Antrittsbesuch in der Baronie Schneehag
20. Boron 1044


Es kam Lyssandra von Finsterborn vor, als wenn Satinav das Schiff der Zeit seit einem guten Götterlauf hart am Wind segelte. Zumindest in ihrem Leben hatten sich die Wogen mehr und mehr aufgetürmt, sich überschlagen und einiges mit sich fortgerissen, was ihr lieb und teuer gewesen war. Allem voran ihren lieben Vater. Sie spürte die Anstrengungen, die diese Veränderungen mit sich gebracht hatten. Mit dem beschaulichen Leben, wie sie es auf dem Familiengut in der Schwarzen Au geführt hatte, war es endgültig vorbei. Wie im Flug war die Zeit vergangen seit sie sich an die Aufklärung der Mädchenmorde gemacht hatte. Schlag auf Schlag folgten der Tod der Baronsfamilie und ihres Vaters, der ihr gemäß der Erbfolge das Junkergut zuspielte. Bislang war sie kaum in der Lage gewesen, sich um das Gut zu kümmern, da die Gräfin ihre Anwesenheit in Urkenfurt gewünscht und ihr letztlich dafür auch den Baronsreif aufs Haupt gedrückt hatte. Nun musste sie sich erst einmal im Hauptort der Baronie Urkentrutz für Ordnung sorgen. Vor der Abreise zum Baronsrat auf Burg Efferddorn hatte sie nur die dringendsten Entscheidungen für die Baronie und das Familiengut treffen können. In der Schwarzen Au hatte sie ihr Dienstritterpaar, Oberon und Danja von Uhlredder eingesetzt und die Burg in Urkenfurt wusste sie unter Ritter Ludopoldt soweit in guten Händen, dass sie gefahrlos in die Baronie Pandlaril reisen konnte.
Es standen aber noch viele weitere Entscheidungen an in den kommenden Götternamen, in denen Firun seine eisigen Finger nach Weiden ausstreckte. Schon hatten die ersten Nachtfröste die Kronen der Bäume entleert. Die Feldfrüchte waren eingebracht, die Scheuern gefüllt.
Auch auf Burg Urkenfurt hatte es Veränderungen gegeben. Lyssandra hatte den Auftrag gegeben, die Kammern der ehemaligen Baronsfamilie renovieren zu lassen. Die Arbeiten waren bereits in vollem Gange als sie aus Pandlaril zurückkehrte. Sie wollte nach der Renovierung die Kammer der ehemaligen Baronin Grimmwulf von Hartenau übernehmen. Die Räume in denen Pirejus von Gortdingen und der Baronet gelebt hatten, sollten dem Dienstritterpaar Oberon und Danja Uhlredder gehören und in die Kammer, die noch von Ritter Ludopoldt bewohnt wurde, sollte Eylin ziehen. Minerva, die als Knappin Oberons mit auf die Burg kam, würde sich wohl mit Lyssandras zukünftiger Knappin eine Kammer teilen müssen, während Wigdis, die junge Magd, die die Finsterbornerin während der Aufklärung der Mädchenmordserie und der unseligen Ereignisse um den Tod der Baronsfamilie ins Vertrauen gezogen hatte, wurde für ihre Loyalität belohnt indem sie Lyssandra zukünftig als Zofe dienen sollte. Für sie wurde die kleine Kammer neben dem Schlafraum der Baronin hergerichtet.


All diese eingeleiteten Umbaumaßnahmen brachten jede Menge Unruhe, Lärm und Dreck mit sich, so dass die neue Baronin alsbald beschloss, der Burg für eine Weile den Rücken zu kehren, um in den Nachbarbaronien ihren Antrittsbesuch zu machen. Das Winterhalbjahr bot sich dafür an, da man die meisten Adeligen in den heimatlichen Gefilden antraf. Sie sandte also Briefe an den Landvogt von Herzoglich Waldleuen, Bunsenhold von Waldtreuffen, den Baron von Schneehag, Firian Asralion Böcklin, den Baron der Hollerheide, Lanzelund von Weiden-Harlburg und Streitzig, die Baronin von Moosgrund Avia Nordfalk und ihren Vormund, den Vogt Arnôd Pratos von Rhodenstein, die ihren Besuch ankündigen sollten. Diese Reise, die sie in die westlichen und nördlichen Nachbarbaronien führen würde, sollte nicht nur die Kontakte festigen, sondern auch ein paar andere Vorhaben vorantreiben. So würde die Finsterbornerin in Schneehag ihre neue Knappin abholen und auf der weiteren Strecke hoffentlich die Gelegenheit haben, sie besser kennenzulernen. Zudem wollte sie für Ritterin Danja einen Knappen suchen und die Adeligen der Nachbarbaronien um weitere potentielle Pagen und Knappen für die Ritter ihrer Baronie bitten. Es fehlte eindeutig an waffenkundigen Kräften in Urkentrutz. Vielleicht würde sie in einigen Götterläufen nicht nur beruhigter sein, was die Sicherheit ihrer Baronie anging, sondern auch einige Kämpfer für die bedrohten Grenzen Weidens ausbilden können.
Die letzten Briefe gingen an ihren Schwertvater Accolon von Brachfelde und seine Gemahlin Yolanda, den Baron von Brachfelde und die Ordensvorsteherin des Beoniterordens in Beonfirn, Walgunde Firunbrugg, denen Lyssandra ebenfalls einen Besuch abstatten wollte. Die Baronien südlich von Urkentrutz, Gräflich Pallingen, die Pfalzgrafschaft Bibergau und kaiserlich Blaubinge sollten dann nach einer Ruhepause im Frühjahr folgen.
Nun, nach einem Abstecher in die alte Heimat, die Schwarze Au zu Anfang des Götterlaufes erreichte die kleine Reisegesellschaft am 20. Boron von Nordhag kommend die Baroniegrenze nach Schneehag. Lyssandra wurde begleitet von ihrer Tochter Eylin, der Zofe Wigdis, dem Waffenknecht Merthold, der Schildmaid Heidelind und Fromund Truchsess, den die Baronin als Schreiber und Archivar in ihren Dienst genommen hatte.

Der Besuch auf dem herzoglichen Jagdgut Waldleuen vor wenigen Tagen war eher kurz ausgefallen. Sie hatte Bunsenhold von Waldtreuffen von ihrer Sicht der Diskussionen auf dem Baronsrat erzählt. Es war gut gewesen, mit Bunsenhold ein paar persönliche Worte auszutauschen und sich über die Sicherheitslage beider benachbarter Baronien auszutauschen. Nun war sie gespannt auf die Gespräche mit Baron Firian Böcklin und seiner Gemahlin Adaque. Der streitbare Baron von Schneehag war gewiss kein einfacher Gesprächspartner und es würde einiges an diplomatischem Geschick erfordern, ihn nicht gegen sich aufzubringen.
