Dramatis Personae

 



Rittergut Pergelgrund, Dergelquell, Travia 1033 BF

Emmerich rieb sich seine müden, von dunklen Ringen gezeichneten Augen. Er legte seinen Kopf in den Nacken und blickte suchend in den dämmrigen Morgenhimmel. Seit der entsetzlichen Niederlage der Heldentrutzer Ritterschaft gegen den Drachen Feracinor und immer mehr Berichten über dessen angebliche Umtriebe in den Baronien entlang des Finsterkamms, war auch er als gelegentliche Torwache von Ritter Hainrich von Gugelforst zu noch größerer Vorsicht aufgerufen worden. Sinnierend ließ der junge Bursche seinen Blick über die rohen Holzhäuser und Hütten Pergelgrunds schweifen; vereinzelt sah er schon einige der Dörfler ihrem Tagwerk nachgehen – so wurden bereits Schafe auf die Weide vor das Dorf getrieben, der Schmied feuerte seine Esse an und auch in den vielen Kräutergärten der ansässigen Bauern herrschte bereits reger Betrieb. Sein Blick blieb am schwer befestigten Gutshaus der Pergelgrunder Ritter hängen, von welchem sich drei Reiter lösten. Mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen erkannte er Ritter Hainrich von Gugelforst, gerüstet in ein langes Kettenhemd und stählerne Arm- und Beinschienen unter seinem von der Sonne ausgezehrten Wappenrock auf seinem edlen schwarzen Schlachtross. Flankiert wurde er vom Waffenknecht Rulman und dem Jäger Ragnir, die sich gemeinsam mit ihm der Palisade des Dorfes näherten.

„Rondra zum Gruße Herr“, grüßte Emmerich den Ritter und deutete dabei eine knappe Verbeugung an. Hainrich jedoch erwiederte diesen Gruß nicht, sondern blickte unentwegt zum nahen Waldrand. „Sag an, gibt es etwas Neues von draußen?“ Fragte der Ritter von Pergelgrund und deutete mit einem leichten Kopfnicken hinaus vors Dorf. „Nein Herr keine besonderen Vorkommnisse.“ Der Ritter nickte knapp und wandte sich nun erstmalig dem jungen Knecht zu. „Wir brechen zu unserem Kontrollritt auf. Rulman wird dich nach unserer Rückkehr ablösen.“ Der Ritter fuhr sich mit seiner Rechten durch sein braunes Haar und ritt mit seinen beiden Begleitern von dannen.

Der junge Emmerich blickte den Reitern nur kurz nach, dann wurde seine Aufmerksamkeit von etwas anderem in Anspruch genommen. Die hübsche Magd Birsel, die ihren Dienst im Gutshaus verrichtete, war gerade damit beschäftigt für ihre schwangere Herrin Aerin frisches Wasser vom Dorfbrunnen zu holen. Der junge Knecht sah sich nach Birsel um und lief rot an, als sie ihm eine Kusshand schickte. Emmerich war gerade zu vernarrt in die junge blonde Frau mit den grünen Augen. So vernarrt, dass er für ein kurzes Lächeln seiner Angebeteten sogar seine Pflichten vernachlässigte und den Himmel für einige Momente unbeobachtet ließ...


Zur selben Zeit in der Halle des Gutshauses

Aerin blickte lächelnd auf den kleinen Bogumil. Ihr Erstgeborener saß vor ihr auf dem Boden der Halle und spielte mit einem kleinen, geschnitzten Holzpferd. Sie war stolz auf ihren Sohn – er entwickelte sich prächtig und war noch dazu ein kräftiges, aber dennoch sehr ruhiges Kind. Die Ritterin streichelte sich über ihren runden Bauch.

„... und bald bekommst du ein kleines Brüderchen oder Schwesterchen ...“, sprach Aerin in mildem Ton mehr zu sich selbst, als zu ihrem anwesenden Sohn. Einige Schritt neben Bogumil saß Alanel, der Bastardsohn ihres Gemahls mit einer Elfe Ohaia aus der Sippe Valbornfûrn. Aerin verachtete dieses Spitzohr ebenso, wie sie anfangs dieses Balg verachtete. Doch inzwischen war einiges an Wasser den Pergel hinabgeflossen und sie litt die Anwesenheit Alanels, auch wenn sie es eben nicht gern sah, dass die beiden miteinander spielten.

„Birsel bitte sei doch so gut und bringe mir etwas Kräutertee.“ Aerin wandte sich an ihre junge Magd, die neben ihr saß und gerade damit beschäftigt war eine Hose zu flicken. „Ja Herrin.“ Mit flinken Schritten huschte die hübsche Magd mit einem Holzeimer aus der Halle zum Dorfbrunnen, um etwas Wasser für den Tee zu holen. Aerin blickte ihrer Magd einige Momente lang nach, dann wandte sie sich lächelnd wieder ihrem Sohn zu. Einige Momente vergingen, als die familiäre Idylle durch den langgezogenen Ton des Signalhornes gestört wurde ...



