Junkergut Uhlengrund, Baronie Hahnfels, Tsa 1034 BF:


Ein jammerndes Maunzen riss Inja von Sunderhardt aus ihrem leichten Schlummer. Verschlafen rieb sie sich die Augen und blickte direkt in das Gesicht des Störenfrieds. Wie jeden Morgen wurde sie von einem kleinen Scheunenkätzchen geweckt, das mit diesem Verhalten der Herrin sein Bedürfnis nach Streicheleinheiten signalisierte. Die junge Frau streckte die Hand nach dem Tier aus und begann, es sanft zu kraulen. Die Katze, Inja hatte sich für sie noch keinen Namen ausgedacht, genoss dies sichtlich und kuschelte sich schnurrend an das weiche Wolfsfell, das ihre Herrin sich ob der herrschenden Kälte auf das Lager gelegt hatte. Ganz allmählich wurde Inja bewusst, wie kalt es eigentlich im Zimmer war. Ihr Blick fiel auf den erkalteten Kamin neben ihrer Schlafstatt. Sie seufzte. Auf Burg Aarkopf wurde im Zimmer der Zofen der Kamin die ganze Nacht über in Gang gehalten, damit es nicht zu kalt wurde.

Inja richtete sich auf und ohrfeigte sich innerlich sofort für den eben gefassten Gedanken. Schon als kleines Mädchen war sie zur Ausbildung in die "Obhut" des damaligen Markgrafen Ralmir von Zornbrecht-Hauberach gegeben worden und diente fortan als Zofe am Saltheler Hof. Naja, eigentlich wurde sie vielmehr als Geisel gehalten dazu missbraucht, ihre Familie sowohl ruhig zu halten, als auch enger an den Markgrafen zu binden und ihm dadurch einen Anker in der abtrünnigen Baronie Hahnfels zu schaffen. Dies änderte sich auch nach dem Tod des Hauberachers und der Ernennung Bunsenholds zum Grafen nicht. Erst vor einigen Monden war die junge Adelige frei gegeben worden, sodass es ihr freistand, zu ihrem Bruder zurückzukehren. Inja lief ein kalter Schauder über den Rücken, als sie an die vergangenen Götterläufe dachte, doch nun war sie endlich wieder dort, wo sie hingehörte. Sie liebte ihren Bruder und seit dem Tod ihres Vaters im letzten Goblinsturm war er alles, was ihr von ihrer Familie noch blieb.

Als sie aus dem Bett stieg, stießen ihre nackten Füße auf eiskalte Holzdielen. Die Kälte legte sich auf ihre bloßen Beine und rief sogleich Gänsehaut hervor. Inja hob das Wolfsfell von ihrem Bett auf, schlang es sich um die Schultern und begab sich mit unsicherem Schritt zu dem Stuhl, auf welchem sie am gestrigen Abend ihre Kleidung abgelegt hatte. Rasch schlüpfte sie in ihre über Nacht ebenfalls erkalteten Kleider, nahm das kleine Kätzchen auf den Arm und begab sich in die große Halle, wo mit Sicherheit bereits etwas Brot und Wurst und auch ein gut geheizter Kamin auf sie warteten ...



In der Halle:

Junker Bärfried von Sunderhardt saß in seinem abgewetzten Ledersessel und kratzte sich nachdenklich das Kinn. Ihm gegenüber saß eine rundliche Frau mit freundlichem Gesichtsausdruck im Ornat der Traviageweihtenschaft. Flankiert wurde diese von einem etwa 50 Götterläufe zählendem Waffenknecht und einer jungen Dame von Stand, die beide in den grün-weißen Wappenrock der Heldentrutzer Baronie Weidenhag gehüllt waren. Vor allem die junge Dame irritierte den Junker – A... Algrid Blaubinge, oder wie sie sich vorgestellt hatte, er wusste es nicht mehr. Die Ritterin war jedenfalls durchweg damit beschäftigt, ihn mit geöffnetem Mund anzustarren, was Bärfried störte und ihn in seinem Gedankenfluss behinderte.

"Hm ...", raunte er, "... welchen Mond hattet Ihr im Sinn?" Gerade wollte sein Gegenüber zu einer Antwort ansetzen, als sich die Tür zur Halle öffnete. Herein trat eine hübsche, junge Frau mit schwarzen, lockigen Haaren in einem Kleid aus einfachem Linnen und einer kleinen Katze auf dem Arm. "Ah, Inja, sehr gut. " Bärfried erhob sich sichtlich erfreut von seinem Stuhl und bedeutete seiner Schwester, sich zu ihm zu gesellen. Mit unsicheren Schritten und schüchternen Blicken auf die Gäste ihres Bruders leistete sie dieser Einladung folge. "Inja, das sind Ihre Ehrwürden Travine von Gugelforst, die Vorsteherin des Travia-Tempels zu Weidenhag und ihre Begleiter."