Über Nacht war Schnee gefallen. Die Reiter zogen die Köpfe ein, um dem schneidenden Firunsatem keine Angriffsfläche zu bieten. Düster zogen dunkelgraue Wolkenberge durch das Vorland des Finsterkamms. Die Gipfel des imposanten Gebirges waren im Dauergrau verborgen, nur ab und an öffnete sich der Vorhang ein wenig, gab eine bewaldete Hügelkuppe oder eine Felszacke frei.
Von Nordhag aus gab es zwei Möglichkeiten die Baronie Schneehag auf einer Straße zu erreichen. Streng genommen sogar drei, doch da der Alte Weg durch die quasi unpassierbare Alte Klamm im Blautann dadurch beinahe eine Sackgasse war, fiel diese aus. Da ihr Ziel die Baronsburg war, wählten die Urkentrutzer auch nicht die stark frequentierte Alte Straße. Auf ihr durchquerte man fast mittig die Baronie Schneehag bevor man sie bei Altenfurten verließ.
Die Wahl dann fiel schließlich auf den Trutzweg, der Nordhag mit Reichsend, und damit die beiden wichtigsten Städte der Grafschaft, verband und zu einem gehörigen Teil in Schneehag lag. Der Weg führte sie, nachdem sie die Stadt Nordhag verlassen hatten, zunächst durch ein Gebiet wie es wohl die wenigsten in der Heldentrutz erwartet hätten. Rund um Nordhag herum lag eine kleine Börde. Ein kleiner Kreis gesegneter Hofstellen mit dicker schwarzer, fruchtbarer Erde - ein Teil des Reichtums von Nordhag. Doch nur wenige Meilen später wurde das Land hügeliger und man sah, dass der Boden weniger geeignet für die Landwirtschaft war.
Die kleine Reisegruppe hielt eine ganze Weile auf einen sehr urtümlich wirkenden Wald zu. In ihm lagen einige der größten Hügel und tiefsten Täler. Man konnte sie noch nicht als Berge bezeichnen. Diese Hügel waren soweit man es erkennen konnte komplett und lückenlos mit Wald bewachsen. Der Wald trug den elfischen Namen Fûrn, was übersetzt Bärenherz hieß. Selbiges, was es genau war wusste niemand, sollte ihn dem Wald liegen. Und auch die Elfensippe, die in dort lebte, trug diesen Namen: Valburnfûrn…die Bärenherzhüter. Es war eine sehr wehrhafte Sippe mit einer düsteren Aura, wie man hörte. Der Vater des jetzigen Barons hatte den Wald als Junkergut an einen Elf aus der Sippe gegeben und nun erlaubten diese kaum jemanden den Wald auch nur zu betreten. Die Urkentrutzer waren keine 100 Schritt mehr vom Waldrand entfernt als der Weg einen Knick nach links machte - machen musste. Denn vor ihnen lag das tief eingeschnittene Flusstal des Flüsterbaches. Der Fluss selbst war zwischen fünf und zehn Schritt breit, aber seine Oberfläche lag sicherlich vier Schritt tiefer als der Weg und an einer steilen Uferkante ging es senkrecht bergab. Lyssandra hatte gehört, dass der Fluss ziemlich tief war, sehr schnell floss und gefährliche Strömungen enthielt. Durchschwimmen konnte man ihn nur unter absoluter Lebensgefahr und wo man auf dem Hinweg noch reinspringen konnte, musste man auf der anderen Seite das Steilufer hochklettern, was sicherlich nicht mal einem von Hundert gelingen würde. Kein unüberwindbares Hindernis, aber, wie sie befand, eine deutliche Grenze zwischen Nordhag und Schneehag.
Der Weg führte sie nun ein paar Meilen am Waldrand entlang, den Fluss zwischen sich und dem Waldrand, wohl etwa 30 Schritt entfernt. Lyssandra sah Merthold kurz erschauern und auf etwas am Rand des Dickichts deuten. Nun sah die Finsterbornerin es auch - ein sogenannter Rindenwächter. Die
Elfen des Waldes hatten an seinen Rändern Dutzende dieser „Skulpturen“als Warnsignal errichtet. Wenn man den Gerüchten glaubte, dann bedeuteten sie dem ahnungslosen Wanderer, dass wenn man diese Warnung ignorierte und seinen Weg in den Wald fortsetze, wenig später von Pfeilen durchbohrt werden würde.

Bereits in Sichtweite des Grenzüberganges endete der Wald und ließ auf der anderen Flussseite einen schmalen Streifen Land zwischen Wald und Fluss entstehen. Nicht mehr als 200 Schritt breit. Der Trutzweg führte eindeutig über den Fluss, aber man konnte erkennen, dass er als wesentlich einfacherer Weg weiterführte. Wenig mehr als ein Trampelpfad führte, wie ein kleines hölzernes Schild zeigte, zum Dorf Hirschenau. Dieses große, reiche Dorf war der Hauptort der Ländereien der Familie Hirschenborn, bekannt durch ihr Mitglied Halgan von Hirschenborn der Wachtgraf von Weiden.
Über den Flüsterbach führte eine hölzerne Brücke, die eigentümlich konstruiert war, wie Lyssandras nicht ganz ungebildetes Auge feststellte. Auf der Schneehager Seite gab es ein paar massive, steinerne gut fünf Schritt hohe Brückenpfeiler. Die eigentliche Brücke bildeten massive quadratische Holzbalken. Diese waren mit auf jeder Seite einem halben Dutzend dicker Hanfseile mit den Steinpfeilern verbunden und gesichert. Auf der Nordhager Seite war davon nichts zu sehen. Es wirkte fast so als ob die Brücke hier nur auf das Ufer gelegt worden wäre, vergleichbar einer sehr großen Zugbrücke. Als sie über die Brücke ritten, erkannte die Finsterbornerin, dass es keinen Mechanismus gab, der es ermöglichte die Brücke hochzuziehen. Dieser hätte auch außergewöhnlich massiv sein müssen. Sie erkannte aber, dass die Balken so geschickt gelegt waren, dass trotz fehlender Verbindungen kaum Lücken zu erkennen waren. Sie kam schließlich zu der Erkenntnis, würde man die Seile kappen, die Brücke wahrscheinlich in einzelnen Balken in den Fluss stürzen würde, sobald mehr Gewicht als das von ein paar Menschen auf ihr lasten würde.
Am anderen Ende der Brücke sah man einen recht großen Weggasthof mit ein paar Nebengebäuden. Ein kleiner, eckiger Turm von vielleicht anderthalb auf anderthalb Schritt stand noch zwischen Gasthof und Flussufer an dem das Banner der Böcklins flatterte. Erstaunt stellte sie fest, dass es nicht das Banner der Baronie war. Ein einfacher Schlagbaum versperrte die Straße am Ende der Brücke auf Schneehager Seite. Eine recht alte Schildmaid, sicherlich schon 50 Winter hinter sich, hielt Wache.  Im auf einer Seite offenen Erdgeschoss des Türmchens hatte es sich ein sehr junger Bursch auf einem Hocker an einem kleinen Tisch gemütlich gemacht. Die Baronin von Urkentrutz bemerkte beim Näherkommen wie die alte Wächterin die Augen zusammenkniff und sie beobachtete. Schließlich hatte sie etwas zu dem Burschen gesagt und dann den Schlagbaum angehoben, so dass Lyssandra und die Ihren ohne anzuhalten passieren konnten. Als die Finsterbornerin auf gleicher Höhe mit der Wächterin war verbeugte diese sich gleich und tippte sich an die Stirn.
