Unbill oder Verstehen?
Anderath, Boron 1029 BF
Zum zweiten Mal innert drei Tagen hatte sie einen Praios-Tempel zum Ziel. Müde strich sie sich über die Stirn, betastete kurz ihre Augenklappe und spürte dem dumpfen Schmerz nach, der den Verlust ihres Auges Lügen strafte. Mjalnirs große Hufe klapperten laut auf dem Pflaster und Alinja sann nach, ob sie eine Übernachtung einplanen sollte.
Lanzelind ritt neben ihr und dem Mädchen stand ein unternehmungslustiges Funkeln in den Augen, sie genoss es, aus den Tempelmauern heraus und herum zu kommen. Alinja lächelte verhalten und erinnerte sich an ihr eigenes Noviziat, vor so langen Jahren.
Was mochte der Besuch in Anderath bringen? Unbill oder Verstehen? Ärger oder Benehmen? Sie wagte keine Vorhersage und genau darum fiel es ihr auch so schwer, sich zu entscheiden. In Anderath nächtigen, oder nach Baliho reiten, auch wenn das bedeutete, erst spät in der Nacht anzukommen? Immerhin wäre sie dann zu Hause und manchmal, tröstete sie genau dieser Gedanke: Nach all den Jahren hatte sie endlich ein zu Hause.
Sie würde sich nicht entscheiden, würde das Gespräch abwarten. Überhaupt abwarten, ob man sie auch hier wie eine dahergelaufene Handlangerin behandeln würde oder so, wie es ihrem Rang entsprach. Sie bogen in die Straße ein, die zum Praiostempel führte und er kam in ihr Blickfeld. Groß, mächtig und beeindruckend. Eingefasst von vier Türmen, eine imposante Kuppel und natürlich gehalten in weiß, … kostbarem Marmorweiß.
Alinja seufzte, lenkte ihr Perricumer Kaltblut zu einer der Seiten des Tempels, wo ein Holzbock stand, an dem man Zügel befestigen konnte. Noch einmal musterte sie den Tempel von ihrem erhöhten Sitzplatz, dann verbarg sie ihre Müdigkeit und ihre Gefühle hinter der so vertrauten ausdruckslosen Miene, die sich einem Visier gleich über ihr Gesicht legte.
„Auf ein Neues denn, Lanzelind“. Sie schwang sich aus dem Sattel, tätschelte ihren Wallach und trat auf den Tempel zu.
„Hmhm“, die kleine Rauheneck quittierte Alinjas Anmerkung allein mit einem unartikulierten Brummen. Seit ihrem letzten Besuch in einem Praiostempel schien dem Mädchen die Lust auf weitere Zusammentreffen mit den Dienern des Götterfürsten gehörig vergangen zu sein. Dennoch schwang sie sich aus dem Sattel und trottete mit schicksalsergebener Miene hinter ihrer Schwertmutter her.
Sie erklommen die breite Treppe zum Portal und betraten die Halle durch das mächtige Tor, das von einem stählernen Greifen verziert und -stärkt wurde, der durch zwei ebenfalls stählerne Greifen flankiert wurde.
Über den Rondrianern spannte sich auf einem Säulenrund eine riesige Kuppel auf, die – über und über vergoldet – Sonnen-, Greifen- und Herrschaftssymbolik zeigte. Die Halle wirkte lichtdurchflutet und alles Licht schien sich in dem prächtigen Hochaltar aus Bernstein zu sammeln, der den Gott als falkenhäuptigen Rechtssprecher zeigte, mit der Waage der Gerechtigkeit in der Rechten und der Gesetzesrolle in der Linken. Faustgroße Zitrine funkelten als alldurchdringende Augen in dem majestätischen Falkenkopf, der von einer Tiara geziert wurde. Zu Füßen des Gottes brannte das ewige Licht in einer prächtigen goldenen Feuerschale, deren Füße von drei Sonnenszeptern gebildet wurde. Mehrere prächtige Richtschwerter waren um die Statue drapiert, wie auch Reinigungsruten aus vergoldeten Bosparanienästen.
