ein Briefspieltext von Ulrich Lang und Axel Riegert aus dem Jahr 2005
Gräflich Reichsend, Torfendorf, Peraine 1028 BF.
Adeptus Rastin saß nun schon seit etlichen Stundengläsern über die uralte Schrift gebeugt, eine warme Decke fest um sich geschlungen, um sich gegen die Eiseskälte zu schützen. Die Kerze flackerte und warf unheimliche Schattenspiele an die feuchten Wände der kargen Stube. Das alte Gemäuer des Tauberthurms, einem Turm der Finsterwacht, war immer noch recht zugig, woran sich der Magus nur schwer gewöhnen konnte. Er rieb sich die Augen und strich gedankenverloren dem schwarzen Kater über das seidige Fell, der maunzend seine Beine umstrich. Das Tier war sehr groß geraten und blickte den Magus aus intelligenten Augen an. Sicher hatte es nicht unbedingt etwas Gutes zu verheißen, dass er ausgerechnet heute Besuch von einem schwarzen Kater erhalten hatte, aber der Magus vertraute auf seine Kunst und war auch nicht abergläubisch. In dieser zwölfgötterverlassenen Gegend war ihm jede Abwechslung willkommen. Seit sein Neffe Aylwin vor zwei Tagen weggeritten war, um von seinem Vater etwas Unterstützung für die Aufbauarbeiten zu erbitten und Neuigkeiten vom Baronsrat einzuholen, war es noch stiller geworden.
„Dir wird es hier sicher nie langweilig, gehst Mäuse jagen oder scharwenzelst um die Kater der Nachbarschaft herum. Ich friere hier aber beinahe fest und außer den Orken und einigen ungehobelten Bauern gibt es hier für mich keine Gesellschaft.“ Mit klammen Fingern blätterte er lustlos eine Seite in seinem Folianten um. Die drei abgegriffenen Bücher glaubte er bald auswendig zu kennen, so oft hatte er in den letzten Wochen darin gelesen. Ob all das Wissen über die Magica Controllaria in dieser Wildnis jemals von Nutzen sein würde? Neue Nahrung für seinen Geist brauchte er hier nicht zu erwarten, Bibliotheken waren in Weiden, einem Land des Schwertes und des Kampfes, spärlich gesät.
Ein müdes Lächeln kroch über sein Gesicht, als er daran zurückdachte, wie jener eitle Rinderbaron in Trallop ihm vor seiner Abreise in die Heldentrutz stolz seine „Bibliothek“ gezeigt hatte: Fünf Bücher voller rondrianischer Heldensagen und Weidener Schauermärchen über Geister, Hexen und Schrate! Und das sollte eine Bibliothek sein? Das Landvolk hier war so ungebildet und abergläubisch! Auch hier im naheliegenden Torfendorf mieden die Bauern ihn und er sah ihnen ihre ängstlichen Blicke an, die sie auf den angeblich verfluchten Tauberthurm und auf ihren Herrn, den in ihren Augen wohl ebenfalls anrüchigen Bewohner des Tauberthurms, warfen.
Doch was war das? Hatte er nicht gerade ein Pochen am Tor vernommen? Oder war es doch nur der Sturm, der wieder an einem der Fensterläden rüttelte? Den Magierstab fest umklammert und eingehüllt in seine wärmste Robe stieg Rastin ins Erdgeschoss herab. „Wer da?“, rief er mit fester Stimme.
Und von draußen antwortete es: „Eine Reisende auf der Suche nach einem warmen Feuerchen.“
Als er die Türe einen Spalt geöffnet hatte, stand vermummt und unter ihrem Kapuzenmantel kaum erkennbar tatsächlich eine junge Frau vor der schweren Holztüre. Dem Dialekt nach musste sie aus der Gegend hier stammen. „Wer seid ihr?“, fragte der Magus schroff.
„Mein Name ist Kadiya, ich reise zurück nach Balsaith in Brachfelde. Um der Herrin Travia Willen lasst mich ein, bevor ich mir den Tod hole.“ Keck schlüpfte die Frau vorbei an dem verdatterten Magus in den Turm, warf ihre Kapuze zurück, so dass Rastin ihre roten Locken sehen konnte, und ging rasch die Stufen in die warme Stube hinauf. Dort angekommen begrüßte sie freudig ihren Kater: „Fiorello, wo hast du nur wieder gesteckt?“
'Das kann ja heiter werden', dachte Rastin missmutig, als er das Tor wieder schloss und ebenfalls die knarzende Treppe hinaufging. Oben angekommen musterte er lange die Rothaarige, welche sich soeben dreist bei ihm eingeladen hatte. So richtig konnte er sie nicht einschätzen: Sie trug ein einfaches, dunkelgrünes Gewand, schien also nicht von Stand zu sein, aber war auch keine einfache Bäuerin oder ähnliches. Ihre schulterlangen, roten Locken trug sie offen, was mancherorts sicherlich Empörung hervorrufen würde... Rastin beendete dieses Studium erst, als Kadiya ebenso unverhohlen zurückstarrte und ihn keck anlächelte. Anscheinend war das Studium positiv für den Gast verlaufen, denn der Magus ging, immer noch schweigend, zu dem kleinen Kessel, der auf dem Ofen stand und füllte ihn wieder mit Wein, Wasser und getrockneten Kräutern auf.