„Willkomme in Schneehach, Euer Hochjeborjen… Finsterborn aus Urkentrutzsch, nech?“
Die Frage war mehr eine rhetorische und die Wächterin erwartete keine Antwort.
Lyssandra nickte nur, gab ihrem Pferd aber sofort wieder den Schenkeldruck um es mit Nachdruck über die Baroniegrenze zu treiben.
Alle Mitglieder des Trupps passierten ungehindert und erst danach ging der Schlagbaum wieder runter. Als sie sich ein paar Schritte entfernt hatten, fragte der vorwitzige Bursch die Wächterin.
„Wat isn mit de Pinke Pinke?“
Dich Wächterin winkte ärgerlich ab.
„Du Dummdübel…ich heb doch jesacht die stehn uffe Liste…da wird ne kassiert. Nur uffschreiben das se durchjekommen sind sollste!“

Da es für eine Rast noch zu früh war passierte die Urkentrutzer Truppe das Gasthaus und setzte seinen Weg fort. Etliche Meilen legten sie zurück. Die ersten noch zwischen eingeschnitten Flussbett und Waldrand. Nach und nach vergrößerte sich der Zwischenraum aber und während der Weg seine Richtung nicht änderte knickte erst Fluss und einiges später auch der Waldrand ab. Irgendwann gab es eine Abbiegung nach rechts und man konnte an einem Pfahl mühsam die Worte Waldenweiler entziffern. Inzwischen hatte es aufgeklärt, die Wolkenberge waren verschwunden und konnte man sehr weit sehen. Lyssandra erkannte in einiger Entfernung auf der linken Seite ein Hohes Haus auf einem markanten Hügel und anhand der sanften Rauchsäulen darum, dass dies wohl Welsberg sein musste. Der Hauptort eines Junkergut es, dass die Familie Böcklin ebenfalls hielt.
Am späten Nachmittag erreichten die Urkentrutzer den Ort Geestingen. Ein paar Meilen vorher war der Fûrnwald endgültig von der rechten Seite der Reisegruppe verschwunden und hatte den Blick auf eine Hügellandschaft freigegeben, den Finsterkamm mit seinen düsteren Gipfeln und dunklen mit Nadelbäumen bewachsenen Hängen. Dieser blieb eine ganze Zeit lang in ihrem Rücken. Lyssandra fielen immer deutlicher die Unterschiede zu Urkentrutz auf. Das Land hier war weniger offen und durch die Nähe zum Finsterkamm schon bergig. Wo es in Urkentrutz nur sanfte Hügel gab, bot das Vorgebirge des Finsterkamms bereits deutliche Erhebungen und teils scharfkantige Felszacken. Ebenso sah sie selbst an den Katen der Leibeigenen Anzeichen von Jagdtätigkeit. Sie hatte schon gehört das die Baronsfamilie allen Bewohnern Schneehags die Jagd auf Niederwild erlaubt hatte. Trotzdem war das Land sehr wildreich wie sie immer wieder sehen konnte. Zwei weitere Dinge fielen ihr auf die sich auch die gesamte weitere Reise fortsetzen. Die in Weiden üblichen kleinen Schreine, Kultplätze und dergleichen für die Tagesheiligen gab es hier zwar auch, doch waren die dort verehrten meiste keine der schier unzähligen Tagesheiligen, sondern häufig Mitglieder von Firuns Wilder Jagd. Der zweite Unterschied war, dass man so gut wie keine Getreidefelder sehen konnte. Direkt bei den Häusern der Bauern gab es kleinere Gemüsefelder und ab und an, recht neu wirkende, Kartoffeläcker. Dafür gab es jede Menge Kastanienbäume an den Orten wo normalerweise die Getreidefelder eines Dorfes lagen. Als Lyssandra sich einige näher ansah, erkannte sie, dass es keine Rosskastanien waren, sondern tatsächlich eine scheinbar nordische Verwandte der Bosparanie der essbaren Edelkastanie des Horasreiches zu sein.
Nach einer angenehmen Übernachtung in Geestingen ging die Reise weiter. Die Landschaft änderte sich nun für viele Meilen kaum. Auf der linken Seite hatte man wieder den düstern Finsterkamm und auf der rechten Seite die Hügellandschaft Schneehags.
Der Trutzweg schlängelte sich durch die Landschaft immer entlang eines rechterhand gelegenen Hügelzuges. So verlängerte er sich zwar um einige Meilen aber den Erbauern der Straße schien das doch die bessere Variante gewesen zu sein als die Trasse ständig die Hügel rauf und runter zu führen. Gerade für Fuhrwerke war das bestimmt besser.
Sie kamen noch an ein paar kleineren Weilern oder einzelnen Höfen vorbei und an einem größeren Dorf namens Winterkulm. Bis sie schließlich, bereits am späten Nachmittag, ein großes Gasthaus erreichten. Es lag an einem kleinen, sehr ruhig dahinfließenden Fluss. Neben dem Gasthaus gab es eine Brücke über den Fluss, eine Wassermühle und ein paar Leibeigenenkaten. Von hier an mussten sie den Trutzweg verlassen und direkt nach Osten in die Hügel hineinreiten. Ein neuer Wald tauchte nun auf der linken Seite der Reisegruppe auf. Am Ufer des Flüsschens entlang welcher den Namen Winterbach trug ging es auf die letzten Meilen. Die Dämmerung setzte bereits ein als sie zunächst das Dorf Steenbukken erreichten. Auch hier fast das gleiche Bild wie bei allen vorherigen. Wenige Felder und viele Kastanienbäume. Allerdings schien es so dass es hier einige Kartoffeläcker mehr gab als bei den bisherigen Siedlungen. Das große Dorf musste an die 400 Seelen beherbergen. Lyssandra sah drei Gasthäuser von denen mindestens eines groß genug war, dass es auch Übernachtungen anbieten würde. Dazu sah sie einen Peraine Tempel, der durch sein bornische Gepräge etwas ungewöhnlich für ein Weidener Bauerndorf war. Noch mehr jedoch stach ein zweiter, hölzerner, recht großer und reich verzierter Tempel heraus. Er war Ifirn geweiht - ein noch weitaus seltenerer Anblick in den Landschaften des Herzogtums. Der Finsterbornerin war bereits auf dem Baronsrat aufgefallen, dass der Schneehager mehrfach seine Firunfrömmigkeit betont hatte. Was sie hier sah, passte dazu. Sie fragte sich, ob er womöglich enge Bade mit dem Bornland hatte. Sie konnte es sich zwar nicht erklären, da sie sehr wohl wusste, dass die Familie zum alten Weidener Adel gehörte und die Gemahlin des Barons aus der berühmten garetischen Familie von Mersingen stammte, nahm sich aber vor, den Baron danach zu fragen.  