In jeder der Ecken, in denen sich auch die Zugänge zu den Türmen befanden, erhoben sich mächtige, blattvergoldete Statuen. Der göttliche Falke Ucuri, der Greif Garafan, der Drache der Gerechtigkeit, Branibor, dessen Eisenflügel sicherlich drei Schritt Spannweite hatten und ein Luchswesen mit bernsteinernen Augenflecken, das Schelachar darstellte.
Aromatischer Duft durchwehte die Halle und gerade verklang einer der Gurvanischen Choräle, als sich ein junger Mann, in einer einfachen weißen Robe mit einem roten Skapulier aus kniender Haltung erhob. Er kam gemessenen Schrittes auf die beiden Rondrianerinnen zu und neigte grüßend sein Haupt, das von einer weißen Filzkappe bedeckt war. An seinem Gürtel war eine Sphärenkugel zu sehen, offenbar war der Jüngling mit den charismatischen braunen Augen ein Novize. „Die guten Götter zum Gruße, Ehre der Wächterin auf Alverans Zinnen.“ Der Novize lächelte. „Willkommen in der Goldenen Halle des Gesetzes, Hochwürden“, er verneigte sich, „Schwester im Glauben.“ Der letzte Satz hatte mit einem Nicken Lanzelind gegolten.
Dann blickte er Alinja, die ihn um Haupteslänge überragte in die Augen. „Ich bin Olin, Novize hier. Was führt Eure Schritte in unseren Tempel, wenn ich fragen darf? Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Wie kann ich Euch helfen?“
„Praios zum Gruße, Olin und Dank’ für Dein freundliches Willkommen. Mein Name ist Alinja Leuenklinge von Norburg, Schwertschwester von Lohenharsch, Tempel der alveranischen Leuin zu Baliho sowie Gesandte ihrer Eminenz Aldare VIII. Donnerhall von Donnerbach. Dies ist“, sie wies auf Lanzelind, „meine Novizin Lanzelind von Rauheneck. Ich möchte um eine Unterredung mit der Custoda Lumini bitten.“ Alinja blickte sich um und verengte ihr Auge ob des güldenen Glanzes, ehe sie ihren Blick wieder auf Olin senkte.
„Ich verstehe, Ihr seid erkoren den Stammtempel der Orkenwehr zu leiten – die guten Götter mit Euch. Ich werde Ihre Hochwürden sofort über Euer Kommen und Anliegen unterrichten, hochwürdige Schwertschwester. Das mag jedoch eine kleine Weile dauern, denn seit den schrecklichen Geschehnissen um die Stadt des Lichts,“ hier schluckte der Novize sichtlich und seine Stimme wurde heiser, „und die von Seiner Erhabenen Weisheit ausgerufenen Quanionsqueste um das Ewige Licht, pflegt die Custoda Lumini lange und innig auf dem Ucuri-Turm zu meditieren und zu beten.“
Der Novize stutzte kurz und wandte sich erneut an Alinja. „Können wir Euch inzwischen traviagefällige Gastung anbieten, nach Eurer Reise? Wenn Ihr wünscht, schicke ich einen Diener nach Wein und Brot. Ansonsten findet Ihr Chorgestühle dort hinten an der Wand, auf denen Ihr Euch niederlassen könnt – sie sind bequemer, als sie aussehen.“
Die Rondrianerin konnte ein erstauntes Blinzeln nicht hindern. Schweigend musterte sie Olin für einige Augenblicke und endlich verzog sie den linken Mundwinkel zu einem halben Lächeln. „Und erneut meinen Dank“, murmelt sie. „Ein Becher Wasser wäre in der Tat sehr willkommen, Luminiquaestor“, antwortete sie dem Novizen dann wohl vernehmlich. „Darüber hinaus üben wir uns gerne in Geduld, denn Meditation und Gebet haben stets Vorrang!“
Sie blickte Olin hinterher und schniefte leise. „Setz Dich einstweilen schon, wenn Du möchtest Lanzelind. Ich geselle mich gleich zu Dir.“ Damit wandte sie sich dem Hochaltar zu, näherte sich ihm aber nur für zwei weitere Schritte, ehe sie auf ein Knie sank und sich in ein Gebet vertiefte.