„Ihr trinkt doch sicher auch einen warmen Schluck, Frau Kadiya?“ fragte er mit dem Rücken zu ihr gewandt, während er einen Packen getrockneten Torf in den Ofen stopfte.
„Ja gerne, was Warmes ist gerade das Richtige.“ Inzwischen hatte sich die junge Frau ihres feuchten Reisemantels entledigt und saß mit ihrem Kater auf dem Schoß im rechten der drei grobgezimmerten Sessel, halbeingesunken in dem Fell- und Deckenstapel, welcher den Sessel auskleidete. Das Flackern der beiden Kerzen auf dem Tisch spiegelte sich in den neugierigen Augen, die das Halbdunkel des Raumes durchforschten.
Unten war sie schon an einem wilden Durcheinander von Werkzeugen, Brettern, Kisten und Säcken vorbeigekommen, die auf dem gestampften Erdboden herumlagen oder unordentlich aufeinander gestapelt an der Wand lehnten. Die beheizte Stube hier gab wenig Aufschluss über die Bewohner des Turmes. Auf dem großen Tisch aus schweren Eichenplanken lagen zwei dicke Folianten mit bosparanischer Aufschrift neben einer Wasserkaraffe und einem schlichten silbernen Becher. Der lange mit Mondsilber beschlagene und einem mattschwarz glänzenden Knauf versehene Stab lehnte am mächtigen Pfosten direkt neben der Treppe nach unten. An den unverputzten Außenwänden des Turmes glänzte Wasser, welches sich hier und da in einer Rinne zwischen den grob gehauenen Steinen sammelte. Die vier schmalen Fenster waren alle verrammelt und mit allerlei Tüchern abgedichtet, um den kalten Luftzug zu verringern. Das ganze Inventar schien aus einer Bauernstube der Gegend zu entstammen, nur die schweren Sessel rochen unter dem Decken und Fellwust noch nach frischem, harzigem Holz. In der einen Ecke konnte Kadiya noch eine einfache Bettstatt erkennen, auf der fein säuberlich gefaltete Wolldecken lagen. Ihr Studium wurde von dem plötzlich in ihrem Gesichtsfeld auftauchenden Zinnbecher beendet.
„Bitte schön, zwar nicht der allerbeste Tropfen, aber immerhin warm und kräftigend.“ Die eisgrauen, starren Augen des Magus musterten die vor ihm Sitzende von oben herab. „Nun noch einmal a principio, Frau Kadiya: Ich bin Adeptus Minor Rastinus Salicius von Torfendorf und diesem Tauberthurm hier“, sagte er mit einer Armbewegung auf den Raum weisend. „Ich würde Euch ja gerne luxuriöser bewirten, aber ich habe mein Lehen hier erst vor wenigen Wochen angetreten. Es bedarf noch viel Anstrengung und Arbeit ehe dies ein behagliches Heim ist. Leider ist das verbliebene Bauernvolk hier ein recht arbeitsscheues und faules. Ich konnte bisher gerade mal eine Handvoll Leute für ein paar Tage Arbeit heranziehen, sonst wäre dieser Raum gar nicht bewohnbar und ihr müsstet auf dem Boden sitzen.“
Kopfschüttelnd ging Rastin seine Hände am warmen Weinbecher wärmend in dem Raum auf und ab. „Ich verstehe nicht, was die in ihren Hütten in dieser dunklen Jahreszeit machen, außer sich Schauermärchen erzählen, etwas Wolle spinnen, schnitzen und diesen grauenhaften Wacholderfusel im Grünen Bären trinken. Da müssten sie doch froh sein, eine vernünftige Aufgabe zu bekommen und ihren fälligen Dienst ableisten zu können. Kennt ihr den Grünen Bären?“
Ohne eine Antwort abzuwarten sprach der Magus immer weiter, während sein Gast inzwischen wohlig warm in die Decken und mehrere Schaffelle gewickelt dem Marsch des schlanken Mannes folgte. Der Wein schien die ausgetrocknete Zunge des schlanken, knapp 30 Jahre alten Mannes gut geschmiert zu haben, denn er redete in einem fort über das öde Leben hier in der Heldentrutz, die ungebildeten Weidener und die gelehrten Dispute, welche er in seiner Korrespondenz mit Collegae im ganzen Reich führte.
„Wenigstens Torf zum Feuern gibt es hier in dieser götterverlassenen armen Gegend reichlich, so dass man nicht frieren muss. Nächsten Sommer aber werde ich das Bauernvolk heißen, den Torf richtig zu trocknen, denn das hier stinkt fürchterlich und brennt nur leidlich“, sagte Rastin, während er mit einem Schürhaken in der Glut herumstocherte. „Vielleicht sollte ich mich in futuro mit der Ars Alchimiae beschäftigen, denn hier in der Wildnis gibt es sicher viele Ingredienzien dazu. Ich werde mal den Knecht Olwin fragen, ob es hier in der Gegend eines dieser Kräuterweiber gibt, welches sich mit solcherlei auskennen mag...“
***
Zwei Becher Kräuterwein später saß der Edle von Torfendorf schließlich wieder in einem der Sessel. Die beiden Kerzen auf dem Tisch waren erloschen und nur die Glut des Ofens spendete noch spärliches Licht.