Wenig später im Wald nahe Pergelgrund, Dergelquell, Travia 1033 BF

Hainrich und seine beiden Begleiter ritten Seite an Seite den schmalen Weg entlang, der sie aus dem Tal in Richtung Papenstein, des Hauptortes der Baronie führte. Rechter und linker Hand der dreiköpfigen Gruppe erhoben sich mächtige Bäume und dichte Sträucher, aus dem Wald waren vereinzelt Geräusche von Tieren zu hören. Die Augen der drei Reiter suchten immer wieder die Räume zwischen den dicht stehenden Bäumen, dem Buschwerk und dem dunklen Unterholz ab, jedes Knacken, jeder auffällige Vogelruf und jedes seltsame Windgeräusch ließen die drei aufmerken und erneut Ausschau halten. Der Jäger Ragnir lehnte sich entspannt im Sattel zurück und sog tief die frische Waldluft ein. Plötzlich machte er am Himmel einen großen, einem Drachen ähnelten Schemen aus, der über dem Tal und dem Dorf seine Kreise zog.

„Äh H... Herr, seht ...“, sprach der Jäger mit zittriger Stimme und zeigte mit seiner Hand in den Himmel, „... d... der Drache. E... Er fliegt zum Dorf! Stirnrunzelnd beobachtete Hainrich einige Momente lang den wolkenlosen Himmel durch die dichten Baumkronen, dann wendete er, drückte seinem Hengst Astaran die Fersen in die Flanken und preschte über den Weg zurück in Richtung Dorf ...


Zur selben Zeit am Dorfplatz

Emmerich hob seine Hand zum Gruß und lächelte Birsel ebenfalls zu. Nachdem er sich versichert hatte, dass ihn niemand beobachtet eilte er im schnellen Schritt weg vom Tor hin zum Dorfbrunnen, bei welchem seine Liebste gerade damit beschäftigt war ihren Holzeimer mit Wasser zu füllen. Mit einem erwartungsvollen Ziehen in seinen Lenden schloss er die Magd in seine Arme und drückte sie nach einem kurzen Kuss fest an sich. Birsel jedoch stieß in diesem Moment einen spitzen Schrei aus und wand sich verzweifelt aus seiner festen Umarmung. Erst jetzt bemerkte Emmerich den am Himmel kreisenden Drachen. Er fasste seinen Jagdspieß fester, bedeutete Birsel mit einer Handbewegung sich im Gutshaus zu verstecken und blies kräftig in das Signalhorn. Der lang gezogene Warnton rief die wehrfähigen Pergelgrunder zu den Waffen und bedeutete den Kindern, Alten, Schwachen und Kranken sich in Sicherheit zu bringen ...


Wenig später

Aerin verließ im schnellen Schritt das Gutshaus. Ihr bot sich ein Bild des Schreckens. Überall liefen laut jammernde Menschen aufgeregt hin und her; einige versuchten das verängstigte Vieh zu beruhigen, wieder andere machten sich gerade daran mit Wassereimern die in Flammen stehende Hütte nahe der Palisade zu tragen. Die junge Ritterin legte flehentlich ihren Kopf in den Nacken und blähte die Nasenflügel. Über dem ganzen Dorf lag der Geruch von verbranntem Holz und verbranntem Fleisch. In der Nähe der Palisade lagen eine Hand voll Leichen, vor der Palisade dutzende Schafe und Ziegen – alle hinweggefegt durch den Odem des Todes und auch die Hütte des alten Bauern Wulfgrimm stand noch immer in Flammen. Der Angriff des Drachen war kurz, aber umso schmerzvoller und trotzdem mussten sie alle froh sein, dass der Drache anscheinend schnell seine Lust an diesem Angriff verlor und sich bald wieder davon machte.

„Wie viele?“, fragte Aerin den eben herbeigeeilten Knecht Emmerich mit leiser und geknickt wirkender Stimme. „Herrin, sieben gute Männer und Frauen haben wir verloren, doch ...“, er stockte kurz, Tränen kullerten seine jungen Wangen hinunter, „... doch haben wir auch einen großen Teil unseres Viehs und der bei Wulfgrimm gelagerten Vorräte verloren ...“ „Rondra steh uns bei ...“, Aerin wirkte nach Bekanntwerden dieser Tatsache nur äußerlich gefasst.

Sieben ihrer Schutzbefohlenen ließen ihr Leben und mit den verbleibenden Vorräten und Vieh werde sie niemals alle Bewohner des Dorfes über den Winter bringen. Ohne dem Knecht auch nur einen weiteren Blick zuzuwerfen schritt Aerin langsam zur äußeren Palisade des Dorfes. Hier lagen die verbrannten und entstellten Leichen der gefallenen Pergelgrunder. Aerin fiel auf die Knie und sprach ein stummes Gebet, als sie sich wieder aufrichtete nahm sie der eben angekommene Hainrich tröstend in den Arm.

„W... Ich dachte du bist auf deinem Kontrollritt ...“, sprach sie mit tonloser Stimme. „Ja waren wir auch. Als Ragnir den Drachen über dem Tal erblickte machten wir sofort kehrt ...“, sein Blick schweifte über die Leichen und die zerstörte Hütte Wulfgrimms, „... doch anscheinend kamen wir zu spät.“ „Das hätte nichts geändert…“, unterbrach sie ihn, „... wohlmöglich hätten wir dann noch mehr Tote zu betrauern, doch sieh nur das tote Vieh ... Wir werden es nicht über den Winter schaffen ...“, sprach Aerin bevor sie sich von ihm zurückzog und wieder hinauf zu Gutshaus schritt ...