Wie schon in bisher allen Siedlungen begegnete man Ihnen auch hier mit Respekt. Wobei die, offenbar Freien Bauern der Urkentrutzerin zunächst gerade ins Gesicht sahen und dann meistens leicht mit dem Kopf nickten und sich mit Zeige- und Mittelfinger an die Stirn tippten. Die Leibeigenen gingen auch recht aufrecht, deuteten aber meist eine leichte Verbeugung an. Nahezu alle, die Lyssandra bisher gesehen hatte, wirkten dabei eher grimmig als unterwürfig oder misstrauisch. Überall in den Dörfern und Siedlungen Schneehag war der Geruch von Ziegen präsent. So viele Ziegen wie in den letzten beiden Tagen hatte die Finsterbornerin wahrscheinlich noch nie gesehen. Die hatte mindestens drei Arten unterscheiden können. Dagegen sah sie so gut wie keine Schafe und hatte noch kein einziges Rind gesehen.

Hinter Steenbukken musste man einen weiteren Hügel überqueren, um dann Burg Firnhag sehen zu können. Es handelte sich um eine Wasserburg. Der Winterbach wurde abgezweigt um den Burggraben zu füllen. Dieser Graben umschloss den linken Teil der Burg, der auch gleichzeitig die Vorburg war. Danach verbreiterte er sich immer mehr und bildete schließlich hinter der Burg einen See. Aus Familienerfahrung erkannte Lyssandra das recht sicher Fische, wahrscheinlich Karpfen in diesem See gezüchtet wurden und sie hatte auch mehrfach Forellen im Winterbach gesehen. Nördlich und Östlich der Burg, bzw. des Sees gab es einen schmalen Pfad um den See und dahinter begann gleich der Wald.
Das letzte Stück der Praiosscheibe war gerade hinter einem Hügel untergegangen. Langsam kroch den Urkentrutzern die Kälte des Boronmondes in jede Faser. Die Pferde waren erschöpft und schienen ihre letzten Kräfte aufzubieten in der Aussicht auf einen warmen Stall.
Am Tor, dessen Zugbrücke noch heruntergelassen war, erwartete sie ein geschäftig wirkender Mann in einer langen Cotta unter der er sicher noch mehr als eine Lage Hosen und Hemden trug. Auf dem Kopf hatte er einen Filzhut, einen Schal um den Hals und aus Wolle gestickte Fingerhandschuhe. Sein offener Mantel aus Wolle und ein langhaariges Ziegenfell um die Schultern gaben auch den letzten Beweis, dass der Mann kein Freund der Kälte war. Er verneigte sich formvollendet in der für Weidener Etikette üblichen Tiefe:
„Ah Hochgeboren … wollten gerade das Tor schließen und hatten gedacht das ihr uns wohl erst morgen erreicht. Mein Name ist Ademar Schüttinger und ich bin Burgsass von Burg Firnhag. Die Baronsfamilie ist bereits im Rittersaal wartet dort aber noch auf euch.“
"Travia zum Gruße, bester Mann! Wir sind ausgekühlt und erschöpft und würden uns wahrlich sehr über die behagliche Wärme eines Kaminfeuers und eines warmen Getränks freuen. Ich hoffe, dass wir keine Umstände machen, weil wir heute schon ankommen. Aber die Aussicht auf eine angenehme Bleibe ließ uns alle Kräfte mobilisieren. Melde er uns bitte der Baronsfamilie."
Die Gruppe passierte das Tor und kam in die Vorburg von Burg Firnhag. Gleich hinter Ihnen wurde das Tor geschlossen und die Zugbrücke zwei Drittel hochgeholt. Ademar winkte in Richtung eines großen Stall- und Scheunengebäudes, dass hinter etlichen Bäumen die Außenmauer der Vorburg bildete. Am Tor tauchten zunächst ein etwas älterer Mann, sicherlich der Stallmeister, auf und danach einige Stallknechte und -mägde. Ademar hatte noch einen weiteren Bediensteten bei sich.
„Wenn ihr wollt kümmert man sich um eure Reittiere und Alrich hier wird euer Gefolge danach versorgen. Natürlich steht es euch frei euch auch selbst um euer Reittier zu kümmern. Der Stallmeister Gerholm Spiljew würde euch alles zeigen. Wenn ihr wollt, können euch natürlich auch alle Personen eurer Wahl in den Rittersaal begleiten.
Lyssandra hatte ein klein wenig das Gefühl, dass besonders bei der Frage nach der Versorgung ihres eigenen Pferdes großes Interesse vorhanden war wie ihre Antwort ausfiel.
Die Baronin klopfte ihrer Warunkerstute dankbar den Hals und saß ab. Sie warf einen Blick auf das Stallgebäude und den Stallmeister. Dann entschied sie, dass ihre Dardanella gut aufgehoben sein würde und drücke dem Mann die Zügel in die Hand. Zu dem Bediensteten sagte sie:
"Wenn es möglich ist würden wir gerne zunächst die Schlafquartiere beziehen und uns frisch machen, dann aber freue ich mich, die Baronsfamilie zu treffen. Wenn es der Baron erlaubt gerne mit meinen Begleitern."
Sollte es eine Art Prüfung oder ähnliches gewesen sein ließ sich der Schüttinger nicht anmerken ob diese nach der Antwort von Lyssandra bestanden war.
“Selbstverständlich, es ist alles vorbereitet.” Es kamen ein paar knappe Anweisungen und der Stallmeister und seine Untergebenen nahmen sich der Pferde an.
“Folgt mir bitte!”
Der Burgsass führte Lyssandra und ihr Gefolge zunächst über eine Zugbrücke und einen weiteren Graben in die Kernburg. Beim Durchqueren des massiven und sehr großen Torturms erkannte Lyssandra, dass dieser eine eigene kleine Festung in sich war. Neben der Aufgabe das Tor zur Hauptburg zu schützen war er wahrscheinlich eine Art zweiter Bergfried, ähnlich wie auf Burg Urkenfurt. An seiner Außenwand hing ein etliche Schritt großes Banner mit dem Böcklinwappen. Aus zwei Schießscharten links und rechts von dem großen Banner hingen zwei wesentlich kleinere Banner mit dem Wappen der von Runkels.
“Gleich drei Dienstritter und ein Berater entstammen diesem Geschlecht aus Donnerbach”, erklärte Ademar Lyssandra kurz. Die Urkentrutzerin nickte.
Auf dem Innenhof der Kernburg angekommen veränderte sich der Eindruck der Anlage etwas.