Die Gedanken seines Gastes folgten schon länger nicht mehr der Redeflut des Magus, sondern kreisten mehr um dessen Vita. 'Was ihn wohl hierher verschlagen hat, da er hier so unpassend und unzufrieden zu sein scheint?'
„Und woher kommt Ihr nun, Frau Kadiya?“, riss sie die helle, klare Stimme Rastins aus ihren Gedanken.
„Oh, äh, ich...“, Kadiya war ein wenig zusammengezuckt, als Rastin sie ansprach, und begann dann lächelnd zu erzählen. „Ich komme aus dem schönen Städtchen Balsaith. Das ist in der jenseits des Finsterbachs gelegenen Baronie Brachfelde, wo der gute Baron Gamhain auf Feste Anbalsaith herrscht. Dort habe ich ein bescheidenes Heim, wo ich mit meinem Katerchen lebe. Gell, Fiorello?“ Kadiya kraulte das Tier, das sich schnurrend an sie drückte.
„Ich helfe den Menschen, die wegen allerlei Zipperlein zu mir kommen, mit meiner Heilkunst. Ich stehe den Frauen bei, die einem Kindlein das Leben schenken. Ich durchstreife den Ifirnstann und genieße das Leben. Und wie es der Zufall so will, bin ich selbst eines dieser ‚Kräuterweiber‘, nach denen Ihr Ausschau halten wollt. Ich kenne mich in den hiesigen Wäldern sehr gut aus und kann Euch sicherlich bei der Suche nach dem ein oder anderen seltenen Kraut behilflich sein. Aber Ihr solltet unbedingt einmal selbst in den Ifirnstann gehen. Er ist so... so belebend.... Das tut Euch bestimmt gut. Ihr macht mir nämlich einen ziemlich verdrossenen Eindruck. Vielleicht begegnet Ihr ja einer hübschen Elfe oder einer Fee, da solltet Ihr Euch nicht mit so trüben Gedanken plagen. Ihr wollt sie ja wohl nicht vergraulen?“
Kadiya lächelte und blickte den Magus direkt mit ihren graugrünen Augen an. Während Rastin sich einen Moment noch an Kadiyas Verhalten störte, das sicher nicht ihrem Stand geziemte, wurde ihm auf einmal bewusst, wie hübsch die junge Frau war, die vor ihm saß. Ihr Alter war schwer zu schätzen, möglicherweise war sie etwas jünger, sie war eher zierlich und ihre kupferroten, schulterlangen Locken bildeten einen verführerischen Kontrast auf ihrer blassen Haut. So eine Schönheit hatte er schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Und dieses Lächeln... Rastin musste sich zusammenzureißen, um der munter weiterplaudernden Kadiya aufmerksam zuzuhören.
„Tja, der Unmut der Torfendorfer hat wahrscheinlich mehrere Ursachen. Zum einen sind, wie Ihr zurecht annehmt, gelehrte und zauberkundige Herren, wie Ihr einer seid, selten zu sehen und so ist das Misstrauen groß. Und ein Magus als Lehnsherr, wo gibt‘s denn so was? Aber es liegt auch daran, dass diese Herren oft etwas verschroben sind, um es vorsichtig auszudrücken... Wenn ich da an Futharkos in Balsaith denke. Ein echter Griesgram, müsst Ihr wissen. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen, aber das würde man ja eh nicht wollen... Na ja, kein Wunder, wenn man sich die ganze Zeit mit Geistern und toten Dingen befasst und in einer alten Mühle haust, anstatt sich von der Kraft der Mutter Natur erfüllen zu lassen.“
Kadiya verdrehte so übertrieben ihre Augen, das Rastin grinsen musste und fuhr dann fort: „Ihr seid aus den Nordmarken? Na, das habt Ihr Euch ja schön ausgesucht! Seit die nordmärkischen Truppen in Weiden seinerzeit so ‚hilfsbereit‘ waren, seid ihr ja nicht gerade gut gelitten hier in Weiden. Viele Bauern fürchten sich sogar vor den ‚Mordmärkern‘. ‚Man‘ war ja nicht gerade zimperlich, um die Versorgung der Truppen sicherzustellen...“
Als Adeptus Rastin darauf antworten wollte, fuhr sie ohne auf seine abwehrende Geste zu achten fort: „Aber mir ist das alles einerlei. Und Ihr seid hoffentlich jemand, der über diesen Dingen steht. Nur solltet Ihr schon wissen, was Eure Dörfler möglicherweise denken. Ja, und dann ist da noch die Sache mit dem Wörtchen ‚Tauber‘, das ja nicht nur Euren Turm hier ziert, sondern auch den Tauberwald bei Beonfirn.“
Kadiya senkte die Stimme und blickte verschwörerisch nach beiden Seiten, bevor sie fortfuhr: „Ihr solltet Euch davor hüten, in diesen finsteren Wald zu gehen! Das Verderben kennt dort vielerlei Gestalt, seien es widerderische Monstren, sei es dämonisches Dornengestrüpp. Selbst die Elfen vom Ifirnstann fürchten, von der bösen Kraft des Tauberwalds ihrer Lebenskraft beraubt zu werden. Ihr müsst wissen, dass taubra das elfische Wort für böse Zauberei ist. Es gibt auch einen uralten Steinkreis! Und einst soll dort der böse Zauberer Lirobal einen Turm bewohnt haben, eine Schreckgestalt, von der die Brachfeldener ihren Kindern erzählen, wenn sie nicht brav waren. Ja, so ist das mit den Magiern hierzulande. Da habt Ihr sicher einiges zu tun, das Bild eurer Leute zurechtzurücken.“