Vielleicht waren es derer auch zwei gewesen, als die Bornische sich ein wenig steif wieder erhob, ihrer Novizin zustrebte und sich setzte. „Hier herrscht ein anderer Ton, nicht wahr? Dennoch ist die Zuversicht einstweilen zögerlich.“ Spöttisch lächelnd schlug sie ein Bein über und legte, wie so oft, ihre Schwerthand fast ein wenig schützend auf ihr malträtiertes Knie.
Schweigend beobachtete Lanzelind das Tun ihrer Schwertmutter. Sie war meilenweit entfernt davon, sich neben Alinja zu knien und ebenfalls ein Gebet an den Götterfürsten zu richten. Von dem hatte sie vorerst genug – auch wenn sie sehr wohl wusste, dass das Handeln seiner Diener nicht immer mit dem seinen gleichgesetzt werden konnte. Einerlei ... sie hatte ihre Kränkung noch nicht überwunden und solange dies der Fall war, gab sie nicht viel darauf, wer genau ihren Stolz verletzt hatte. Sie interessierte sich allein für das Lager. Ein Lager, aus dem ihr zum gegebenen Zeitpunkt nur Schlechtes zu kommen schien und dem sie deshalb vorerst keine Referenz erweisen wollte.
So schniefte sie denn auch nur leise, als Alinja wieder zu ihr zurückkehrte und das Wort an sie richtete. „Ja, zögerlich, Ehrwürden. Das allemal!“ Die Novizin ließ ihren Blick völlig leidenschaftslos durch den prunkvollen Saal gleiten und hob dann mit einer etwas linkisch anmutenden Geste die Schultern. „Und das völlig zu recht, wie ich meine.“
Es verging weniger Zeit als befürchtet, bis sich die Prätorin der Halle den beiden Rondrianerinnen, die sich umgehend erhoben, näherte. Die Custoda Lumini war eine Priesterin, wie sich Lanzelind wohl in ihrer Kindheit immer eine Geweihte des Sonnengottes vorgestellt hatte. Goldenes Haar fiel der Frau akkurat geschnitten fast bis auf die Schultern und strahlende blaue Augen, deren loderndem Blick wenig zu entgehen schien, leuchten aus ihrem feingeschnittenen Gesicht. Ein goldener Greifenstirnreif krönte ihr Haupt und ihre tiefrote Robe aus Golddamast war über und über mit feinen goldenen Greifenmotiven bestickt. Darüber trug die Prätorin einen goldenen Mantel, der mit zwei roten Greifen verziert war. Ihr Gürtel wurde von einem großen goldenen Amulett in Greifenform und drei goldenen Sphärenkugeln geziert und ein prächtiges Kurzschwert hing in einer goldenen Scheide daran. Greifenring und Sonneszepter vervollständigten das Ornat der Anderather Prätorin, als sie vor Alinja stehen blieb und sie kurz musterte.
