Heilige spielen im religiösen, aber auch im alltäglichen Leben aller Weidener eine große Rolle. Nun ist der Weidener an sich ein eher pragmatsicher und zupackender Zeitgenosse, der in der Regel und im Alltag wenig Sinn für religiöse Versenkung oder aufwändige Rituale hat. Doch die Namen vieler Hochheiliger, vor allem aber zahlloser Tagesheiliger sind stete Begleiter, deren Anteilnahme und Beistand selbstverständlich erbeten wird. Wie andernorts auch, werden Heilige vor allem als Stellvertreter ihrer Götter angerufen, aber auch als Mittler, denen man ein Dilemma leichteren Herzens anvertrauen mag, als einem vielleicht als streng und aufbrausend bekannten Gott. So entrückt sie nun auch sind, so nahe sie jetzt auch einer Gottheit stehen mögen: einst war ein Heiliger ebenso ein Mensch, wie der Bittsteller und manches kann eben nur ein Mensch richtig verstehen. Wie praktisch sind also Heilige, die Menschliches und Göttliches in sich vereinen. Sie können - so hofft und glaubt der Weidener - den Menschen verstehen und es dem Gott angemessen vermitteln.
Die Tagesheiligen — Eine Weidener Spezialität
Bei der großen Bedeutung, die die Familie im Leben und Denken der Weidener spielen, ist der Tod nur eine Grenze, bedeutet aber keinen endgültigen Abschied. Es ist nur folgerichtig, dass Weidener die Ihren nicht so einfach ziehen lassen. Dies zeigt auch der Brauch, bei jeder Mahlzeit ein Gedeck zusätzlich aufzulegen, damit jene, die bereits verstorben sind, sich auch über ihren Tod hinaus willkommen fühlen. Für die meisten Weidener ist es vollkommen selbstverständlich, auch mit verstorbenen Familienmitgliedern Zwiesprache zu halten und niemand, der so etwas bezeugt, würde eine solche Gewohnheit verschroben oder gar verrückt nennen. Denn gerade Ahnen, die sich im Leben besonders hervorgetan haben, bleiben über ihren Tod hinaus ein fester Bestandteil des Alltagslebens.
Wenn das Leben und Wirken eines Verstorbenen sein engeres und weiteres Umfeld auf besondere Weise berührt und beeinflusst hat, werden sie häufig sogar zu Tagesheiligen erklärt. Dafür braucht es weder Tempel noch Kirche, denn es sind die Menschen selbst, die entscheiden, wer sich eignet. Natürlich haben die Kirchen in Weiden sich angepasst. Viele Geweihte sind selbst Weidener, aber selbst die Zugezogenen unterstützen den Kult der Tagesheiligen gerne und sorgen zugleich dafür, dass die Aspekte ihres Gottes dabei Berücksichtigung, Betonung und vor allem Verbreitung finden. Der Umstand, dass Tagesheilige ohne eine offizielle Erklärung des Heiligenstatus bestenfalls als mindere Heilige gelten, wird dabei so gut wie nie thematisiert.
Tagesheilige werden meist mit einer bestimmten Tugend, einer bestimmten Handlung, einer bestimmten Philosophie oder einem bestimmten Gewerk in Verbindung gebracht. Sie werden in vergleichbaren Situationen angerufen und um ihren Beistand gebeten, denn die meisten Tagesheiligen stehen den Menschen schlicht näher, als "normale" Heilige. Deren Wirken und häufig auch Sterben hat wenig mit dem Alltagsleben einfacher Weidener zu tun. Das heißt nicht, dass der einfache Weidener sie darum nicht verehrt. Es zeigt aber, warum dem Weidener Tagesheiligen so lieb und teuer sind: Tagesheilige waren einmal "normale Weidener" und als solche stehen sie dem Alltag und den damit ringenden Menschen schlicht näher, als beispielsweise Sankt Geron der Einhändige oder Sankta Lindegard. Dennoch werden auch die Tagesheiligen jeweils einem Zwölfgott zugeordnet, was sich anhand von Tugenden, Attributen vor allem aber Professionen, die ihm zuerkannt werden oder noch aus seinem Leben bekannt sind, auch leicht bewerkstelligen lässt.
Es gibt im Herzogtum hunderte solcher Heiliger und beiweitem nicht nur einen Heiligen pro Tag. Die Bergleute der Sichelwacht kennen für den 7. Ingerimm ganz sicher einen anderen Tagesheiligen, als beispielsweise Grobschmiede in Reichsend und möglicherweise kennen die Bauern wenige Meilen von Reichsend entfernt wieder einen anderen Schutzpatron. Niemandem würde es einfallen, eine einzige als abschließend und richtig angesehene Liste anzufertigen, denn dies wäre ja ein Widerspruch in sich. Eine solche Liste würde schließlich all jene ausgrenzen, die jetzt noch leben, die aber irgendwann eben doch das unausweichliche Schicksal des Todes ereilt und deren Rat dann ebenso selbstverständlich eingeholt werden wird, wie sie ihn heute von ihren Ahnen erbitten. Darum ist der Katalog der Tagesheiligen in beinahe stetem Wandel und es eine hehre, aber auch sehr anspruchsvolle Aufgabe, einen Überblick zu ehalten oder auch nur zu bekommen.