspfort wissen wir, dass es sich schon vor Jahren mit dem Grafen gut gestellt hat.
Daneben gibt es die mächtigen Barone und Vögte der Tiefen Mark, die teils direkt der Herzogin unterstellt sind und an denen sich der Graf die Finger verbrennen würde, wollte er sie aus dem Amt drängen. Sie sitzen in Herzoglich Altentrallop, Herzoglich Mauterndorf, Fuchshag, Schroffenfels und Zollhaus und gelten als neutral. Es ist jedoch bekannt, dass keiner von ihnen große Sympathien für den Wolkensteiner hegt. Die Meinung der Baronin von Drachenstein ist unbekannt und war noch nie von Belang. Bleiben mit dem Schwarzensteiner und der Hahnfelserin genau zwei Sichler Barone, die sich den Mund nicht verbieten lassen und als letzte aufrechte Widerständige gelten dürfen. Schade nur, dass eine von beiden unter Reichsacht steht und damit keine Stimme hat, die an einer bedeutenden oder einflussreichen Stelle ernstlich Berücksichtigung finden würde.
Diese Erörterung mag dem geneigten Leser vor Augen führen, wie sich die Machtverhältnisse in der Grafschaft seit jenem aufsehenerregenden Baronsrat 1030 BF verschoben haben. Dabei dürfte die Beseitigung des einstigen Rädelsführers Erzelhardt von Graufenbein zu Rotenforst dem Grafen eine besondere Freude gewesen sein. Wohin all das am Ende führen wird – ob es nur der Anfang eines größeren Plans ist oder schon das Ende dessen, was der Wolkensteiner erreichen wollte – lässt sich schwer sagen. In den zehn Jahren Herrschaft ist er seinen Vasallen und vor allem dem einfachen Volk fremd geblieben. Viele fragen sich, was den Mann antreibt. Wo er hin will. Warum er, der eigentlich ein Greis sein müsste, seit 1029 BF nicht um einen Tag gealtert zu sein scheint. Was seine Handlanger nächtens in den Kellern der Feste treiben – und er auf dem hohen Turm.
Nur eines dürfte klar sein: Den Mann zu unterschätzen ist ein schwerer Fehler.