Moosgrund/Brachfelde, Rondra 1046 BF

Im Schatten des dichten Ifirnstanns, wo das Grün vom Regen glänzte und das Licht der Praiosscheibe kaum das Unterholz erreichte, trafen sich die Ritterin Elana von Funkenstreich aus Brachfelde und der Edle Grothan Ysgar von Estven aus Moosgrund, kaum dass das schreckliche Unwetter etwas abgeklungen war. Zwischen den umgestürzten Bäumen und den abgesackten Wänden des Hohlwegs standen sie, die Vertreter verschiedener Welten, vereint durch die Notwendigkeit, die Nurlapfort (von elfisch nurla: Buche) wiederherzustellen, die Mallaith mit Theabrandt verband. Regennass schien der moosüberwucherte Grenzstein aus den Zeiten des guten Kaisers Rohal das seltene Treiben gänzlich unbewegt zu betrachten.

Elana, mit ihrem selbstbewussten Auftreten und dem Schwert "Löwenglut" an ihrer Seite, war trotz ihrer relativ kleinen Statur eine markante Erscheinung im gelb-schwarzen Wappenrock ihrer Familie. Ihre langen, dunkelblonden Haare hatte die 34-jährige Ritterin zu Mallaith hastig zu Zöpfen geflochten und ihre ausdrucksvollen, leicht mandelförmigen, braunen Augen blitzten vor Tatendrang. Schon in sehr jungen Jahren hatte sie das Erbe ihres Vaters antreten müssen und, wie er, fühlte sie sich in ihrer Verantwortung für die ihr anvertrauten Menschen und für ihre Kinder besonders der Heiligen Ardare verpflichtet.

Grothan, so groß und imposant wie die Naturgewalten, die den Hohlweg verwüstet hatten, war eine massige Gestalt mit braunen Haaren. Das linke Auge blickte weiß und trüb ins Nichts, das rechte aber funkelte braun und aufmerksam. Er zeigte die besonderen Züge der Menschen aus dem Hohen Norden, woher er ursprünglich stammte. Das Gesicht des gut 50-jährigen Löwenritters aus der Baronie Moosgrund war abschätzend kühl und sein Auftreten von einer rauen Entschlossenheit geprägt, während er neben der Weidenerin stand, bereit für jede Herausforderung, die ihn erwartete.

"Wir müssen diesen Pfad wieder begehbar machen, Grothan", sprach Elana mit Entschlossenheit. "Unsere Untertanen sind in großer Sorge, und es ist unsere Pflicht, ihnen beizustehen."

Grothan nickte schweigend, sein Blick ruhte auf den umgestürzten Bäumen, während seine Gedanken in die Weiten des Ifirnstanns zu wandern schienen. Er spürte die angsterfüllten Blicke der Kuhmaiden und -burschen, die nach Mallaith und Theabrandt geeilt waren, um ihre Herrschaften um Hilfe zu bitten. Mehrere ihrer Tiere waren erschlagen, andere schwer verletzt worden, als der Sturm mit Blitz und Donnerschlag über sie hinweggezogen war. 

"Die Feen und Geister des Ifirnstanns zürnen uns", flüsterte eine der Kuhmaiden ängstlich. Elana und Grothan erkannten die Furcht in den Herzen der jungen Leute. Sie wussten, dass der Aberglaube tief verwurzelt war, besonders in den einsameren Gegenden der Grafschaft Bärwalde. Der Nordmann schnaubte verächtlich und das Raunen der Burschen und Maiden erstarb unter dem Blick seines weißen Auges.

"Gemeinsam werden wir es schaffen", hob Elana selbstsicher an, während sie die Hand auf den Griff ihres Schwertes legte. "Unsere Leibeigenen und kundigen Handwerker werden die Nurlapfort wiederherstellen, und wir werden sie anführen."

So begannen ein Dutzend tatkräftiger Helfer unter Anleitung von Elana und Grothan damit, die umgestürzten Bäume wegzuräumen und den Hohlweg wieder freizumachen. Doch die Arbeit gestaltete sich schwierig und langwierig. Mehrere Tage vergingen, in denen auch die Ritter selbst Hand anlegten, um schwere Äste und Steine beiseite zu schaffen. Aus Balsaith waren heilkundige Frauen, Kadiya und ihre Tochter Cayra, herbeigeeilt und kümmerten sich um die verletzten Kühe.

Während ihrer gemeinsamen Arbeit begannen die beiden Edelleute einander besser kennenzulernen. Elana erzählte von ihrer Reise in den Hohen Norden und den unglaublichen Abenteuern, die sie dort erlebt hatte. Erschüttert hörte sie Grothan über die Kämpfe gegen die Nachtalben berichten, die seine Heimat heimgesucht hatten, und über die dämonischen Mächte des Eises, die von der Frosthexe entfesselt worden waren und die bisher nicht wieder bezwungen werden konnten. Dass der alte Ritter Sieghelm von Moorland in den Hohen Norden aufgebrochen war, um sich just solchen finstren Kräften entgegenzustellen, nötigte aber dem auch sonst so wortkargen Nordmann Respekt und sogar ein grimmiges Lächeln ab.

Trotz ihrer Unterschiede fanden sie schnell Gemeinsamkeiten in ihrem Glauben an Rondra und in ihrem starken Sinn für Pflicht und Ehre. Und als endlich der Mond über die Nurlapfort stieg und die ersten Strahlen des Morgens das Grün des Walds beleuchteten, konnten sie stolz auf das Werk blicken, das sie vollbracht hatten.

Die Kuhmaiden und -burschen waren erleichtert, als sie den wiederhergestellten Pfad sahen, und dankten ihren Herrschaften von Herzen. In ihren Augen spiegelte sich die Dankbarkeit wider für die Nachbarschaftshilfe, die sie geleistet hatten, und die Gewissheit, dass selbst inmitten der wildesten Stürme und Gefahren Einigkeit und Zusammenhalt sie stark machen würden. Doch trotz ihrer Erleichterung blieb bei einigen der jungen Menschen die Angst vor den Feen und Geistern des Ifirnstanns bestehen, die sie für das Unglück verantwortlich machten.

(ar, dsr)