Gehört am nächsten Tag in der Halle des Gutshauses

“Du willst was? Bei den Göttern... . Du, du Narr!“ Die schneidend-scharfe weibliche Stimme mit spöttischem Unterton überschlug sich fast beim Reden. Unterbrochen wurde diese nur von einer ruhigen, tiefen, männlichen Stimme, der man, im Gegensatz zur weiblichen Stimme, auf Grund der gedämpften Tonlage anmerkte, dass das eben gesprochene nicht für jedermann bestimmt war: „Es ist die einzige Möglichkeit, wie wir es vielleicht doch über den Winter schaffen ...“ „Pah einzige Möglichkeit! Du Narr, du versündigst dich an den Göttern!“ „So? Willst du den Tod von vielen guten Männern, Frauen und Kindern verantworten? Es wird niemand zu Schaden kommen, das schwöre ich dir.“ „Es muss aber eine andere Möglichkeit geben, es muss ...“„Ahso? Und welche? Der Graf schert sich doch nicht um uns. Und Leufels? Leufels ist bemüht und ein Mann von Ehre. Er würde uns wohl möglich sogar helfen, doch er KANN es nicht, verstehst du? Er hat doch selbst kaum genug um zu leben.“ „Hm, aber dein Weg ist ebenso der falsche, doch wenn es wirklich so nötig ist dann geh! Geh und versuche dein Glück, doch versündige dich nicht. Schwöre mir das?“ „Ja ich schwöre es dir Liebste. Ich breche morgen beim Aufgang des Praiosmales auf. Rulman, Ragnir, Emmerich, Lynde, Erlmann und Holwar werden mich begleiten. Sorge dich nicht, denn wir werden weder die Farben Pergelgrunds tragen, noch unsere Gesichter zeigen.“ „Mögen dir die Götter beistehen Hainrich von Gugelforst, denn du weißt nicht was du tust ...“



In einer Schenke nahe Radbruch, Herzoglich Weiden, einige Wochen später

Über einem Praioslauf war Praiotin nun schon unterwegs - von Nordhag kommend nahm er gemeinsam mit seinen Knechten und Söldlingen den nicht ungefährlichen Nornstieg in Richtung der Stadt der Greifin. Der junge Händler war zufrieden mit sich; Er kam gut voran und auch die ihm angedrohten Übergriffe durch Orks oder Raubritter blieben aus – sollte es so weiter gehen, dann wird es ein leichtes sein das Nordhager Porzellan und Salz termingerecht zu liefern. Der Herbst ging in den Winter über, es war meist kalt, neblig und feucht im Schatten des Finsterkamms. Noch während die letzten Strahlen der Praiosscheibe das Land wärmten, beschloss Praiotin die Nacht in einer kleinen Wegtaverne nahe des Dörfchens Radbruch zu verbringen. Den Einwand eines Söldners, man solle doch innerhalb Radbruchs um Unterkunft bitten wusch der junge Händler mit der Begründung hinweg, dass der verarmte Heldentrutzer Adel mit Sicherheit Mittel und Wege finden werde, ihn auszunehmen wie der Traviapriester eine Wildgans am Tag der Treue.

Mit lauten Rufen wies er seine Knechte nach der Ankunft an die Waren und Pferde zu versorgen. Die vier Söldlinge wurden in zwei Paare geteilt, welche abwechselnd Wache schoben, denn auch wenn der Wirt ihm versicherte, dass seine Wägen in der Scheune nahe der Taverne sicher sind, wollte er ihm nicht so recht glauben. In der Schenke selbst herrschte nur wenig Betrieb. Viele der Tische waren leer, einzig eine kleine Reisegruppe, bestehend aus drei Männern und einer jungen Frau besetzte einen Tisch am hinteren Ende der Schankstube.

„Wirt, drei Bier!“ Rief Praiotin in Richtung des Tresens, an welchem der Wirt gerade damit beschäftigt war einige Humpen trockenzuwischen. Er bat die beiden Söldner zu sich an den Tisch und speiste und trank mit ihnen. Praiotins Blick schweifte währenddessen immer öfter zu der jungen Dame am Nebentisch, der Kleidung nach würde er sagen es handle sich bei ihr wohl um eine Magd, die anscheinend nicht ihre Augen von ihm lassen konnte. Mit einem Lächeln grüßte er sie und frohlockte innerlich als sie aufstand und zu ihm herüber kam.

