Die Legende des Äro-Wunders von Oberwaldig

"Es ist wohl schon ein paar Hundert Götterläufe her, dass sich am Rande des Bärnwaldes, auf dem Gebiet, das zur heutigen Baronie Urkentrutz gehört, ein Wunder ereignete. Damals wohnten nur gar wenige Menschen in diesem dunklen und dichten Waldgebiet. Eines dieser Ehepaare, das sich als Holzfäller durchschlug, hatte eine Lichtung aus dem dichten Wald geschlagen und dort eine Hütte gebaut, wo sich heute die Siedlung Oberwaldig befindet. Bald wurden beide Eltern von einer Tochter und nur einen Götterlauf später wurde ihnen ein Sohn geboren.

Und so begab es sich, dass die Kinder, als sie ungefähr 10 Götterläufe alt waren, zum Beeren suchen in den Herbstwald geschickt wurden, während die Eltern mit Baumfällarbeiten beschäftigt waren. An diesem Tag im Boron fiel schon sehr früh der Nebel über den Wald. Die Kinder verirrten sich und wanderten bis sie vollkommen erschöpft waren durch den dichten Tann. Inzwischen war es finster geworden. Fröstelnd kuschelten sie sich aneinander und drückten sich an eine Buche mit tief herabreichenden Ästen, die ihnen ein wenig Schutz zu bieten schien.

Da passierte das Wunder. Plötzlich schien die Dunkelheit lichter zu werden. Nur wenige Schritte vor ihnen stand ein großer weißer Hirsch mit einem mächtigen Geweih. Der Hirsch schien von Innen heraus zu leuchten und die Finsternis um sich herum aufzuhellen. Wie um den Kindern Mut zu machen sich ihm zu nähern, senkte er sanft den Kopf und schnaubte leicht.

Als die Kinder ihre Angst abgelegt und die Scheu überwunden hatten, standen sie auf. Sich fest an den Händen haltend traten sie näher. Der Hirsch blieb zunächst stehen, dann setzte er sich langsam in Bewegung. Nach wenigen Schritten blieb er erneut stehen und sah sich um, ob die Kinder ihm folgten. Erst als er wahrnahm, dass sie ihm folgten, setzte er seinen Weg fort. Langsam und sich immer wieder umblickend führte er die Kinder bis zu der Lichtung auf der die Eltern ihre Hütte errichtet hatten. Diese hatten schon in heller Aufregung nach den Kindern gesucht. Der Anblick des Hirsches, der ihre Kinder sicher nach Hause geleitete, ließ das Holzfällerpaar in Ehrfurcht erstarren.

Schließlich aber drehte sich der weiße Hirsch um und verschwand wieder zurück in den Wald. Und während die Mutter ihre Kinder in die Arme schloss, ging der Vater dem Hirsch nach. Dort wo die Hufe des Hirschs den Boden berührt hatten, war die Erde von Reif bedeckt. Da erkannte der brave Mann, dass der Hirsch niemand geringerer als Ärö, einer der Begleiter des Gottes Firun und somit ein Teil der Wilden Jagd des Alten vom Berge war.

Zum Dank für die Errettung ihrer Kinder bauten die beiden Holzfäller von eigener Hand eine Kapelle für Firun und seinen treuen Begleiter, den weißen Hirsch Ärö. Eine geschnitzte Statue des Hirschs in Lebensgröße bildet das Zentrum der Kapelle, die sich alsbald großer Beliebtheit erfreute. So entstand nach und nach die Siedlung Oberwaldig rund um das Heiligtum des Weißen Hirschs."