Von außen hatte die gesamte Burg eher rau und abweisend gewirkt.
In der Vorburg war sie recht offen mit den vielen Bäumen, dem großen Stall und den Gemüsebeeten, aber dennoch wehrhaft und für eine eventuelle Belagerung vorbereitet.

In der Kernburg jetzt war alles dichter beisammen. Alles wirkte so als ob es sich gegenseitig Deckung geben würde. Mehrere Fachwerkhäuser linkerhand. Eine Kapelle mit umstehenden Birken und ein großer Hundezwinger neben einem Fachwerkhaus rechterhand. Geradeaus der große runde Bergfried und ein großer l-förmiger Palas mit vorspringenden Teil, der zwischen sich und Kapelle nur einen schmalen Durchgang mit offenem Torbogen ließ. Ademar führte sie nun allerdings nicht in den vorspringenden Teil des Palas, in welchem der Rittersaal zu sein schien, sondern geradeaus in den Hauptteil.
Über eine kleine Treppe betrat man das Gebäude, das sicher ein Schritt dicke Außenwände hatte. Innen war auf den ersten Blick alles mit hellem Holz vertäfelt.
Ein Bursche führte Waffenknecht und Schildmaid zu kleinen Kammern im Dachgeschoss, wo sie jeder ein Bett angeboten bekamen. Dies befanden sich in einem großen Raum, an dessen Wänden etliche Schrankbetten verbaut waren. Die meisten davon waren geschlossen, manche sogar mit Schlössern gesichert und dementsprechend bewohnt. Manche standen offen und waren frei. Fromund bekam ein kleines Zimmer im Erdgeschoss ebenfalls mit einem Schrankbett.
Lyssandra und Eylin bekamen im ersten Stock jeweils ein Gästezimmer angeboten. Diese waren miteinander verbunden und in der Verbindung befand sich ein Schrankbett für Wigdis. Eylins Zimmer war ausgestattet mit einem Bett, Kleiderschrank, einem kleinen runden Tisch mit zwei Stühlen und einem kleinen eckigen Waschtisch mit Stuhl und Waschschüssel. Ebenfalls befand sich noch ein stummer Alrik für Rüstung und Waffen im Raum. Auch hier waren die Wände mit hellem Holz vertäfelt. Der Boden, auf dem Flur und im Erdgeschoss noch aus Stein, war hier aus Kastanienholz gefertigt und mit vielen Ziegenfellen ausgelegt. Das freistehende Bett hatte eine sehr dicke, mit Stroh gefüllte Matratze und über dem dichten, aber rauen Stoff der Matratze noch ein Bettlaken aus Wolle. Es gab mehrere Decken aus Leinen, Wolle und als oberste Schicht Felle. In der Ecke befand sich ein kleiner Kamin indem ein Feuer brannte, das bei Eylins Eintreten schon etwas heruntergebrannt war. Aber kurz nach Eylin kam ein Knecht mit einer Schütte Holz und schürte neu ein. Neben dem Feuer erhellte eine Lampe den Raum. Es gab offensichtlich an der Außenwand auch ein Fenster welches aber aufgrund der Jahreszeit mit Holzläden verschlossen war.  Innen verschloss das Fenster ein hauchdünnes Ziegenpergament. Dazwischen fanden sich, wie in Weidener Burgen üblich, Strohsäcke und als letzte Schicht von innen schwere, wollene Vorhänge.
In Lyssandras Zimmer war fast genauso eingerichtet, nur eine Spur größer. So fanden am Tisch vier Stühle Platz und das ebenfalls verschlossene Fenster war doppelt so groß. Wahrscheinlich hatte es sogar einen kleinen Balkon davor. Der Kamin war auch größer und das Feuer in ihm brannte noch stärker als sie eintrat.
“Nehmt euch so viel Zeit wie ihr möchtet. Eine Magd kommt gleich noch um das Feuer etwas zu schüren und euch, wenn nötig noch etwas Fehlendes zu bringen. Ich warte im Flur auf euch und bringe ich sobald ihr fertig seid dann in den Rittersaal.”

Frisch gewaschen und frisiert erschien Lyssandra von Finsterborn mit ihrer Tochter, der Zofe Wigdis und dem Schreiber im Rittersaal. Merthold und Heidelind würden den Abend mit dem Gesinde von Burg Firnhag verbringen.
Die Baronin trug ein bodenlanges dunkelblaues Kleid über einem hellen, langärmligen Untergewand. Der eckige Ausschnitt, der vorne aufspringende Rock und die Säume der Ärmel waren mit einer Goldbrokatborte verziert. Die Spitze, die den Ausschnitt des Untergewandes zierte, war gut erkennbar, eine horasische Handarbeit. Lyssandras schlichter, silberner Baronsreif saß fest auf dem kastanienbraunen Haar. In der Stirnmitte prangte ein tropfenförmiger, tiefblauer Stein, ein Erbstück ihrer Mutter. Um die Schultern hatte sich die Baronin von Urkentrutz eine wollene Stola mit Fransen an den Unterkanten geworfen. Sie neigte dazu in den zugigen Burgräumen zu frösteln und wollte allen Eventualitäten vorbeugen.
An ihrer rechten Seite ging Eylin, die jüngste Tochter, gerade mal 10 Winter alt. Sie trug eine schmal geschnittene, ärmellose, schwarze Tunika über einem hellen, wollenen Unterkleid - die Farben des Hauses von Finsterborn. Fromund Truchsess war mit einem einfachen dunkelbraunen Wams und einer gleichfarbigen Kniebundbruche angetan. Beides wurde durch einen breiten Ledergürtel voneinander abgegrenzt, der das Wappen der Finsterborner trug. Die Waden schützten wollene Wickelgamaschen vor der Kälte. An den Füßen trug er halbhohe Stiefeletten. Sein braunes, schulterlanges Haar trug der etwa 40 Winter zählende Mann mit einem Lederriemen im Nacken gebunden. Auf der Oberlippe wippte ein lustiger Schnurrbart, dessen Enden Tromund immer wieder mit den Fingern nach oben zwirbelte, was ihm einen schelmischen Gesichtsausdruck verlieh. Einen Schritt hinter der Baronin und ihrer Tochter lief die Zofe Wigdis. Ihre lange, wollene Tunika war ebenfalls in den Farben der Finsterborner gehalten - in Schwarz-Weiß.