„Verzeiht“, sprach sie, als sie sich unaufgefordert zu ihnen an den Tisch setzte, „Ihr seht aus wie ein Händler.“ „Und wenn es so wäre?“ Praiotin zog verblüfft eine Augenbraue hoch. „Dann würde ich Euch raten innerhalb des nächsten Dorfes zu nächtigen.“ Sagte sie spitz. „Es ist eine gefährliche Gegend hier draußen. Gerade jetzt wo doch hier eine neue Bande ihr Unwesen treibt…“ Der junge Händler lächelte, er schien die Warnung der Magd nicht ganz ernst zu nehmen. „Weist du ich kann ganz gut auf mich aufpassen und überhaupt ist es nicht das erste Mal, dass ich hier vorbei komme. Ich kenne die Gefahren und ich bin darauf vorbereitet…“, nach einem Seitenblick auf seine Söldner fuhr er fort; „…neue Bande hin oder her. Ich habe vier Söldner, die mich begleiten.“ „Vier Söldner…“, sprach sie gespielt beeindruckt, „…dann habt Ihr also gar wertvolle Waren bei Euch?“ „Lassen wir das…“, erwiderte Praiotin unwillig noch weitere Fragen dieses Frauenzimmers zu beantworten, „…trinke mit uns.“ Die junge Magd schien Praiotin zu gefallen. Sie trug ein eng anliegendes Kleid aus gewöhnlichem Linnen, welches ihre weiblichen Rundungen besonders schön zu Geltung brachte. Ihr rundes, herzliches Gesicht wurde durch ihre wunderschönen braunen Locken eingerahmt.

„Wie heißt du denn Mädchen?“, fragte er, während er sichtlich an ihr interessiert, ihren Körper musterte. „Lynde.“ Antwortete sie knapp. „Und das dort hinten sind deine Herren, Lynde?“ „Ach nein ich habe keinen Herren. Meine Herrin hat mich vom Hof gejagt, als ich schwanger ging.“ Sie deutete auf ihren flachen Bauch, der jedoch nicht im Geringsten auf eine Schwangerschaft schließen ließ. „Jetzt versuche ich mich nach Waldscheit durchzuschlagen, doch schaffe ich es alleine nicht.“ Traurig senkte sie den Kopf. „Waldscheit? Komm doch einfach mit uns mit. Wir reisen nach Greifenfurt und Waldscheit liegt ja fast am Weg.“ „Oh Herr wie kann ich Euch nur dafür danken?“ Lyndes Gesicht hellte sich schlagartig wieder auf. „Nun ja, da gibt es schon etwas wie du mir dienen kannst…“, sprach er mit einem schelmischem Gesichtsausdruck, als er sie mit der Hand im Schoß berührte.

Lynde nickte und bedeutete ihm schon einmal vorzugehen um in seiner Kammer auf sie zu warten. Sie blickte ihm noch kurz nach, dann stand sie auf und schritt zurück zum Tisch, an welchem immer noch die drei Unbekannten saßen. „Wie viele?“ Sprach ein breit gebauter Mann in gedämpfter Stimme. „Hoher Herr es sind vier Söldner und einige Knechte. Sie reisen nach Greifenfurt ...“, antwortete ihm die junge Frau. „Sehr gut, lasst uns aufbrechen ...“, sprach er zufrieden lächelnd, dann standen auch seine beiden Begleiter auf und verließen, unter misstrauischen Blicken der beiden Söldner des Händlers, zusammen mit Lynde die Schenke.



Festung Hohenstein, Mitte Boron 1033 BF

Landvogt Firutin von Hohenstein zu Weiden saß an der Tafel in der Großen Halle und war gerade damit beschäftigt sein Abendmahl einzunehmen. Plötzlich öffnete sich das Tor; herein stolperte mit schnellen Schritten einer seiner Leibeigenen.

„Euer Hochgeboren ...“, mit einer kurzen Verbeugung bat er um das Gehör seines Herren, welcher nur ein kurzes, unwilliges Knurren von sich gab. „Herr ... ein Händler aus Greifenfurt. Er…Er möchte Euch sprechen.“ Stammelte der Knecht weiter. Firutin machte jedoch nur eine kurze Handbewegung mit welcher er ihm bedeutete, er solle den Händler eintreten lassen. Es verging ein kleiner Augenblick, als sich das Tor ein weiteres Mal öffnete; herein trat ein junger Mann in edler Kleidung. Sogleich zog er sich den Hut vom Kopf und beugte ein Knie vor dem verdutzt wirkenden Landvogt. „Euer Hochgeboren entschuldigt die Störung zu dieser späten Stunde ...“ Spott blitzte in Firutins Augen auf; „Steht auf wenn Ihr etwas Rechtes seid, Mann!“ Sagte er amüsiert und legte seine Bratenkeule auf den Holzteller zurück. „Sprecht, wer seid Ihr und was wollt Ihr?“ Fügte der Landvogt hinzu, nachdem er seinen Mund mit dem Ärmel seines Hemdes säuberte. Der eben eingetroffene richtete sich auf.