Die Rondrianerin war natürlich nicht annähernd so prachtvoll gewandet, wie sie selbst. Doch ihr geübtes Auge erkannte, dass die Tracht der Schwertschwester durchaus edel zu nennen war und auch ihre Novizin kam nicht ärmlich daher. Die gewachsten Mäntel waren mit kurzem weißem Pelz verbrämt, die Wappenröcke darunter aus feiner Wolle und die Löwin des Schwertbundes in leuchtendem Rot eingestickt. Selbst die grausamtene Augenklappe war von bester Qualität und die Waffen Alinjas selbstredend ebenso. Ihr fiel vor allem ein Dolch mit fein beschnitztem Horngriff auf, den die Rondrianerin direkt neben ihrem Namensschwert trug. Die Frau selbst konnte ihren Stand nicht leugnen, allein im Gesicht bemerkte die Praios-Geweihte zahlreiche Narben, von der jene, die sich unter der Augenklappe bis zum linken Ohr zog sicher die eindrucksvollste war. Alinja war ein wenig blass, wirkte zumindest leicht angeschlagen. Im krassen Gegensatz hierzu stand die ruhige Gewissheit, die in ihrem dunkelbraunen Auge gloste. Ihre dunkelbraunen Locken fielen – akkurat geschnitten – etwas über die Schulter und es zeigte sich die ein oder andere weiße Strähne darin.
Die Stimme der Prätorin klang voll und angenehm melodiös, es war offensichtlich, dass die Custoda Lumini lange Jahre mit dem Studium der Choräle zugebracht hatte. „Die guten Götter zum Gruße, Rondra mit Euch und willkommen in der Halle des Gesetzes. Ich bin Heliopais, die Prätorin hier und – mein Novize sagte es mir bereits – Ihr seid Alinja Leuenklinge, die Prätorin von Lohenharsch. Gut getroffen, Schwester im Glauben. Kommt, wollen wir ein paar Schritte gehen? Ich gehe doch stark davon aus, dass dies nicht nur ein Antrittsbesuch ist, oder? Dafür wäre dem Schwertbund seine Zeit in Kriegstagen wohl zu kostbar, nicht wahr? Was kann ich also für Euch tun, Schwester?“
Alinja lächelte verbindlich. „An sich nicht, gutes Benehmen sollte auch dem Krieg nicht geopfert werden. Und darum“, sie verbeugte sich angemessen, „Praios zum Gruße und Dank für Euer Willkommen.
„Doch Ihr habt Recht, Schwester, es ist nicht nur ein Antrittsbesuch“, fuhr Alinja der Musterung zum Trotz gleichmütig fort. „Zuvor möchte ich Euch aber noch meine Novizin vorstellen“, sie wies auf Lanzelind, die sich erhoben hatte und halb hinter ihrer Schwertmutter stand. „Lanzelind von Rauheneck ist der Name der jungen Dame. Und nun möchte ich eurem Vorschlag gerne folgen und einige Schritte mit Euch gehen.“
Die Heliopais nickte der Novizin zu, während sie sie eingehend musterte. „Dann stammst Du aus dem Junkergeschlecht derer von Rauheneck in der Baronie Rotenforst, Tochter?“
Lanzelind hatte sich darauf eingestellt, den beiden Frauen wie ein Schatten zu folgen – in gleich bleibendem Abstand, schweigend und vor allem ohne weiter beachtet zu werden. Als nun die Praiota das Wort an sie richtete, hob die kleine Novizin überrascht den Kopf und warf ihr einen misstrauischen Blick zu, bevor sie mit klarer Stimme zu sprechen begann.
“Nein, Hochwürden, das tu ich nicht. Obwohl der Schluss natürlich nahe liegt“, sie bemühte sich um ein möglichst unvoreingenommenes Lächeln, “Das Stammlehen meiner Familie befindet sich in den nördlichen Ausläufern der schwarzen Sichel ... oder vielmehr: Hat sich befunden. Ostdarpatien eben.“ Damit schien Lanzelind ihre Rede schon schließen zu wollen, besann sich dann aber doch eines Besseren. “Mit dem Junkergeschlecht von Sturmrætzvallt verbindet mich allerdings eine entfernte Verwandtschaft, Hochwürden. Insofern habt Ihr also durchaus recht.“
Die Praiota nickte. „Ich verstehe. Auch das Land Irmegundes – Traviaerbarmesichihr – hat durch den Angriff der Unheiligen Allianz über alle Gebühr gelitten.“ Sie sann einen Moment nach und wandte sich dann wieder der Legatin zu. Diese ergriff nicht gleich das Wort, schritt erst schweigend neben Heliopais Wort, ehe ein Seitenblick der Praioranerin sie dann doch veranlasste, das Wort zu ergreifen.