Die Gäste wurden in den Rittersaal von Burg Firnhag geführt und machten dazu ein paar schnelle Schritte über den Burghof. Über eine überdachte hölzerne Treppe gelangte man in den ersten Stock des Gebäudes. Wobei dies eher ein Hochparterre über der im Souterrain liegenden Burgküche war. Betrat man das Gebäude fand man sich zunächst in einem kleinen Windfang wieder. Danach war man aber sogleich in einem einzigen großen Raum, der die gesamte Fläche des vorspringenden Teils des Palas einnahm. Der Raum war mindestens zwei Stockwerke hoch, man konnte aber erkennen, dass es noch ein Dachgeschoss über dem Saal geben musste, da es keine schrägen, sondern nur waagerechte Deckenbalken gab. An der vom Windfang aus gesehenen gegenüberliegenden Wand, leicht in Richtung Vorburg versetzt, befand sich ein großer offener Kamin. In diesem prasselte ein wärmendes Feuer. Davor standen im Halbkreis fünf sehr bequem aussehende Sessel, dazu noch ein paar Hocker und Sitzkissen. War der Steinboden in der restlichen Halle mit frischem Stroh, Reisig und Binsen eingestreut befanden sich hier diverse Felle und Teppiche auf dem Boden. So dass man auch recht angenehm auf dem Boden sitzend das nahe Feuer genießen konnten. Am Kamin selber und links und rechts daneben waren einige Waffen und Rüstungsteile als Schaustücke an den Wänden angebracht. Einigen sah man an, dass sie wohl Beutestücke waren. In der Ecke rechts neben dem Kamin stapelte sich ein beeindruckender Haufen Holz. Direkt rechterhand neben dem Windfang befand sich eine kleine, hölzerne Empore. Hier konnten Musiker oder andere Unterhalter ihre Kunst darbieten. Die Steinmauern an beiden Längsseiten des Raums waren von einigen Fenstern unterbrochen, die im Frühling, Sommer und Herbst Licht hineinließen. Doch jetzt im Winter waren sie ähnlich wie die Fenster auf den Zimmern der Urkentrutzer verschlossen. Linkerhand gab es zwei Reihen längs stehende sehr große Tafeln. Eine dritte, die mit den anderen beiden zusammen quasi ein U bildete, stand dahinter quer. Diese Tafel befand sich auf einer breiten Dais. Der Thron des Barons war dabei ein klein wenig größer als der seiner Frau. Weitere edle Hochlehnstühle standen links und rechts der beiden an der Tafel. Hinter der Empore befand sich eine hölzerne Wand. Sie war die einzige Wand im Raum, die nicht zugleich auch Außenwand des Gebäudes war. Die Wände in den Zwischenräumen zwischen den Fenstern an den drei Außenmauern, besonders aber die Holzwand im Osten, hingen voller Jagdtrophäen.  Von der Decke baumelten insgesamt drei Kerzenleuchter. Allerdings brannten dort keine der dicken, aber kostbaren Stumpenkerzen. Neben dem Kaminfeuer erhellten ein paar an den Wänden hängende Öllampen den Raum. Zusätzlich befand sich an jeder Ecke des “U´s” eine Feuerschale in der ein hoch brennendes und daher eher helles als wärmendes Feuer brannte.  Auf dem quer stehenden Tisch standen zwei Kerzenleuchter.
An der quer stehenden Tafel auf dem Dais saßen Baron und Baronin und neben der Baronin vier Kinder in absteigendem Alter. Neben dem jüngsten Kind am Ende der Reihe dazu noch eine Bedienstete. Rechts neben Firian waren noch zwei Plätze eingedeckt. Hinter dem Tisch standen ein paar Jungen und Mädchen. Offensichtlich Knappen und Pagen der Baronsfamilie. An den längs stehenden Tischen hatten sich eine ganze Menge Personen versammelt. Entweder liebte der Baron es sehr gesellig zu speisen oder man hatte Lyssandras Besuch zum Anlass für solch eine große Gesellschaft gemacht.
Als Lyssandra den Raum betrat hatte der Burgsass sie und ihre Tochter namentlich angekündigt und den Rest mit “und Gefolge” vorgestellt. Eben jenes wurde an Plätze an den längs stehenden Tafeln geführt. Keineswegs ans Ende, sondern mehr mittig. Die Personen, die an diesen Tischen saßen, wurden zunächst auch nicht vorgestellt. Eine solche Vorstellungsrunde hätte wahrscheinlich auch einiges an Zeit gekostet und man konnte an den zappeligen Kindern erkennen, dass man wohl schon einen Moment gewartet hatte. Als Lyssandra nur noch wenige Schritte vom Dais entfernt war, erhoben sich Baron und Baronin und gingen ihr entgegen.
Lyssandra fiel auf, dass Firian wieder den “Schmuckgambeson” trug, den er zu mindestens auch am ersten Tag des Baronsrates getragen hatte. Überhaupt schien er nahezu die gleiche Gewandung wie dort zu tragen. Adaque von Mersingen trug ein naturfarbenes Leinenkleid mit einem Ledermieder das voller Punzierungen war und ihr eine sehr schmale Taille verpasste und ihre Brüste entsprechend zu Geltung brachte. Die Ärmel des Kleides waren geschnürt. Blaue Borten schmückten die Ärmel, den Halsausschnitt und den Saum des bodenlangen Kleides. Darüber trug sie eine ein Brokatweste mit abwechselnd gelben und schwarzen Längsstreifen, die damit dem Wappen der Familie Mersingen sehr ähnelte.  An Schmuck trugen beide recht wenig. Ehering bei beiden, bei Firian ein sehr großer schwerer Siegelring und noch zwei weitere Silberringe die auch recht massiv waren. Adaque neben dem Ehering nur noch einen schmalen, weiblichen Siegelring und eine dezente Halskette.
“Der Eidmutter zum Gruß, Hochgeboren”, begrüßten beide Lyssandra und während Firian ihr den rechten Unterarm hinhielt schien Adaque anschließend eine leichte Umarmung mit Wangenkuss als Begrüßung geplant zu haben.
Die Baronin von Urkentrutz lächelte und erwiderte den Gruß der Eidmutter. Dabei ergriff sie den Unterarm des Schneehager Barons zum Rittergruß und erwiderte auch Umarmung und Wangenkuss der Baronin. Sie stellte beiden ihre Tochter Eylin, den Schreiber Fromund Truchsess und ihre Zofe Wigdis vor. Die restlichen Begleiter erwähnte sie nicht namentlich. Während Eylin vor der Baronin knickste, verbeugten sich der Schreiber und die Zofe angemessen tief.
“Freut mich das ihr offenbar gut hergefunden habt. Ich bin sehr gespannt auf unser Gespräch. Aber das hat ja noch etwas Zeit. Zunächst einmal wollen wir der Tradition Genüge tun und uns dann setzen”, auf das Stichwort brachte eine Magd auf einem kleinen Tablett vier kleine Stücke geröstetes Brot welche ordentlich mit Knoblauch eingerieben waren.
“Möge der Segen der Eidmutter auf diesen Abend und den ganzen Besuch der Urkentrutzer liegen!”
Alle Anwesenden erwiderten den Segensspruch und bissen von ebenfalls kleinen Brotstücken ab.
Lyssandra liebte geröstetes Knoblauchbrot. Ein Blick auf den Schreiber hingegen offenbarte, dass dieser wenig Gefallen an der alten Weidener Tradition zu finden schien.