Kadiya grinste Rastin schelmisch an und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Becher. „Und dann gibt’s hier auch noch das Nebelmoor, und natürlich die ganzen Orks und...“ Als Kadiya die immer größer werdende Schnute in Rastins magerem Gesicht sah, beeilte sie sich, zu versichern: „Aber das ist ja alles halb so wild und überhaupt gar kein Grund, Trübsal zu blasen. Aller Anfang ist schwer. Das schafft Ihr schon. Und immerhin seid Ihr in einer der schönsten Gegenden Weidens gelandet. Wenn ich Euch einen Rat geben darf: Geht so oft es Euch möglich ist hinaus in die wilde Natur, atmet den würzigen Duft der Wälder, erfrischt Euch in den klaren Bächen und Seen, beobachtet das Spiel der Tiere, erfreut Euch an den blühenden Wiesen des Frühjahrs, genießt die ersten morgendlichen Strahlen der Sonne, die die Nebel des Moores vertreiben, und Euer Herz wird Euch aufgehen und Ihr werdet Euch niemals mehr an einen anderen Ort wünschen.“
Als Kadiya den skeptischen Blick des Magus sah, fuhr sie schnell fort: „Ihr solltet auch einmal nach Beonfirn kommen. Da gibt es einiges zu sehen, z. B. das Kloster der Therbûniten, die hier alle Beoniter nennen – nach dem Tagesheiligen Beon aus Havena. Und es gibt den Schwanentempel, wohl der einzige Ifirnstempel in Weiden. Und Ritter Refardeon ist ja auch so ein Wachtturm... äh, Finsterritter... äh, Ritter der Wacht... Verzeiht, aber diese Dinge sind mir einerlei. Jedenfalls ist der Ritter zu Beonfirn ein sehr stattlicher Mann, Ihr solltet ihn mal in seiner blitzenden Rüstung sehen! Und er ist so mutig und stark und unheimlich niedlich...“
Rastin nahm irritiert zur Kenntnis, wie Kadiya so despektierlich über seinen ehrenwerten Nachbarn immer mehr ins Schwärmen geriet und glänzende Augen bekam. Jener Ritter Refardeon von Rothwilden war doch sicher auch eines dieser ungehobelten Raubeine, welche hier so scharf auf die Raufhändel mit den Orken waren. Er malte sich einen grobschlächtigen, schwer gepanzerten Ritter auf seinem Streitross aus, wie er ihn zu den Turnierparaden in Elenvina und Baliho gesehen hatte. Und wie dieser mit seinem Schwert im Vorbeireiten einem Ork den Kopf abschlug. Dazu wollte die Bezeichnung „niedlich“ einfach nicht passen.
Doch Kadiya kannte Ritter Refardeon offenbar etwas besser, denn sie plauderte einfach weiter: „Nur ein wenig tolpatschig ist er, der Herr Ritter, und stellt dauernd Unfug an, wenn man nicht aufpasst. Erst will er großartig die Bärenkrone der Herzogin finden und schon wird er von den Falktreibern gefangen genommen. Ah ja, das ist eine gefährliche Räuberbande hier in der Gegend – hatte ich vorhin ganz vergessen. Also immer schön das Tor verschließen, wenn Ihr nicht ungebetenen Besuch bekommen wollt, gell?“
Kadiya lachte glockenhell über ihren Scherz, während sich Rastin mit leicht zitternden Händen vom Weine nachschenkte und einen großen Schluck trank, um diese Neuigkeit zu verdauen.
„Aber Refardeon wird sie bestimmt eines Tages kriegen. Denkt ER! Na, ohne meine Hilfe säße er wahrscheinlich immer noch in Ketten in irgendeinem Erdloch und müsste Lorca dem Wolf die Stiefel lecken. Aber das wäre ja eine Schande, bei so einem süßen Ritter... Aber jetzt habe ich wieder viel zu viel geredet. Schließlich will ich ja auch noch ein wenig über Euch erfahren.“
Kadiya zwinkerte Rastin zu: „Was hat Euch denn bewogen, diese Aufgabe zu übernehmen? Und womit beschäftigt Ihr Euch, wenn Ihr nicht gerade Eure braven Torfstecher und Bauern herumscheucht?“
Die lebhafte Rothaarige mit ihrem lockeren Mundwerk empfand der Magus als eine willkommene Abwechslung zum eintönigen Alltag hier im Tauberthurm, wo sonst außer den Gesprächen mit seinem Neffen Aylwin wenig Unterhaltung geboten war. Auch wenn Kadiyas Umgangsformen deutlich zu wünschen übrigließen, konnte er ihr einfach nicht böse sein. Allein schon dieses Lächeln...