„Es fällt mir nicht leicht, mein zweites Anliegen vorzubringen“, hub Alinja an. „Die Gefahr, missverstanden zu werden ist sehr groß. Wir kommen direkt aus Salthel, wo ich mit Eurem Bruder im Amte, ...“ sie verstummte kurz und warf einen Blick an die Decke der Halle, „gesprochen habe“, schob sie summend und mit Bedacht nach. „Dies hat mir ein Bild vermittelt, das mich – ich gebe es unumwunden zu, Schwester – mit Sorge erfüllt. Mir wurde wiederholt berichtet, dass jener Bruder Hensgar in seinem neu geweihten Tempel predigt, die Kirche Rondras laufe Gefahr, der Häresie zu verfallen. Manche schworen gar, er habe den Rondraglauben an sich als irrigen bezeichnet.“
Alinja ließ diese Worte wirken, ehe sie zur Seite sah und Heliopais nun ihrerseits musterte. „Ich gebe weder etwas auf Gerüchte, noch auf Dinge, die in diversen Gazetten stehen. Doch wenn sich etwas wiederholt, gehe ich dem nach. Aus diesem Grund war ich in Salthel und was ich dort gehört und gesehen habe, hat nicht zu meiner Beruhigung beigetragen. Ich nehme an, Ihr wisst, was ich andeute?“
„Das ist kaum noch Andeutung zu nennen, Schwester. Aber ich denke kaum, dass ich Euch missverstehe und Ihr tut gut daran, Euch zu sorgen, ja sogar Euch zu erregen.“ Die Praiota blickte Alinja fest an, lächelte dann und machte eine ausholende Geste mit ihrem Sonnenszepter.
„Im unergründlichen Mysterium von Kha haben die Götter, Praios ihnen voran, das Weltengesetz festgelegt und damit die zwölfgöttliche Ordnung offenbart. Diese Ordnung ist wahrhaftig und trefflich gefügt – wir als Diener des Götterfürsten sind gesandt, diese Ordnung zu bewahren und daher sollten wir uns selbst auch in Wahrhaftigkeit üben. Jedem Menschen ist in dieser Ordnung ein Platz zugewiesen, zum Guten, wie auch zum Schlechten, denn die Götter prüfen uns und messen uns an unserer Seelenkraft. Leider vergisst das so mancher, selbst unter den Dienern der Zwölf, wenn es darum geht Macht zu erhalten.
Dabei tut Ihr gut daran, Schwester, Gerüchten keinen Glauben zu schenken, denn Gerüchte säen Zwietracht und diese dient nur dem, oder besser wohl den, Widersachern.“
Erneut blickte die Praioranerin die Rondrianerin an. „Lange Jahre habe ich der Gemeinschaft des Lichts als Inquisitorin gedient, um diese Ordnung zu verteidigen. Und ja, ...“ Heliopais blickte sich um und sah Lanzelind dabei an, „... auch ich habe dafür gesorgt das Ketzer und Häretiker auf dem Scheiterhaufen ihre Sünden büßen konnten.“ Sie wandte sich wieder um und redete weiter zu Alinja. „Es ist jedoch so, dass nicht die Kräuterfrau in einem Dorf die wirkliche Gefahr ist, nur weil sie dem Irrglauben anhängt, Satuaria sei ihre Erlöserin. Solange sie den Menschen hilft, hat auch sie ihren Platz und vermutlich wird Peraine sich ihrer erbarmen, wenn der Tag kommt, da sie durch Uthars Pforte tritt. Der wirkliche Feind hingegen ist der, der sich unter dem Deckmantel des Glaubens verbirgt um Böses zu tun, wir haben derlei bereits in Göttertrutz im Tobrischen erlebt, wie mir meine Schwester Rahjande von Weißensee kundtat. Und seht, seit Seine Eminenz Luceo Ihrer Erhabenheit Ayla den Schild der Heiligen Aldare überantwortete, um die Sünden unserer Gemeinschaft zu sühnen und ein Zeichen für die Zwölfeinigkeit zu setzen, spätestens seitdem sollte man wissen können, dass ein Geweihter niemals nur einem Gott alleine dient.“