„Nun Herr ich bin gekommen um Euch über die fürchterlichen Zustände am Nornstieg zu berichten.“ „So?“ Fragte Firutin lauernd. „Ja nahe Radbruch bin ich mit meinen Männern in einen Hinterhalt geraten ...“, antwortete der junge Händler mit erregter Stimme, „In einem kleinen Waldstück wurden wir von vermummten Reitern überfallen, die abgeschlagene Orkenschädel als Feldzeichen führten ...“ „Einen Orkfladen erzählt Ihr mir, Bursche!“ Firutin von Hohenstein platzte nun sichtlich der Kragen. Er ließ sich von so einem verweichlichten Burschen nicht darüber aufklären, dass es in seinem Lehen Probleme gab. Er wusste um die Umtriebe des verfemten Borka Fälklin, doch war es ihm neu, dass er seine Angriffe nun vermummt und unter einem „Feldzeichen“ ausführte. Mit harscher und spottender Stimme fuhr er fort: „Ich danke Euch für die Nachricht, die Ihr mir überbracht habt. Solltet Ihr ein Quartier für die Nacht benötigen wendet Euch an einen der Knechte, doch nun lasst mich zu Ende speisen. Ich werde die nötigen Schritte einleiten, um mich dieses Problems anzunehmen ...“

Nachdem der Händler sichtlich dankbar die Halle verlies, stieß Firutin einen lauten Seufzer aus. Als hätte er mit Orks und dem Drachen nicht schon genug zu tun, jetzt spazieren ihm hier auch schon solche Händler-Pfeifen in die Halle. „Rondradan!“, rief er und Momente später schritt ein schüchterner Jüngling in einem grün-weißen Wappenrock in die Halle. „Schicke mir Blaubinge, ich habe etwas für ihn zu tun. Aber zack-zack.“ Mit einer ausladenden Handbewegung trieb er den Knappen noch zusätzlich an, der sogleich die Halle verließ um seinen Auftrag auszuführen. Firutin von Hohenstein blickte noch einige Momente still vor sich hin – die Worte des Händlers gingen ihm einfach nicht aus dem Kopf…


Am nächsten Morgen

„Ah Blaubinge, sehr gut ...“, Landvogt Firutin von Hohenstein richtete sich erfreut in seinem Ledersessel auf und blickte auf den eben Eingetretenen. Es war ein junger Ritter von schlanker Gestalt, gewandet in den schwarzen Wappenrock der Finsterwacht, welcher auf der Brust einen silbernen Turm zeigt. Darunter trug er ein langes Kettenhemd und dazu noch dunkelbraune Lederbeinlinge und Handschuhe, schwarze Reiterstiefel und, bedingt durch die bereits herrschende Kälte, einen schweren schwarzen Wollumhang.

Mit einer leichten Verbeugung grüßte Ailfir Blaubinge von Pergelgrund seinen Lehnsherrn. „Euer Hochgeboren, Ihr wolltet mich sprechen?“ Sprach er und wärmte sich einige Momente händereibend am nahestehenden Kamin auf. „Jaja, setzt Euch ...“, mit einer einladenden Geste wies der Landvogt seinem Gegenüber an sich zu ihm an den Tisch zu setzen, „ ...ich nehme an Ihr habt Hunger. Ich lasse Euch sogleich etwas bringen.“ Firutin wollte sich sogleich zu seiner in der Halle stehenden Magd umwenden und sie um das Auftragen eines zweiten Tellers zu bitten, als sein junges Gegenüber ihn mit einer abwehrenden Handbewegung daran hinderte. „Habt Dank, Euer Hochgeboren, doch mir scheint Euer Ruf war sehr dringlich. Es wäre mir lieber wenn Ihr mich sogleich einweihen würdet.“

„Nun gut ...“, antwortete ihm der Landvogt, „Ihr wisst um die ... hm ... sagen wir schwierige Situation, in welcher wir uns zur Zeit befinden.“ Ailfir nickte mit eiserner Miene. „Das Drachenvieh wird seit unserer Niederlage immer dreister und auch der Ork scheint unsere momentane Schwäche nutzen zu wollen. Ich muss Euch ja nichts davon erzählen, dass immer öfter kleinere Gruppen der Schwarzpelze in unserer Gegend gesichtet wurden. Keine Ahnung was die vorhaben, aber die Bauern rennen mir die Tür ein. Die trauen sich ob dieser ...“, Firutin verzog verächtlich sein Gesicht, „... Orkgefahr nicht mehr hinaus auf die Felder. Und das obwohl nicht bekannt wäre, dass die Orks aggressiv gegen unsere Ansiedlungen vorgehen würden. Nun ja bis auf die eine Sache bei Euch unten in Travienlob eben.“ Nach einer kurzen Pause und einem kurzen Blick in Ailfirs tiefe, blaue Augen, welche in diesem Moment traurig und leer wirkten, fuhr er fort. „Doch Blaubinge, dies ist nicht der Grund für meinen Ruf nach Euch.“