„Eigentlich gedachte ich hier von dem kleinen Einkommen des Lehens zu leben, um so meinen Studien nachzugehen. Doch allein die Umstände meines Lebens hier in dieser kargen Gegend machen mir dabei einen rechten Strich durch die Rechnung. Ständig muss man den Bauern hinterherschauen, ob sie ihre Pflichten recht erledigen. Ich habe mir dazu eine Abschrift aus dem Codex Raulis besorgt, aus dem Capitulum Tercium, also jenem Teil, welcher von den Leges Feudalis handelt. Dort heißt es, dass der Bauersmann wie auch selbige Bauersfrau zwei Tage die Woche Dienst für ihren Herrn zu leisten haben...“
Als Rastin Kadiyas verständnislose Miene sah, beeilte er sich zu sagen: „Aber ich vermute fast, dass Euch das ebenfalls nicht interessiert? Um ehrlich zu sein, die Orkenhatz, welche eine beliebte Sache unter den Rittern der Wacht zu sein scheint, ist auch nicht so recht die meine. Vielleicht habe ich es noch dem Zuspruch meines jüngst leider zu Boron gegangenen Onkels Dankwart zu Borkenstein von Herzogenthal oder dem kleinen Gefallen, mit welchen ich dem Herrn Wachtgrafen zu Diensten sein konnte, zu verdanken, dass ich heute hier sitze. Meinen Schwertkünsten und Erfahrungen im Kampf gegen die Schwarzpelze sicher nicht.“
Ein glucksendes Lachen war in der Dämmerung des Raumes zu hören, ehe er weitersprach: „An manchen Tagen kommt es mir aber auch so vor, als ob ich es einem schlecht stehenden nasziven Aszendenten zu verdanken hätte, welcher mich verfolgt und dem ich dieses Loch mit seiner Feuchtigkeit und Kälte zu verdanken habe. Aber nun regiert wieder Frau Peraine und der Frühling beginnt nun hoffentlich bald und dann lassen sich manche Pläne hier in die Tat umsetzen, so dass hier ein anständiges Leben möglich wird. Allerdings verlangt der Herr Wachtgraf vorher noch nach meinen Diensten. Als ob ich der rechte Mann wäre, eine finstre Raubritterin aus ihrem Loch zu holen.“
Kopfschüttelnd ging Rastin mit raschen Schritten an den Tisch und blätterte in den Folianten nach dem Schrieb des Wachtgrafen, während er weitersprach: „Ihr sagtet, Ihr würdet Euch mit Kräutern und Suden auskennen... In Torfendorf, da gibt es die alte Fenja, oder hieß sie Benja? Naja, diese alte Fettel eben, die in der schiefen Hütte mit dem einen Fensterladen haust. Von der heißt es, auch sie kenne sich mit so etwas aus. Barnulf, mein Waffenknecht, oder sollte ich ‚Haushofmeister‘ sagen, meint, sie sei eine Hexe, und hat gehörige Angst vor ihr. Ich habe damals dem Dorf sagen lassen, wenn es Kranke oder Verletzte gäbe, sollten sie diese zu mir bringen, damit ich ihnen mit meinen Kräften helfen könne. Aber anscheinend sind sie recht gesund, die Dörfler. Obwohl Barnulf bei seinen häufigen Besuchen im Grünen Bären wohl schon manche Rauferei hatte und mir auch schon von zwei schwerkranken Kindern erzählt hat, die in einer der Hütten leben sollen. Wahrscheinlich geht das Volk lieber zu der Alten... Ah, was ist denn das hier...“
Das Rascheln des Papiers wurde vom plötzlichen Aufleuchten einer Lichtkugel in der linken Hand des Magus unterbrochen. Rastin hob ein eng beschriebenes Blatt in den Schein der gleichmäßig leuchtenden Kugel. „Das hat mein Neffe irgendwo abgeschrieben. Ah, da steht es ja Besti…arium von Bethana oder Belhanka, wer soll denn diese Klaue lesen können? Es scheint um irgendwelche Hunde zu gehen... Ihr kennt Euch doch mit Getier aus, wie man an Eurem formidablen Katzentier hier sehen kann. Was wisst ihr denn über diese Steppenhunde? Mein Neffe scheint sie interessant zu finden...“
Er ging zu der jungen Frau hinüber und reichte ihr die Abschrift. Mit einer kurzen Drehung seiner Hand platzierte er die Leuchtkugel über der linken Schulter der Sitzenden, so dass sie selbst lesen konnte, was dort stand, während das magische Licht ihre roten Haare wie Feuer leuchten ließ.
Doch schon bald reichte Kadiya ihm das Blatt zurück. „Mit Hunden kenne ich mich leider gar nicht aus, lieber Rastin. Mein Katerchen mag sie nicht besonders und hat schon manch frechem Köter eine blutige Schnauze verpasst.“
Während Kadiya das so friedlich schnurrende Tier streichelte, malte sich Rastin lebhaft aus, wie der schwarze Kater wie eine Bestie über ein armes, winselndes Hündchen herfiel.