Heliopais hielt inne und blickte Alinja eindringlich an: „Und da ich außerordentlich froh bin, dass der Schwertbund mit seinen Geweihten die Zwölfgöttliche Ordnung gegen die Schwarzen Schrecken verteidigt, wie seine Göttin die Zinnen von Alveran gegen das Dämonengeschmeiß, sprecht frei heraus, was Ihr von mir wünscht, dass ich tue, Schwester.“
Alinja sah Heliopais fest in die Augen, während der Rede der Praiota war ihre Augenbraue kurz nach oben geschnellt, hatte das Auge selbst neugierig gefunkelt, doch der Augenblick verging einer Sternschnuppe gleich. Das Schweigen dehnte sich, dann lächelte Alinja, nicht zurückhaltend wie sonst, sondern offen und sehr erfreut, ein wenig überrascht vielleicht.
„Andeutungen sind die Waffen meines Standes wohl nicht, hm?“, summte sie belustigt. „Mag aber auch daran liegen, dass das, was wir in Salthel erlebt haben, nichts mit Andeutungen gemein hatte, wenngleich Euer Bruder sich doch sehr bemühte, seine wahren Absichten und Gedanken vor mir zu verbergen. Ich sehe aber, dass Ihr sehr genau wisst, worum es hier geht und das ist mehr, als ich zu hoffen wagte. Was ich wünsche, dass Ihr tut?“
Alinja verhielt und warf Heliopais erneut einen langen Blick zu. „Ich maße mir nicht an, in der Halle des Götterfürsten Wünsche zu äußern.“ Die Schwertschwester sprach aufrichtig. „Eure Worte waren mir Geschenk genug, Schwester. Ich möchte Euch aber bitten, Euren Blick weiterhin wachsam auf die Sichelwacht zu richten, insbesondere auf den speziellen Custos Lumini über den wir hier sprechen. Die Kirche Rondras wird seine Reden – ob nun offen oder verhüllt – auch zukünftig nicht überhören und sehr aufmerksam lauschen. Hochwürden Hensgar hat sich mir gegenüber äußerst unhöflich verhalten, ich habe ihn gewarnt, dass er an meiner Ehre kratzt, eine weitere solche Warnung wird es nicht geben. Ich sage Euch das offen heraus und hoffe, dass die Zusammenarbeit unsrer beiden Kirchen gedeihlich und nicht von Verblendung überschattet sein wird. Mir ist sehr daran gelegen und das nicht nur als Legatin der Erhabenen und der Eminenz des Nordens. Die zwölfgöttliche Ordnung zu erhalten ist unser aller Ziel und zudem das Vordringlichste, sei der Feind nun der Schwarzpelz, der Rotpelz oder die Renegaten der Heptarchen. Die Vielzahl der Fronten sollten den Blick für das Wesentliche schärfen und ich hege die Hoffnung, dass sie das an den entscheidenden Stellen auch tut, dea gratia!“
„Ich fürchte allerdings“, ergriff die Custoda Lumini nun das Wort. „dass gerade die Vielzahl der Feinde und die Unmenge der Dinge die im Argen liegen, den Blick vieler trübt. Oder vielleicht sollte ich sagen, dass gerade in der verzweifelten Lage, in der sich die Gemeinschaft des Lichts befindet, durchaus jene Kräfte erstarken, die unzweifelhaft nicht in der Lage sind die Ordnung aufrecht zu erhalten, weil sie vom moralischen Aspekt der Ordnung, nämlich der Wahrhaftigkeit, wenig oder erschreckender gar nichts verstehen.“