„Nicht ... ?“ Fragte der junge Ritter mit einer vor Verwunderung hochgezogenen Augenbraue. „Nein. Mir wurden Berichte zugetragen, dass am Norrstieg eine neue Bande ihr Unwesen treibt.“ „Orks?“ Ailfir lehnte sich interessiert nach vorne. „Nein, anscheinend Menschen, doch wiedersprechen sich Berichte über diese Bande. Obwohl nicht wenige sagen, es handle sich um Gesichtslose oder Dämonen, die Frauen und Kinder rauben und eine blutige Schneise durchs Land ziehen, ist mir kein Mensch bekannt, der unter den Schwertern eben dieser Räuber an Leib und Leben zu Schaden kam. Gestern dann brachte irgend so ein verweichlichter Greifenfurther Händler hier in der Halle vor, dass er nahe Radbruch überfallen wurde. Pah ehrloses Händlerpack …“, Landvogt Firutin spie verächtlich auf den Boden, „Steuern und Wegzölle wollen sie keine zahlen, doch wenn ihnen einmal jemand zu nahe kommt, kommen sie angekrochen – dann soll es der Adel richten! Unsereins würde sich selbst darum kümmern, nicht?“ Leise lachend klopfte Firutin seinem jungen Gegenüber auf die Schulter und fuhr nach einer kurzen Pause fort. „Blaubinge ich möchte, dass Ihr dieser Sache auf den Grund geht. Sammelt mir Informationen über diese Halunken und hindert sie, wenn möglich, daran weitere Überfälle auszuführen. Nehmt Euch ein oder zwei Waffenknechte aus meinem Gefolge und zieht nach Radbruch.“

Dem fragenden Blick des sich langsam erhebenden Ailfirs entgegnete er mit einem Fausthieb auf die schwere Tischplatte. So fest schlug der Landvogt auf die Tafel, dass alle Becher und Teller in seiner unmittelbaren Nähe einen Hüpfer machten. „Bei den Göttern auf was wartet Ihr?! Ich habe Euch schließlich nicht als optischen Aufputz in meine Halle rufen lassen!“



Einige Tage später bei Radbruch, Herzoglich Weiden

Laut seufzend blickte Corian auf ein kleines Rinnsal, welches von seinem breitkrempigem Hut floss. Dieser für den Boron-Mond so typische Nieselregen behagte ihm nicht. Doch nicht nur der eben aufgezogene Regen erweckte seinen Missmut, sondern auch dieses Frauenzimmer, das ihm letzte Nacht in dieser Wegtaverne durch die Lappen ging. Erst warf sich ihm dieses braun-gelockte Weibsbild an den Hals, bezirzte nach allen Regeln der Kunst, fragte ihn über seine Tätigkeit als Händler aus, interessierte sich noch dazu über seinen jetzigen Auftrag und dann war sie vom einen auf den anderen Moment aus der Schenke verschwunden. Corian schüttelte den Kopf als ein weiteres Rinnsal seinen Rücken herunter lief.

Seine Eskorte, bestehend aus vier Söldnern, ertrug das unwirtliche Wetter mit beinahe stoischer Gelassenheit. Nun schritten sie schon ein geschlagenes halbes Stundenglas über einen Waldweg, als plötzlich Bewegung in die Männer der Eskorte kam. In etwa hundert Schritt vor ihnen stand ein einsamer Reiter auf dem Waldweg. Während sich die Söldlinge in knappen Worten darüber einigten einen der ihren nach vorn zu schicken kniff Corian seine Augen angestrengt zusammen um etwas Auffälliges am Unbekannten ausmachen zu können; er erkannte einen Reiter in einem wallenden Kapuzenumhang auf einem dunklen Ross, welcher in seiner Linken eine Bannerstange mit zwei darauf baumelnden, unförmigen Dingern trug.

„Alarm, Ihr Narren kommt zurück und schützt den Wagen …“ Sogleich schoss es dem Händler in den Kopf. „… Räuber!“ Die verdutzt wirkenden Söldner nahmen sogleich Aufstellung und blickten in das nahe Unterholz, konnten jedoch niemanden ausmachen. Einen Wimpernschlag später vernahm Corian das Sausen eines Pfeiles, beinahe zeitgleich begleitet mit einem schmerzhaften Aufstöhnen eines der Söldner. Die restlichen Männer der Eskorte blickten nur kurz auf ihren am Arm verwundeten Kameraden und suchten Deckung beim zu beschützenden Wagen. Momente später schall ein Pfiff, begleitet von Hufgeklapper durch die feuchte Luft. Drei Reiter, angetan in dunkle Lederkleidungen und Kapuzenmäntel bewegten sich auf die Gruppe zu – einer der Dreien, allem Anschein nach der Anführer, auf einem starken, schwarzen Schlachtross, die anderen beiden auf eher schwächlichen, unschönen Tieren. Die Gesichter der drei Reiter waren bedeckt von ledernen Masken, die Kapuzen waren weit ins Gesicht gezogen.

Corian wurde beim Anblick der beiden halb verwesten Orkenschädel, die auf einer Bannerstange als eine Art Feldzeichen getragen wurden, ganz schummrig. Man hatte ihn vor diesen Typen gewarnt, die "Orkenschädelbande" war gekommen. “Haltet ein!"

Doch noch bevor die Reiter den Handelszug erreichten, erschall ein weiterer Ruf: „Im Namen seiner Hochgeboren Firutin von Hohenstein zu Weiden legt Eure Waffen nieder und beendet dies lästerliche Tun!“ Aus dem Wald ritten abermals drei Reiter, derer zwei im Wappenrock Herzoglich Weidens und einer, allem Anschein nach ein Mann von Stand, im Wappenrock der Finsterwacht. Die Blicke des Anführers der Räuber blieben längere Zeit am Finsterwachtritter hängen und beinahe schien es als ginge ein Zucken durch seinen Körper, ja, man könnte fast meinen der Angreifer habe ihn erkannt. Kurz darauf gab der Raubritter das Zeichen zur Umkehr und die Orkenschädelbande war so schnell verschwunden, wie sie kommen war.