„Aber Euer Neffe könnte ja einfach einen Schäfer hier in der Gegend fragen. Der kann ihm sicher auch einen süßen Welpen beschaffen.“
„Ich glaube, er dachte da mehr an einen Wach- oder Jagdhund als an einen Schoßhund... Vielleicht um ungebetene Gäste fernzuhalten oder um Schwarzpelze aufzuspüren. Aylwin nimmt seine Aufgabe als Vogt hier sehr ernst. Ich selbst hätte nichts dagegen, wenn der Hund statt Schwarzpelze aufzuspüren den einen oder anderen Fasanen herbeischaffen würde“, seufzte Rastin und wies auf die Schale mit den Resten des letzten kärglichen Mahles. „Aber irgendwer müsste dann wohl mit auf die Jagd gehen und Barnulf ist dazu glaube ich viel zu ungeschickt.“
„Jetzt fällt mir doch noch was ein“, unterbrach Kadiya Rastin aufgeregt. „Ich habe gehört, in Waldleuen, genauer gesagt in Waldtreuffen, werden genau solche Hunde gezüchtet wie Ihr einen sucht. Die heißen Trutzkys oder so ähnlich. Ich selber hab noch keinen gesehen, aber sie sollen ausgezeichnete Jagdhunde sein und man kann mit ihnen sogar Orks aufspüren. Sehr nützlich das! Wäre doch was für Euren Neffen! Der Landvogt zu Waldleuen ist Bunsenhold, ein begnadeter Bogenschütze, sagt man. Aber besser, Ihr wendet Euch an seine Gemahlin Malepia, die soll viel umgänglicher sein als der sture Knochen... Euch würde es ja auch ganz guttun, wenn etwas mehr Leben in die gute Stube kommt und Ihr selbst Euch mehr in Muttern Natur aufhalten würdet. Ich kenne zwar die Neigung der magischen Zunft, den lieben langen Tag uralte, verstaubte Schriften zu studieren, aber meines ist das nicht. Da muss man ja schwermütig werden. Aber jedem so, wie es ihm gefällt.“
Kadiya betrachtete äußerst mitleidig die Stapel an Schriften und Pergamentrollen auf dem Tisch des Magiers und fuhr schließlich fort: „In Brachfelde gibt es ja nicht allzu viele belesene Menschen, aber sicher ein paar mehr als in Reichsend – da liegt Ihr richtig. Baron Gamhain ist ein kluger, weitgereister Mann und liest auch Bücher, was man von dem guten Ritter Refardeon ja nicht gerade behaupten kann. Aber dafür hat er ganz andere Qualitäten...“
Die bewusst zweideutig Äußerung ließ den schüchternen Rastin die Röte ins Gesicht schießen. Unbeirrt fuhr Kadiya fort: „Von dem griesgrämigen Futharkos in Balsaith weiß ich nicht viel, außer dass Gespräche mit ihm wenig erfreulich sind. Aber vielleicht habt Ihr ja mehr Erfolg. Gerne überbringe ich ihm eine Nachricht von Euch, wenn Ihr wollt“, fragte Kadiya und schaute den Magus mit ihren schönen Augen an.
„Danke, das ist ein sehr freundliches Angebot“, antwortete Rastin. „Aber sagt, wisst Ihr denn Genaueres über diesen Magus und sein Spezialgebiet?“
„Nun, ich weiß, dass er ein Graumagier ist und aus Tobrien stammt. Er hat sich erst vor einigen Götterläufen in Balsaith niedergelassen und wohnt in der Alten Mühle im Gerberviertel – nicht gerade die beste Gegend... Er lebt sehr zurückgezogen und mag die Menschen nicht besonders. Lieber erforscht er wohl die Welt der Geister und allerlei widerderische Phänomene. Die Balsaither fürchten ihn und begegnen ihn mit furchtvollem Respekt. Immerhin ist es ihm und einer Gruppe tobrischer Edelleute zu verdanken, dass ein schlimmer Fluch gebrochen wurde, der auf dem Miridan-Anwesen lag. Dort ging sehr lange ein Geist um. Stellt Euch vor, dieser Geist hat schon zwei Barone in die Raserei und bis in den Tod getrieben. Schreckliche Geschichte. Na ja, das ist ja jetzt alles vorbei und heute gibt es im Anwesen ein Ordenshaus der Beoniter und auch die Barden vom ‚Feenklang‘ treffen sich dort. Ein echter Genuss, ihre Lieder zu hören.“
Kadiya begann leise versonnen eine Verszeile zu singen und wieder merkte Rastin, wie ihn die junge Frau faszinierte. 'Na, den Nachbarn in Brachfelde scheint es recht gut zu gehen, ein Ordenshaus, eine Bardenschule, einen gelehrten Magus und das alles unter der Herrschaft eines belesenen Barons. Mein Lehen kommt dagegen wie der Vorhof der Niederhöllen daher', ging es Rastin durch den Kopf, während er dem Gesang der jungen Frau lauschte.
Schließlich fuhr Kadiya fort: „Aber Ihr strebt ja mehr danach, Euer Wissen zu mehren. Falls Ihr Euch für rondrianische Erzählungen interessiert, solltet Ihr den Orden zur Wahrung am Rhodenstein in der Baronie Hollerheide aufsuchen.“ Sie unterbrach kurz, als sie das Stirnrunzeln des Magus sah. „Oh, ich sehe, dass das wohl nicht ganz das Eure ist... Vielleicht sind dann die frommen Therbûniten in Beonfirn interessanter für Euch. Die haben nämlich auch eine Bibliothek. Allerdings sammeln sie vor allem Wissen über Dinge, die der Herrin Peraine gefallen: Ackerbau, Pflanzenkunde und Heilkunde. Wenn Ihr ein frommer Mensch seid und Euch ein Zipperlein plagt, könnt Ihr von den Beonitern sicher sehr gute Abhilfe erwarten. Euch scheint ja die alte Benja weniger zuzusagen. Zugegeben, sie ist schon ziemlich schrullig und unwirsch und ihre Erscheinung passt allzu gut zu ihrer windschiefen Hütte.“
Kadiya lachte, als sie Rastins angewidertes Gesicht sah. „Aber so schlimm ist sie gar nicht, Ihr solltet sie wirklich mal kennen lernen. Meine Mutter und Benja kannten sich gut. Aber ich glaube, Magier mag sie nicht so besonders. Und hören tut sie nur auf sich selbst. Ihr solltet es also schlau wie die Schlangen anstellen, wenn Ihr mit ihr keine Probleme haben wollt.“
„Na vielen Dank für diese Warnung, werte Kadiya, ich werde die Alte meiden soweit ich kann“, brummelte Rastin von seinem Weinbecher aufschauend zu ihr hinüber.