Heliopais hielt inne und blickte zum Hochaltar hinüber, auf dem der Gott standhaft Wacht hielt. Dann wandte sie sich wieder an Alinja. „Die Hierarchie, die heilige Herrschaft, die Struktur der Gemeinschaft sind nachhaltig erschüttert. Überall rühren sich jene, die mit Wut im Herzen Ordnung halten wollen. Das geht nicht gegen Euch, Schwester, denn ich weiß, dass Rondra ihre Priester ebenfalls mit heißem Zorn ausstattet. Wut jedoch scheint mir ein schlechter Ratgeber zu sein, wenn man in Kopf und Herz des Menschen pflanzen will, was sie dazu bringt den Segen in der Zwölfgöttlichen Ordnung zu finden und diese dann zu leben. So mag ich kaum zu sagen, was oder wen sie mir als nächstes schicken. Seine Erhabene Weisheit ringt um den Weg, den unsere Kirche einzuschlagen hat und ich bete inständig um Erleuchtung, damit mein Weg weiter im Licht liegt.“
Alinja konnte erkennen, dass die Prätorin mit der ganzen Entwicklung nicht zufrieden war, sowohl ihre Körpersprache wie auch ihr Unterton verrieten Enttäuschung.
„Wisst Ihr, Schwester, es ist einfach mit Angst und Schrecken zu regieren. Viel schwieriger ist es mit Liebe und Wahrhaftigkeit die Herzen zu öffnen. Der Großinquisitor, ah, das wisst Ihr vielleicht noch nicht, Amando Laconda da Vanya wurde auf dieses Amt berufen, hat das trefflich erkannt; der Bannstrahl hingegen eher nicht. Aber er formt das Bild meiner Kirche in den Köpfen der vielen. Was Wunder, dass sich auch Geweihte dem Trug hingeben so ihren Auftrag erfüllen zu wollen. Ich werde versuchen ein genaues Auge auf das Wirken meines Amtsbruders zu haben, denn einen Schulterschluss, den die Frau von Schattengrund und der Herr de Ghuné getan haben, will ich nicht durch Eitelkeit und falsch verstandene Theologie gefährdet sehen. Allein, weiß ich momentan nicht, wie weit mein Einfluss reicht.“
Das Lächeln der Heliopais wurde schmerzlich: „Noch vor drei Jahren, da wäre es anders gewesen, da hätte ich auf die Macht der Sonnenlegion gezählt und solche Rede im Keim erstickt – o tempora, o mores.“
„Nun, Schwester, alle Kirchen, die in den letzten Jahren im Kampf gegen die mannigfaltigen Herausforderungen standen, haben inzwischen mit den Folgen zu kämpfen. Sicher hat es die Gemeinschaft des Lichts besonders hart getroffen. Ich sehe die Gefahren, die ihr ansprecht durchaus. Aber Krisenzeiten lassen oft das Beste zu Tage treten, viel öfter leider auch das Schlechte. Doch“, Alinja lächelte vielsagend, „einmal im Licht sind sie wenigstens greifbar. Es ist an Geweihten wie Euch, Eure Gemeinschaft zu formen, die Queste anzunehmen und zu meistern, auf das die Elemente von denen Ihr eben gesprochen habt niemals obsiegen. Wie sagte ihre Erhabenheit Ayla kürzlich bei der Zwölfgöttertjoste doch so trefflich: Unsere geringe Zahl gereicht uns zur Ehre. Nunmehr müssen wir Probleme wieder selbst lösen, können nicht in den nächsten größeren Tempel reiten und mit einer ganzen Lanze Geweihter zurückkehren, um der Verderbnis die Stirn zu bieten. Nein, jeder Geweihte ist heute auf sich selbst gestellt und daran wachsen wir, werden besser als je zuvor.“