“Es freut mich sehr, dass diese Tradition hier im Hause noch hochgehalten wird”, begann die Finsterbornerin die Konversation.
“Und es mag Euch vielleicht verwundern das zu hören, doch selbst im Lieblichen Feld schätzt man geröstetes Knoblauchbrot. Gewiss, es ist dann zumeist aus Weißmehl und gerne träufelt man etwas Olivenöl darüber…”
Man konnte sehen, dass die Baronin von Urkentrutz in Erinnerungen schwelgte.
“Doch genug davon. Ich habe gesehen, dass hier in Schneehag die Maroni genannten Edelkastanien hervorragend gedeihen. Erklärt mir doch, Böcklin, wie das sein kann! Ich dachte, diese benötigen ein frostfreies Habitat?”
Bevor Firian etwas sagen konnte ergriff Adaque das Wort.
“Oh ja...Olivenöl hatte es gelegentlich am Eslamsgrunder Grafenhof. Das liebe ich auch sehr. In Garetien ist man noch ab und an rangekommen, aber hier in Weiden...die Mengen, die man bekommt, sind so gering, dass ich sie nicht für Speisen verwende, sondern nur zur Hautpflege und dergleichen. Habt ihr eine bezahlbare Quelle dafür hier in der Mittnacht?”
Lyssandra nickte verstehend. “Ja, es gibt hier nicht viele Möglichkeiten an Olivenöl zu kommen. Ich verfüge über gute familiäre Verbindungen ins Liebliche Feld und die Familie meiner Mutter schickt mir jedes Jahr eine Wagenladung von Dingen, die hier nicht erhältlich oder unbezahlbar sind. Dazu zählen Stoffe aus dem Horasiat und auch kulinarische Kleinigkeiten und Pflegeprodukte. Meist ist eine kleine Amphore Olivenöl dabei. Und ebenso wie Ihr verwende ich es eher zur Hautpflege, aber ab und an gönne ich mir auch mal ein solches Röstbrot mit Olivenöl und Knoblauch. Ich kann ja mal meine Verwandten bitten, mir etwas mehr davon zu schicken. Dort wird es nicht als reines Luxusgut gehandelt. Ich gebe Euch gerne etwas davon ab.”
“Das ist ein wirklich verlockendes Angebot. Ich weiß gar nicht ob ich das jetzt schon annehmen kann. Wenigstens eine kleine Amphore Olivenöl pro Jahr zu bekommen hätte durchaus was!”
"Ich werde mich gerne dafür einsetzen“, versprach Lyssandra.
“Es sind tatsächlich nicht die gleichen Früchte wie die Maroni aus dem Süden, von denen ihr erzählt. Auch mit den in dieser Gegend ja weit verbreiteten Rosskastanien, die ein Grund für den Wildreichtum in Schneehag sind, hat sie nichts gemein. Ihre genaue Herkunft ist jedenfalls unbekannt aber ich will euch gerne von der Legende berichten. Der Gründer des Böcklin Geschlechtes, Fessir der Wilde geheißen, besiedelte diese Gegend als erstes und zu Zeiten Olat des Bogners. Also vor über 1000 Jahren. Für Genaueres empfehle ich euch die Mär “Von den drei Fremden”. Ich habe sogar eine Abschrift des Originals was vor einigen Jahren gefunden wurde. Naja, wie auch immer… dieser Fessir war ein sehr guter Hirte und Ziegenzüchter, neben vielen anderen Eigenschaften. Was er aber ganz bestimmt nicht war, war ein Bauer, der sich mit dem Anbau von Feldfrüchten auskannte. Durch die Kampfkraft von Fessir gelang es meinen Vorfahren dieses Land hier urbar zu machen und es den Klauen der Schwarzpelze zu entreißen. Sein Gefolge wurde immer größer und brauchte dementsprechend auch immer mehr zu Essen. Bei den Ziegen gab es erheblichen Streit wie viele geschlachtet werden sollten, das Wild wurde knapp usw. Sie versuchten Getreide anzubauen, aber die Böden gaben einfach nichts her. Als erstes fanden sie heraus das es Pflaumen, zwei Sorten haben wir in Schneehag, und Walnüsse sehr gut wachsen. Doch es dauert bis beide groß werden und tragen und man kann aus den Früchten weder richtiges Brot machen noch ist die Haltbarmachung zu mindestens der Pflaumen nicht ohne größeren Aufwand machbar. In dieser Lage ging die Frau von Fessir, eine Alhanihexe wie man sich erzählt, auf einen besonderen Berg ganz in der Nähe des Bockensteins. Er ist noch heute zu finden und ein beeindruckender Anblick.”
Firian beschrieb ihn und vor Lyssandras Auge entwickelte sich ein Bild.
Dieser, heute Eulenstieg, genannte Berg ist ein heiliger Ort für meine Familie. Denn oben auf seinem Gipfelplateau war ein Wald aus eben diesen besonderen Kastanienbäumen. Wer weiß wie lange sie da gewachsen sind und wie lange es gedauert hat bis sie sich dem Wetter hier angepasst hatten. Auch lange Winter und tiefste Fröste überstehen sie, wenn sie auch nach langen und harten Wintern schlecht tragen. Lediglich im Nagrachwinter vor einigen Jahren sind Bäume eingegangen. Aber ich glaube das traf auf alle Baumsorten zu. Durch die Lage konnten jedenfalls keine anderen Bäume auf dem Eulenstieg Fuß fassen und die Schneehager Kastanie überleben.
Meine Vorfahren fingen dann an diese Kastanien überall zu pflanzen. Sie wuchsen, im Gegensatz zu allen bekannten Getreidesorten sehr gut auf den vorhandenen Böden. Mit der Hilfe und Pflege der Bauern können sie sich in jungen Jahren gegen andere hier eigentlich heimische Bäume durchsetzen und wachsen. Wir teilen seitdem die Hofstellen der Bauern nach den Bäumen ein. Ein tragender Kastanienbaum ernährt mit seinen Früchten ungefähr einen Menschen zwischen einem halben und einem ganzen Jahr. Jede Hofstelle in Schneehag hat mindestens 12 Kastanienbäume, einen Pflaumenbaum und 2 Walnussbäume auf dem zur Hofstelle dazugehörigen Acker. Dieser Acker, der ja eher eine Wiese ist, wird dann oft gleichzeitig als Weide für die Ziegen, Hühner und Enten der Bauern genutzt. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Bäume den Bienen sehr gefallen und fast jeder Bauer hat ein paar Bienenkörbe. Wenn Schneehag genug Zeit hat und keine Orks zwischendurch die Bäume fällen würden...nun ich bin mir sicher Schneehag könnte mindestens 5000 Seelen problemlos ernähren.”
“Zumal wir jetzt ja auch noch diese drei Töftensorten anbauen lassen”, warf Adaque noch ein.
