Salthel/Sinopje, Rondra 1045 BF

Unerwartete Kunde gibt es dieser Tage aus der Baronie Adlerflug: Wie der Kanzler der Grafschaft Sichelwacht, Ilmhold Klawitter, auf Nachfrage des FANTHOLI bestätigte, ist dem Marktflecken Sinopje zum 1. Praios dieses Jahres das Stadtrecht verliehen worden. Gemeinhin lehnt Bunsenhold von Wolkenstein und Wettershag solche Ansinnen vehement ab, da freie Städte wie Salthel und Braunsfurt seiner Ansicht nach für den örtlichen Adel nur zu einem Verlust von Einfluss und Einnahmen führen. Dessenthalben kommt die Nachricht für viele auch sehr überraschend. Letztlich scheint es aber eine logische Folge der Entwicklung zu sein, die der einst beschauliche Ort in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchlaufen hat.

Um die Adlerfluger Verhältnisse für den geneigten Leser noch einmal aufzudröseln: Baron Olf von Lynnd liegt siech darnieder, seit er auf dem Ysilia-Feldzug 1021 BF in Lessankans Drachenfeuer geriet. Das Lehn wird von einem Freund aus Herrn Olfs Tagen im Reichsheer verwaltet: dem Zwergen Sporlîn Sohn des Ronach. Dies aus dem Grund, dass die Baronsgemahlin Ondwina von Lynnd als einfache Bauernstochter nicht für das hehre Amt gerüstet war – wie im Grunde auch Herr Olf selbst, denn er wurde zwar von Kaiser Hal in den Baronsstand erhoben, ist aber ebenfalls von niederer Geburt. Der Baronet wiederum, Heldar Hal von Lynnd, ist mit seinen 29 Wintern zwar theoretisch alt genug, um das Erbe seines Vaters anzutreten, praktisch aber offenbar von so schlichtem Gemüt, dass ihm niemand zutraut, es vernünftig auszufüllen.

Das war lange Zeit der Stand der Dinge: Der Vogt hatte die Geschehnisse in der Baronie fest im Griff, während der Baron ans Bett gefesselt war und Baronsgemahlin wie Baronet bloße Zaungäste bei allen wichtigen Entscheidungen, die das Lehn betrafen. Zu ihrem Schlechtesten ist das aber sicher nicht gewesen, denn unter der Herrschaft des ebenso umtriebigen wie skrupellosen Zwergs entwickelte sich die gesamte Baronie, vor allem aber der Marktflecken Sinopje, in eine äußerst positive Richtung. Seit 1034 BF hat das Ganze noch an Fahrt aufgenommen, denn nach dem letzten Goblinsturm führte Thordenin von Weißenstein, der Herrscher der Nachbarbaronie Baronie Fuchshag, Strafzölle gegen Waren aus Uhdenberg ein, das den Rotpelz seinerzeit mit Waffen beliefert haben soll. Herr Sporlîn schloss sich dem jedoch nie an, sondern hielt den Grenzübergang in Sinopje stets offen für Waren und Dienstleistungen aus der Freien Stadt.

Die Folgen dürften wahrlich niemanden überraschen: Der Haussegen zwischen Fuchshag und Adlerflug hängt seit Jahr und Tag schief und die Uhdenberger überschreiten die Reichsgrenze heuer mehrheitlich in Sinopje statt in Rathila – was den Adlerfluger Marktflecken in seiner Bedeutung immer weiter steigen lässt und zu einer beeindruckenden Blüte geführt hat. Offenbar sind die Zahlen aus dem äußersten Sichler Norden so überzeugend, dass nun selbst Graf Bunsenhold seine sonst so adamantenen Vorbehalte gegen Stadtrechte in den Wind schießt und dem Wunsch der Sinopjer entsprochen hat. Das ist eine Seite der Medaille. Menschen mit politischem Sachverstand munkeln hinter vorgehaltener Hand aber noch über eine weitere und die wirkt sich wohl nicht nur auf Adlerflug, sondern indirekt auf das Machtgefüge in der gesamten Sichelwacht aus.

Einen zweiten Paukenschlag gibt es nämlich auch noch: Zum Stadtmeister von Sinopje wurde Sporlîn Sohn des Ronach ernannt, der bisherige Verwalter der Baronie. Nach Angaben glaubwürdiger Quellen hat der Zwerg sein bisheriges Amt leichten Herzens an den Nagel gehängt, um das neue übernehmen zu können. Es heißt, dass er ohnehin die treibende Kraft hinter der Stadtwerdung Sinopjes gewesen sei und mit Salthel schon seit mehreren Götterläufen genau darüber verhandelt habe. Eine Bedingung für die Zustimmung des Sichelgrafen soll gewesen sein, dass Herr Sporlîn selbst künftig die Geschicke der Stadt führt. Warum? Das dürfte auf der Hand liegen: Durch den Kuhhandel mit dem Zwerg hat sich Hochwohlgeboren dessen Loyalität gesichert. Gerüchteweise war die eh längst gegeben, sie dürfte nun aber gefestigt und unverbrüchlich sein.

Was bedeutet das für Adlerflug? Da Baron Olf aller Voraussicht nach niemals wieder auf die Beine kommen wird und seine Gemahlin Ondwina im Winter 1039 BF in den Freitod ging – die Götter mögen ihrer Seele gnädig sein! – muss Baronet Heldar Hal ab sofort trotz schlechter Eignung die Geschicke der Baronie führen. Selbst die Unterstützung seiner jüngeren Schwester Ulmia wird ihn nicht davor bewahren, den Stadtmeister konsultieren zu müssen, wenn es künftig komplexere Entscheidungen zu treffen gilt. Und sollte er irgendwann zu dem Entschluss gelangen, sich vom Einfluss des Zwergs freimachen und unabhängig entscheiden zu wollen, wird er schnell merken, wie schwierig das ist. Denn die Geschicke der Stadt, des schlagenden Herzens und starken Arms von Adlerflug, sind nun nur noch lose mit denen der Baronie als Ganzes verbunden.

Bleibt festzuhalten: In Adlerflug ist es Graf Bunsenhold einmal mehr gelungen, die Dinge nachhaltig zu seinem Vorteil zu drehen. Als Vogt war Sporlîn Sohn des Ronach schlecht beleumundet und ständigen Anfeindungen der Herrscher aus den umgebenden Baronien ausgesetzt. Sie erinnerten den Grafen nur zu gern daran, dass Herr Olf einen mündigen Sohn hat und dieser die Amtsgeschäfte schon längst hätte übernehmen sollen. Stadtmeister ist Herr Sporlîn nun jedoch mit der vollen Unterstützung der Sinopjer Bürgerschaft und Rückendeckung aus Salthel. Wenn man bedenkt, was die Stadt und ihre Bürger ihm alles zu verdanken haben, liegt ein Schluss nahe: Der Zwerg sitzt fest im Sattel und daran wird sich so bald nichts ändern. Er stellt außerdem nicht nur ein würdiges Gegengewicht zum Baron und seinem Sohn dar, sondern bringt die Waage klar in seine Richtung zum Ausschlag.