Der eben angekommene Ritter der Finsterwacht beachtete die darauf folgenden schleimerischen Danksagungen des Händlers nicht - er saß einige Momente regungslos im Sattel und seine Lippen formten nur ein einziges Wort, welches keinem seiner Begleiter, sondern nur ihm selbst galt: „Astaran …“ „…Herr?“ Rondradan, einer der Waffenknechte blickte Ailfir mit fragendem Gesichtsausdruck an. „Wollen wir ihnen nicht nachsetzen?“ Einen Augenblick blieb der Angesprochene stehen, dann setzte er sein Pferd in Bewegung und schüttelte leicht den Kopf. „Reitet zurück zum Hohenstein …“, sprach er, „… und erstattet Seiner Hochgeboren Meldung. Ich werde die Sache weiter verfolgen.“ „Ihr alleine?“ Der junge Waffenknecht musterte Ailfirs Gesicht, welches seit der Begegnung mit dem Raubritter so ziemlich alles an Farbe verloren hatte.

„Geht einfach …“, flüsterte er, dann ritt er, unter den misstrauischen Blicken seiner Begleiter und des Händlers Corian, in den nahen Wald hinein.



Rittergut Pergelgrund, Dergelquell , Boron 1033 BF

Ailfir tätschelte beruhigend den Hals seines treuen Rosses. Trotz der kühlen Temperaturen, die im Boron im Schatten des Finsterkamms herrschten, war dieser schweißnass. Der junge Ritter versuchte nach seiner Begegnung mit der sogenannten Orkenschädelbande und der erfolglosen Suche in der Nähe Radbruchs so schnell wie möglich nach Pergelgrund zu kommen. Dabei ritt er beinahe sein Pferd zu schanden. Erst als er den Dorfanger erreichte, ließ er seine Nordmähne in den Schritt fallen.
Pergelgrund präsentierte sich wie immer wenig einladend und beeindruckend; umgeben von einer Holzpalisade reihten die heruntergekommenen, mitleidserweckenden Katen der Bauern und Viehzüchter aneinander. Vereinzelt geschwärzte und notdürftig ausgebesserte Mauerstellen zeugten von so manchem Kampf in näherer Vergangenheit. Menschen sah Ailfir an diesem Tag jedoch nur wenige im Dorf. Die die er sah begrüßten ihn jedoch herzlich, doch hatte er keine Zeit längere Gespräche mit ihnen zu führen. Sein Ziel war das, am höchsten Punkt des Dorfes gelegene und von einer weiteren, massiveren Palisade umgebene Gutshaus der Ritter von Pergelgrund…


Im Gutshaus

Aerin Blaubinge von Pergelgrund saß in ihrem abgewetzten Ledersessel und beobachtete sinnierend das Feuer des nahen Kamins. So fiel es ihr erst gar nicht auf, dass sich von der Tür der Halle eine weitere Person näherte. „Na Schwester? Ich denke du schuldest mir einige Antworten…“ Wie von einer Maraskantarantel gebissen schrak sie hoch und blickte in das, vom scharfen Ritt mit einigen Matschspritzern bedeckte Gesicht ihres jüngeren Bruders.

„Ailfir!“, sagte sie erfreut und nahm ihn sogleich in die Arme, ließ jedoch sogleich von ihm ab, als sie seine Körperspannung bemerkte. „Ach komm mir nicht so Aerin. Ich weiß welchen Orkendreck du und Hainrich in Herzöglich Weiden treibt.“, erklärte der Ritter in leicht gereiztem Ton. „Ach, du Narr weist gar nichts!“, knurrte Aerin zurück. Sie entfernte sich einige Schritt von ihrem Bruder, dann fuhr sie fort; „der Winter steht vor der Tür und wir haben mit Angriffen des Drachen zu kämpfen, die uns einen guten Teil unseres Viehbestandes gekostet haben. Wie soll ich denn sonst meine Schutzbefohlenen durchbringen?“ „Nun es werden sich andere Möglichkeiten finden. Der Graf oder Waltha…“ „Interessiert unsere Situation nicht.“, unterbrach sie ich ihn forsch. „Nun ja Leufels würde vielleicht sogar helfen, wenn er nicht selbst am Hungertuch nagen würde. Es ist ausweglos.“ „Ja aber…“ „Nichts aber, es geht nicht anders. Die Geschichten, die bei euch kursieren sind von uns selbst in die Welt gesetzt worden. Niemand wird zu Schaden kommen und niemandem wird seine ganze Habe und Lebensgrundlage geraubt. Es wird nicht geplündert, oder geschändet. Hainrich hat mir sein Wort gegeben“, fügte sie in verzweifeltem Ton hinzu.