Alinja sah Heliopais mit warmem Lächeln an. „Mir scheint, Praios- und Rondrakirche hatten nur selten so viel gemein. Und vielleicht ist es heute so, dass Ihr von uns lernen könnt, denn der Kampf gegen übermächtige Gegner ist unser Credo und noch immer gibt es uns, nur wenige zwar, aber nicht zu übersehen. Unser Zorn hilft uns dabei, denn wir streben von jeher die Meisterschaft darüber an. Wie ich diese Skutigera derzeit schule, wurde auch ich ausgebildet: Der Geist bestimmt über die Wut und über den Leib. Die Seele bestimmt, wann es geboten ist, dem Zorn die Herrschaft zu überlassen, weil es der Herrin Wille ist. So genutzt, ist Zorn ein mächtiger Verbündeter, dessen ich mich auch nicht schäme. Ihr, Schwester, braucht die Sonnenlegion nicht, um Macht auszuüben. Ihr habt Eure Zunge, Euren Verstand und – das wichtigste von allem – Euren Glauben. Was braucht es mehr um einem anmaßenden, verirrten Wicht die Stirn zu bieten und ihn auf seinen Platz zu verweisen? Ist es nicht schon mehr als genug, dass wir in dieser Sache an einem Strang ziehen? Hensgar isoliert sich selbst und ich denke, er wird es nicht wagen, seinen Bannstrahler auf vermeintliche Ketzer zu hetzen, denn wenn er es tut, werden wir über ihn kommen, wie der Donnersturm. Wir sind wenige, aber wir sind unser sehr gewiss.“
„Wir haben in der Tat einiges gemein; ich danke Euch für die freundlichen Worte, Hochwürden.“ Die Priesterin lächelte Alinja an. „Und in der Tat erfüllt das Wort meines Herrn mein Herz und meinen Geist mit lodernder Macht – daran können auch diejenigen nichts ändern, die ihre Beschränktheit derart laut hinausposaunen. Allein, ich denke, dass es angezeigt ist, dem Ordentlichen Inquisitionsrat der Weidenlande, Patras Welzelbogen, einen Brief zu schreiben, um den Verfall der Sitten anzumahnen. Immerhin ist ja die Herzogin per Kaiserspruch verpflichtet einen Inquisitionsturm zu unterhalten – und der Herr Welzelbogen ist ein sehr gewissenhafter Questor, da sollte man doch dieses Instrument auch nutzen, nicht wahr? Noch heute Abend werde ich einige Zeilen gen Trallop senden und Euch Kunde geben, wenn sich etwas tun sollte. Denn was wir, oder besser jene, deren Seelenheil wir zu retten angetreten sind, unter keinen Umständen brauchen, ist Zwist und Hader unter den Dienern der Zwölf. Das kann und darf nicht sein, denn die Zwölfe sind heilig und unteilbar!“
Heliopais hielt inne und blickte erst Lanzelind und dann Alinja an. „Würdet Ihr mir dennoch das Vergnügen bereiten ein Mahl mit mir und Olin, das ist mein Novize, zu teilen? Ich muss gerade feststellen, dass ich offenbar vergaß seit vorgestern etwas zu mir zu nehmen, und das rächt sich nun. Ein beständiger Geist ist zwar wichtig, aber man sollte auch seine Körperlichkeit nicht vergessen, eh?“
Alinja sann noch darüber nach, wie sie sich mit dem Gedanken anfreunden sollte, auf ihr Wirken hin einen Inquisitor in Marsch gesetzt zu wissen, da überraschte sie Heliopais mit ihrer unerwarteten Einladung. Sie blinzelte überrascht, lächelte aber sogleich freundlich und neigte das Haupt. „Wir danken Euch für die Einladung und nehmen sie gerne an, Hochwürden.“
Ein kurzer Seitenblick auf die junge Rauheneck offenbarte ihr zwar, dass Lanzelind dieser Einladung ganz sicher nicht ‘gerne’ folgen würde, aber Alinja ging darüber hinweg.
Es wurde Zeit, dass Lanzelind lernte zu differenzieren, ob es ihr nun gefiel, oder nicht.