„Da fällt mir noch was ein, was einen gelehrten Herrn wie Euch interessieren könnte. Etwas weiter weg, in der Baronie Moosgrund, gibt es einen Hesindetempel und ein Ordenshaus der Draconiter. Der Geweihte dort, Parinor Goldquell, kann Euch viele Fragen beantworten. Ihr müsst nur sehr viel Zeit mitbringen, denn Parinor bewegt mit seinem Mund allzu gerne viel Luft und seine Antworten sind äußerst erschöpfend...“
Kadiya zwinkerte Rastin zu. „Aber ich möchte es ihm gar nicht gleichtun. Sagt, lieber Rastin, wie gefällt es Eurem Neffen denn hier? Vielleicht ergibt es sich ja einmal, dass wir uns kennen lernen. Er könnte mit mir ja einmal die Elfen im Ifirnstann besuchen. Das wäre doch bestimmt was für einen jungen Mann, der etwas erleben will. Was meint Ihr?“
„Leider, meine Dame, habt Ihr Aylwin bei Eurem Besuch hier im Tauberthurm verpasst. Er wird jetzt wohl gerade auf dem Rückweg von Trallop sein, wo er einige Vorräte besorgen sollte. Ich denke, in zwei oder drei Tagen werden er und unser Waffenknecht Barnulf wieder da sein. Wenn diesem umtriebigen jungen Herrn mal wieder die Hummeln im Allerwertesten sitzen, wird er Euch sicher gerne in Brachfelde besuchen. Schon jetzt in diesem niederhöllisch kalten Winter ist er tagelang in den Wäldern unterwegs gewesen, um das Gut hier zu erkunden.“
Den begeisterten Tonfall eines kleinen Jungen nachahmend erzählte Rastin weiter von seinem Neffen: „Oheim, denkt Euch, heute habe ich die Spuren eines Bären in der Nähe von Torfendorf entdeckt... Oheim, ich habe mir gedacht, man könnte in der Gelben Heide versuchen, Bornknollen anzubauen, in dem sandigen Grund soll so was gut gedeihen, sagte Ardufred, der fahrende Krämer... Oheim, Ihr werdet nicht glauben, was ich heute sah: Ich glaube, in dem Wald firunwärts von Torfendorf in der Nähe der Wegwarte mit der großen Eiche gibt es einen Hexenring... Gelehrter Onkel, Ihr müsst Euch unbedingt die alten Rotlinge am Weg nach Scheutzen anschauen. Alfwin sagt, dass dort einst eine mächtige Burg eines Königs gestanden hat. Vielleicht könnt Ihr einen Eingang finden, wo es zu den alten Schatzkammern und verschütteten Gemächern geht... Ständig kommt er mit solchen Tagträumereien daher. Von Tag zu Tag verstehe ich mehr, warum mein Bruder wollte, dass Aylwin endlich den heimischen Herd verlässt und warum ausgerechnet der Grobian Barnulf ihn hier in der Wildnis begleiten soll.“
Mit gerunzelter Stirn starrte der Magister weiter in die Glut des Torffeuers, schüttelte den Kopf über seinen Neffen und rieb sich mit der Linken den kurz geschorenen Bart. Er hatte gar nicht bemerkt, dass Kadiya die ganze Zeit schmunzelte, während er sich über seinen Neffen ereiferte.
‚Die ungestüme Neugier und Leidenschaft deines Neffen sind genau das, was dir fehlt, mein Lieber‘, dachte Kadiya bei sich, bewahrte aber wenigstens dieses eine Mal soviel Taktgefühl, nicht weiter in den Wunden des Magiers zu rühren.