Ailfir schluckte, dann schritt er zu seiner Schwester und nahm sie tröstend in den Arm. „Sollte ich etwas für euch tun können, sage es mir“, flüsterte er in ihr Ohr. Aerin wandte sich daraufhin mit einem leichten Lächeln zu ihm um: „Nun ja es gibt da schon etwas wie du uns helfen könntest.“ Auf den fragenden Blick ihres Bruders hinauf fuhr sie fort. „Nun ja, du bist ja immer noch unverheiratet und ich stehe schon längere Zeit mit der Ritterin Rovenna Hartungen-Düsterfurt aus Weidenhag in Kontakt, die ernsthaftes Interesse daran zeigt, dich zu heiraten. Die Familie dieser Ritterin ist recht wohlhabend und besitzt eine große Herde und sogar eine eigene Kornmühle am Pergelbach.“

Ailfir stieß einen lauten Seufzer aus, doch Aerin ließ sich dadurch nicht bremsen. „Sie sicherte mir einige Tiere und Lebensmittel zu, solltest du einwilligen.“ Das Gesicht des Angesprochenen wurde von einen auf den anderen Herzschlag aschfahl. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass seine Schwester genau diesen Gesprächsverlauf herbeiführen wollte. Wieder hatte ihn diese Füchsin hineingelegt und vor eine Entscheidung gestellt, die er eigentlich nur nach ihrem Willen treffen konnte.



Gut Pergelfurt, Weidenhag, Ende Boron 1033 BF

Ailfir lag in seiner Bettstatt und blickte auf eine kleine geschnitzte Gans, die er in seinen Händen hielt. Es war eine seiner ersten Arbeiten, die er selbst schnitzte und bei weitem nicht eine seiner besten. Doch trotzdem war dieses Stück Holz neben seiner Tochter mit Sicherheit sein wertvollster Besitz. Ailfir strich mit seinen Fingern über die sorgsam gearbeiteten Züge des nachmodellierten Tieres. Er erinnerte sich noch so als ob es gestern gewesen wäre, dass er für sich und seine Fenia je eine Gans schnitzte, die sie sich gegenseitig als Zeichen ihrer Liebe schenkten. Fenia starb vor wenigen Monden bei einem Angriff der Orks auf Travienlob und dank dieses Amulettes, das er immer noch um seinen Hals trug, fühlte er sie immer noch ständig bei sich. Ailfir ließ von seinem Amulett ab und blickte neben sich – dort lag, gleichmäßig atmend und bar jeder Kleidung die Frau, die er noch gar nicht richtig kannte und mit der er dennoch vor einigen Praiosläufen den Bund vor Rondra einging.

Das Einzige, das er über Rovenna wusste, war, dass sie sich unbedingt einen Nachkommen und Stammhalter wünschte, war sie doch – neben einem anderen Ritter in Diensten des Wachtgrafen – die letzte aus ihrem Geschlecht. Ein Wunsch, der sich vor allem in der Tatsache zeigte, dass sie in den Praiosläufen seit ihrem Bund mehr Zeit auf ihm als auf ihrem Pferd verbrachte. Rovenna war keinesfalls hässlich zu nennen, aber als Schönheit würde man sie hierzulande auch nicht bezeichnen. Sie war großgewachsen, hatte dunkelbraune lockige Haare, die ihr von den Schultern auf den Rücken hinab fielen und feste Brüste, die so gut in eine Männerhand passten. Ihre von einigen Kämpfen gestählten, doch immer noch schlanken Arme und Beine rundeten das Bild einer durchschnittlich aussehenden Weidener Ritterin ab.

Jedoch machte ihm vor allem ihre herrische und stolze Art etwas Sorgen – so möchte sie beispielsweise seine Tochter Inja auf keinen Fall in ihrer Nähe haben. Ailfir griff nach der Nachricht, die ihm gestern ein Bote vom Hohenstein überbrachte und nutzte den tiefen Schlaf seiner ihm Angetrauten dazu, das Pergament zu entrollen. Hastig überflog er die in fein säuberlicher Schrift niedergeschriebenen Zeilen:


Blaubinge!

Erstmal wollte ich Euch zu Eurem geschlossenen Traviabund gratulieren, doch ist dies nicht der eigentliche Grund für meine Nachricht. Diese als Orkenschädelbande bekannten Räuber, die Ihr für uns verfolgen solltet, haben in den letzten Praiosläufen nach längerer Pause erneut zugeschlagen und einen Weiler nahe Waldscheit überfallen. Vielleicht solltet Ihr die einsetzenden Schneefälle dazu nutzen, um erneut ihre Verfolgung aufzunehmen. Die Situation mit dem Drachen lässt es uns nicht zu, einen anderen Ritter zu schicken. Also rollt von Eurem Weib hinunter und bewegt Euch zum Hohenstein. Seine Hochgeboren erwartet von Euch zu hören.

Gezeichnet
Firian Waldscheiter für Firutin von Hohenstein zu Weiden



Ailfir ließ das Schreiben sinken und ballte seine Fäuste so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Seine Schwester hatte ihm versprochen, dass die Überfälle bei seiner Einwilligung zum Traviabund mit Rovena aufhören würden. „Dieses eine Mal Füchsin ... . Dieses eine Mal ...“, knurrte er, dann warf er den Brief ins nahe Kaminfeuer und verließ den Schlafraum.