Höflich begrüßte die eben angekommene Schwester des Gastgebers die Gäste und setzte sich, die schnurrende Katze immer noch im Arm, zu ihnen an den Tisch. "Inja, Ihre Ehrwürden ist mit einem Vorschlag zu uns gekommen ... ." Bärfried stockte in seinen Ausführungen und versicherte sich durch einen eindringlichen Blick, dass er die volle Aufmerksamkeit seiner Schwester besaß. Diese antwortete ihm auf dieses Gebaren mit einem verständnislosen Gesichtsausdruck. "Ihre Ehrwürden hat mich für ihren Neffen um deine Hand gebeten und ich habe dieses überaus großzügige Angebot für dich angenommen. Du wirst einige Praiosläufe Zeit haben, um deine Abreise vorzubereiten und dann mit ihrer Ehrwürden die Reise in die Heldentrutz antreten. Dort wirst du in einigen Monden den Traviabund mit seiner Hochgeboren Wilfred von Gugelforst zu Wargentrutz schließen." Bärfried verschränkte die Arme vor seiner mächtigen Brust und fuhr nach einem kurzen Blick in das vor Verzweiflung verzerrte Gesicht seiner Schwester fort. "Sofern es meine Verpflichtungen hier im Lehen zulassen, werde ich den Feierlichkeiten um deinen Traviabund beiwohnen."

Inja verlor in diesem Moment den Boden unter ihren Füßen. Selbst die Katze auf ihrem Arm schien die neue Gemütslage ihrer Herrin zu bemerken und stellte von einem Herzschlag auf den anderen ihr Schnurren ein. In Injas Kopf kreisten immer noch die von ihrem Bruder gesprochenen Worte. Wie konnte er das nur tun? Wie sehr hatte sie sich in den Jahren ihrer "Haft" auf Aarkopf darauf gefreut, hier mit ihrem Bruder ein normales, ein freies Leben zu führen. Nun sollte sie irgendeinen Adeligen aus der Heldentrutz ehelichen, den sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte? Sie blickte in das Gesicht ihres Bruders und sah Eiseskälte in seinen Augen. War es schon so weit gekommen? Hatte ihm diese rothaarige Hahnfelser Hure damals wirklich alle Menschlichkeit ausgetrieben? Ihr Blick fiel auf Travine, die sie immer noch freundlich anlächelte. Weg – einfach weg! Mit einem Mal wurde ihr die Situation zu viel und sie verließ mit schnellem Schritt und unter verwunderten Blicken der Anwesenden die Halle, ihren Bruder und seine Gäste ...



Später:

Inja saß in ihrem Gemach und blickte durch das Fenster auf die verschneite Landschaft am Fuß der roten Sichel. Es war ein Anblick, der ihr schon von Kindesbeinen an so viel bedeutete und den sie vielleicht nie wieder würde genießen können. Für sie barg dieser Anblick das Gefühl von Freiheit, Geborgenheit und Heimat. Heimat. Ihre neue würde sie nun in der Heldentrutz finden. Sie schüttelte energisch den Kopf. Nein. Nein, das hier würde immer ihre Heimat bleiben, egal was passierte. Hinter ihr öffnete sich die Tür zu ihrem Gemach.

"Warum? ", fragte Inja, ohne sich umzuwenden. "Warum tust du mir das an, Bärfried?"

Der Angesprochene bewegte sich einige Schritt auf sie zu und versuchte, sie leicht an der Schulter zu berühren, doch duckte sich die junge Adelige unter seiner Hand hinweg. "Denkst du wirklich mir fällt das leicht, Inja?" Sie stieß ein verächtliches Schnauben aus.

"Inja, du weißt, dass unsere Familie nicht den besten Ruf hat. Du weißt, dass wir immer noch mit Mirnhildes Taten in Verbindung gebracht werden? " Inja nickte. "Dann weißt du auch, dass es für unsere Familie schwierig ist, in angesehene Häuser einzuheiraten?" Die junge Adelige richtete sich nach den Worten ihres Bruders auf und wandte sich nun erstmals zu Bärfried um. Ihr sonst so hübsches Gesicht war zornig verzerrt. "Du hast mich verkauft", zischte sie. "Nein, aber wenn sich für unsere Familie solch eine Gelegenheit bietet, muss man diese einfach am Schopfe packen. Ich stehe schon länger mit Travine in Kontakt. Sie hat dich damals auf dem Aarkopf gesehen. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnern kannst ...?" Inja nickte. "Nun, sie war dort, um für ihre Nichte Ullgrein, die ja den Baron von Beonspfort ehelichen soll, beim Grafen vorzusprechen. Sie erblickte dich und ließ sich von einem Hofschranzen deine Geschichte erzählen. Ich sage dir nur so viel: Sie war nicht ganz unbeteiligt daran, dass du frei gegeben wurdest."

Bärfried ließ seine Worte etwas wirken und fuhr dann fort. "Ich liebe dich, Schwester, und vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dich weit weg von hier zu wissen. In Hahnfels wird bald eine stürmische Zeit des Umbruchs anbrechen und diese wird für mich und meine Schutzbefohlenen nicht eben gemütlich werden." Vorsichtig bewegte sich der Junker zu seiner Schwester und nahm sie fest in den Arm. "Vater hätte sich für dich mit Sicherheit genau dasselbe gewünscht", sprach er mit sanfter Stimme, während Inja in seinem Arm zitternd zu weinen begann ...