Nach einem längeren versonnen Schweigen und einem kurzen Räuspern fuhr Rastin dann fort: „Da Ihr aus der Gegend stammt, werte Kadiya, kennt Ihr doch sicher die alten und neuen Adelsgeschlechter hier? Wisst Ihr etwas über diese Bockensteinerin namens Yolanda und den Wachtritter Helmir Travienlob von Stippwitz zu berichten? Wie Ihr wohl wisst, wünscht der Herr Wachtgraf seine Ritter zum 24. Peraine auf Burg Ischenborn zur Belagerung des Bockensteins. Meine Kenntnis der Heldentrutz ist justo rudimentär zu nennen, so dass ich mich auf dem Weg dorthin wohl auf Barnulfs Kenntnisse verlassen werden muss. Aber vielleicht nehme ich auch einen ortskundigen Dörfler mit, der mir behilflich sein mag.“
Missmutig starrte Rastin auf das gesiegelte Pergament auf seinem Schoß und warf es dann mit einem Ruck ungeschickt hinüber auf den Tisch, wo es hintenüber wieder herunterfiel. „Was soll ich denn bei einer Belagerung? Ich verstehe nichts vom Kriegshandwerk. Aylwin dagegen wird das Treffen der Ritter sicher gefallen, seit seiner Knappschaft in der Sichelmark hatte er ja kaum Gelegenheit, sich als rechter Rittersmann auszuzeichnen. Wenn ich aber mit den mir zur Verfügung stehenden Modi arkani zur Tat schritte, könnte ich diese unsägliche Belagerung abkürzen, indem ich der Widerspenstigen heißen würde, den Turm zu verlassen. Da ich den Rittersleuten damit aber das Vergnügen einer zünftigen Rauferei rauben würde, müsste ich wohl froh sein, hernach nur hier im Tauberthurm selbst belagert zu werden und nicht auf dem Scheiterhaufen des nächsten Inquisitors zu landen.“ Rastin blickte missmutig zu Boden.
„Als wir vor einigen Götterläufen in Reichsend belehnt wurden, hättet Ihr, werte Kadiya, die Gesichter dieser schlichten Rittersleute sehen sollen, als Graf Emmeran mich zum Ritter der Wacht schlug...“ Mit einem schrägen Lächeln im Gesicht dachte der Magus an das große Unbehagen der Wachtritter zurück, das diese in ihren Gesichtern zu erkennen gaben. Einige, wie die Ritterin zu Mahtur, spuckten gar verächtlich aus, als sein Name genannt wurde.
„Die werden erst Gesichter machen, wenn sie, und Hesinde möge ihnen die Weisheit dazu schenken, meine Hilfe oder die des Collegae Magister Baltram von Weißenstein benötigen, um diese Yolanda aus ihrem Turm zu scheuchen...“
„Ich muss Euch leider enttäuschen, lieber Rastin. Ich weiß so gut wie gar nichts über die Bockensteinerin. Nur so viel, dass ich wohlweislich immer genug Abstand gehalten habe zu dieser dickschädligen Harpyie, allein schon ihrer furchteinflößenden Erscheinung wegen. Wo die hintritt, wächst kein Gras mehr. Und die Leute sagen, sie habe den bösen Blick, genau wie ihre Tochter Rowina, diese eingebildete Möchtegern...“ Kadiya stockte unvermittelt, so als ob sie beinahe ein Geheimnis preisgegeben hätte. ‚Ich sollte nicht so viel trinken, ich verplappere mich schon wieder‘, ärgerte sie sich in Gedanken.
„Aber das tut hier nichts zur Sache. Jedenfalls hoffe ich bloß, dass Ihr Euch an ihr nicht die Zähne ausbeißt. Selbst mit Euren Zaubern kann’s schwer werden. Oder habt Ihr schon mal versucht, einem Kohlkopf magische Befehle zu erteilen?“ Kadiya nahm noch einen tiefen Schluck aus ihrem Becher, um ihren offensichtlichen Ärger runterzuspülen. Auch ihr Kater hatte ungemütlich gefaucht, als der Name Rowina fiel.
Kadiya merkte nun deutlich, wie der Wein seine Wirkung tat und sie immer schläfriger wurde. Schließlich lächelte sie Rastin zuversichtlich an: „Aber ich bin mir ganz sicher, dass Ihr es den Rittern schon zeigen werdet und mit den dummen Vorurteilen aufräumen könnt. Denn die Kraft, die Euch erfüllt, hat einen wesentlich größeren Nutzen als das Schwert in der Hand einfältiger Ritter, die sich an überkommene Traditionen klammern und glauben, sie können das finstere Wirken der Orkschamanen allein mit dem Schwert bekämpfen. Lachhaft! Das wisst Ihr so gut wie ich. Aber vielleicht ist es ist ja auch ein Glück für die Heldentrutz, dass niemand den Blick aufs große Ganze zu gewinnen vermag.“
***
Mittlerweile war es schon recht spät geworden. Das Feuer glomm nur noch schwach und auch die Redseligkeit der beiden ließ nach, so dass die Pausen immer länger wurden. Nachdem wieder ein längeres Schweigen eingetreten war, ließ sich aus dem Dunkeln die helle Stimme Rastins hören, welche der jungen Frau noch eine der beiden schlichten Bettstätten für den kurzen Rest der Nacht anbot. Selbst wenn er angesichts der liebreizenden Kadiya einen kurzen Moment rahjagefälligen Gedanken nachhing, musste er sich eingestehen, dass sie beide viel zu müde und vom Wein zu benebelt waren. Schade eigentlich...
Spät am nächsten Morgen erwachte Rastin mit einem dicken Brummschädel. Nachdem er sich mühsam aus seinem warmen Bett gequält hatte, stellte er mit großem Bedauern fest, dass sein Gast bereits fort war.
Auf dem Tisch fand er eines seiner Pergamente, auf dem in großen Lettern geschrieben stand: „Ich freue mich auf unser Wiedersehen. Möget Ihr finden, wonach Eurer Seele dürstet. Kadiya.“
Ohne sich darüber zu wundern, dass sein Gast so gut des Schreibens mächtig war, betrachtete Rastin versonnen die wunderschöne gelbe Rose, die ihm Kadiya zum Abschied hinterlassen hatte.