Balsaith, Baronie Brachfelde, Firun 1044 BF
Die Bürger der Stadt Balsaith haben endlich wieder einen Grund zur Freude, nachdem die letzten Wochen im Zeichen der Trauer standen und man den schmerzlichen Verlust des altgedienten Schultheiß‘ Berman von Rothwilden zu verwinden suchte. Doch klug, wie der Baron von Brachfelde nun einmal ist, hatte er vorgesorgt und konnte sich daher sehr rasch mit dem Ältestenrat auf Bermans Nachfolge verständigen.
So ernannte man Gurnhild Traviatreu, die Tochter des namhaften Holzbildhaumeisters Torben Traviatreu, am 1. Firun im Ratssaal der Stadt Balsaith feierlich zur neuen Schultheißin – wie man hier das Amt der Stadtmeisterin bezeichnet. Festlich herausgeputzt hatten sich sämtliche Mitglieder des Ältestenrats versammelt, die die einflussreichsten und ältesten einheimischen Familien vertraten – namentlich sind dies Eggenberger, Kohlhusen, Gerdenwald, Traviatreu, Erlheim, Tulop und Eslebon – und zu denen auch Würdenträger der Stadt, wie z. B. die Tempelvorsteher, zählten. Und auch Baron Gamhain von Brachfelde wohnte der Zeremonie bei.
Tags zuvor hatte er Gurnhild die gesiegelte Urkunde überreicht, mit der sowohl Gräfin Griseldis von Bärwalde als auch er selbst als Lehnsherr der Baronie ihrer Ernennung zur neuen Schultheißin zustimmten – ohne diese Bestätigung hätte sie nicht zur Wahl durch den Stadtrat antreten dürfen. Man hatte den Baron allerdings schon herzlichere Glückwünsche sprechen hören, wenn es um die Vergabe wichtiger Ämter gegangen war. Denn sicher handelte es sich bei Gurnhild Traviatreu nicht um seine erste Wahl. Zwar konnte er mit der vom Ältestenrat favorisierten Kandidatin leben, eine aus seiner Sicht weniger streitbare Person wäre ihm jedoch lieber gewesen.
Die 1000 BF geborene, selbstbewusste, etwas streng wirkende Frau mit dem dunklen Haar und den klugen, blauen Augen gehörte bereits etliche Jahre dem Ältestenrat an, wo sie die Stimme ihres Vaters vertrat. Mit manch spitzer und wohldurchdachter Gegenrede stieß sie beim bisherigen Schultheiß Berman von Rothwilden, der stets auch die Interessen des Brachfeldener Barons im Blick hatte, auf wenig Gegenliebe, fand aber bei den Bürgern großen Anklang. Im oft zerstrittenen Rat hatte ihr Wort schlichtende Wirkung. Sie beherrscht das politische Taktieren, das ihren Ehrgeiz anspornt.
Außerhalb ihrer Ratstätigkeit ging Gurnhild ihrem Vater Torben Traviatreu tatkräftig zur Hand: Sie sorgte dafür, dass der Meister ausreichend Materialien für seine Kunstwerke zur Verfügung hatte, oder begleitete ihn beim Lesen geeigneter Hölzer. Außerdem regelte sie den Verkauf und übernahm bisweilen die Auslieferung seiner Werke an Adlige und hohe Würdenträger, so dass Gurnhild auch jenseits der Stadt viele wichtige Verbindungen aufbauen konnte. Mit ihrem bestimmten, etikette¬bewussten Auftreten, ihrem Talent, im richtigen Moment die richtigen Worte zu finden, und ihrer umsichtigen Art, mit Menschen umzugehen, verdiente sich Gurnhild schnell den Respekt der Leute.
Dass Baron Gamhain die Kandidatur von Gurnhild Traviatreu nicht von vornherein abschmetterte, sondern sogar unterstützte, mag wohl im Wesentlichen der Fürsprache durch die Edle Stinia von Silberbrück zuzuschreiben sein. Die Stimme seiner phexfrommen Stiefschwester hatte bei Gamhains Entscheidungen hohes Gewicht und außerdem vertrat sie die Interessen der Balsaither Händlergilde. Gemeinsam mit ihr hatte der Brachfeldener den Bau einer Phexkapelle in Balsaith finanziert, die bald eröffnet werden sollte. Darüber hinaus hatte Baron Gamhain im Travia am Rande des Weidener Baronsrats zu Burg Efferddorn mit Rovena von Rothwilden, der Baronsgemahlin zu Dergelquell, ebenfalls darüber gesprochen, wer denn ihrem 81-jährigen Vater, Berman von Rothwilden, als Schultheiß nachfolgen könnte. Angeblich sei bereits hier Gurnhilds Name gefallen. Man darf gespannt sein, ob Baron Gamhain auch noch in ein paar Götterläufen mit seiner Entscheidung zufrieden sein wird.
(ar)