Interessiert hörte die Finsterbornerin zu. Ein paar Mal musste sie schmunzeln, als der Baron wichtigtuerisch seine vortrefflichen Vorfahren lobte, doch was er zu sagen hatte, war tatsächlich überraschend.
“Oh, das klingt ja wirklich interessant. Vielleicht könnte ich im Austausch für ein wenig Olivenöl ein paar Kastanien bekommen, um auszuprobieren, ob sie in Urkentrutz auch wachsen? Pflaumen und Walnüsse haben wir auch sehr viele. Überhaupt gedeihen im Süden der Baronie, südlich des Fialgralwas, Obstbäume und Sträucher besonders gut. Das Klima ist bei uns natürlich deutlich milder als hier direkt am Finsterkamm, wenngleich es im Nordosten von Urkentrutz eher zu trocken ist. Dort herrscht Heidelandschaft vor, die eignet sich nur für den Anbau von Leinpflanzen, um Stoffe und Seile daraus zu fertigen. Dort tut man sich auch mit dem Ackerbau schwer.”
Lyssandra wandte sich der Baronin zu. “Ja, diese Knollen haben wir auch seit einiger Zeit kultiviert. Es ist schon erstaunlich, was sich daraus alles kochen lässt. Diese robuste Knolle ernährt bei uns auch ihre Leute! Oh, da hätte ich noch ein paar Rezepte aus dem Lieblichen Feld, die ich Euch bei Gelegenheit zukommen lassen möchte!”
Die Frauen waren ins Schwatzen gekommen. Die Urkentrutzerin lobte den herrlichen “Kartoffelschnee”, den sie in Montalto vorgesetzt bekommen hatte, oder die kleinen Bällchen mit der Kruste aus Brotbröseln, die man “Croquetten” nannte.
Adaque mochte wohl am liebsten längs in Viertel geschnittene eher kleine Töften die dann geröstet wurden. Sie war aber auch sehr interessiert an den anderen Zubereitungsarten. Neben ihrem Favoriten gab es die Töften eigentlich nur als Mus, angebraten oder gekocht in verschiedenen Suppen und Eintöpfen. Bevor sich das Gespräch endgültig auf das Kulinarische versteift, griff Firian nochmal ein.
Derweil war aufgetragen worden. Es gab frisches Brot, größtenteils aus Kastanienmehl, aber - hier war ja der Baronshof - auch andere Sorten. Dazu Platten mit Käse, fast ausschließlich von der Ziege in allen verschiedenen Variationen, die so denkbar waren. Weitere Platten mit in Streifen geschnittenen Braten auch hier sehr viel Ziege ansonsten Wild. Als wärmenden Anteil gab es eine Gemüsesuppe mit Eierstich und Kartoffeleinlage. Oder aber heißer Tee und Apfelsaft.
“Ich überlasse euch gerne einen Sack Kastanien. Es ist aber nicht ohne aus diesen kleine Bäumchen zu machen und diese dann groß und zum Tragen zu bringen. Gerade als Setzlinge haben sie es schwer sich durchzusetzen. Vielleicht solltet ihr ein paar eurer Bauern dafür dann für ein Jahr hierherschicken, damit diese lernen wie es funktioniert. Oder ihr setzt euch mit den Beonitern in Verbindung. Dadurch das sie ein Ordenshaus in Schneehag haben ist der Anbau Teil des Wissens der Ordensmitglieder...einiger jedenfalls.”
Die Baronin lächelte hintergründig. "Tja, diesem Vorhaben ist ein weiterer Aufenthalt auf dieser Reise gewidmet. Ich plane nämlich in Urkentrutz ein Ordenshaus der Beoniter zu gründen und möchte dahingehend die Ordensvorsteherin konsultieren."
“Ein gutes Vorhaben. In Schneehag hat und hilft ihre Anwesenheit sehr. Anfangs um den Bauern an sich zu helfen zurecht zu kommen und die letzten Jahre vor allem den neuen Bauern, die ich angesiedelt habe. Sie sind wie Kinder und die Beoniter sind gute Lehrer. Die braucht man, besonders wenn das Land so schwierige Aufgaben stellt wie hier.”
Lyssandra nickte erfreut. Sie sah sich in ihrem Vorhaben bestärkt.
Firian hatte vorhin kräftig genickt als Lyssandra von den auch in Urkentrutz gut wachsenden Bäumen und Sträuchern sprach und griff dies nun wieder auf.
“Genau wie hier. Alle möglichen Obstbäume neben den dominierenden Pflaumen und Walnüssen. Kirschen, Äpfel, Birnen...Haselnuss und diverse Beerenarten als Sträucher. Buchweizen...all das wächst sehr gut auf den Böden hier. Aber jegliche Getreidesorte lässt sich kaum dazu bewegen auch nur zu keimen. Im Alten Thal habe ich zwei-drei Hofstellen, die mühsam wenigstens eine Wagenladung Hafer im Jahr produzieren...also für die Pferde. Aber das reicht natürlich nicht und wir müssen viel davon einführen. Die Töften sind wirklich die ersten Pflanzen die so ähnlich wie Getreide sind und ganz gute Erträge bringen. Allerdings auch hauptsächlich im Alten Thal. Tja mein Vorfahr war halt Hirte und hat Land besiedelt auf dem Gras gut wächst und seine Ziegen sich gut vermehren, und da kann ich wirklich nicht klagen. Wie ist es bei euch? Geht es in Urkentrutz schon mit Rindern oder muss man dafür immer noch über den Pandlaril?”
"Nun Getreide wächst schon ein wenig in Urkenfurt. Vor allem Hafer aber auch etwas Einkorn und Emmer. Weizen eher weniger. Es reicht für Mehl, das unsere Mühlen an den vielen Bächen mahlen und für das Brot, das gebacken wird. Aber natürlich reicht es nicht die Menschen satt zu machen. Dafür braucht es Obst, Gemüse und die Knollen, die ihr Töften nennt. Was das Nutzvieh angeht, gibt es von allem ein wenig. Hauptsächlich Federvieh und Schafe, aber auch einiges an Schweinen und Ziegen. Leider haben wir nur wenig Rinder. In den Lehen südlich des Fialgralwas sind die Weiden saftig und können auch Rinder ernähren, aber nicht in den trockeneren Regionen. Meist sind es aber nicht mehr als 2 bis 3 pro Ritter- oder Junkergut und auf den großen Freibauernhöfen mit ausreichend Weidegrund. Beim Census unlängst sind sie gezählt worden. Ich glaube es waren etwa zwei Dutzend. Ich habe mich aber letztens mit meinem guten Freund, Gilborn von Pandlaril-Wellenwiese darüber unterhalten. Er verfügt über ein reichhaltiges Wissen rund um die Rinderzucht. Ich überlege tatsächlich auf den Gütern die zum Baronsgrund gehören auch ein wenig Rinderzucht zu betreiben. Dazu kommt, dass eine weitere gute Bekannte, Gormla von Blautann, seltene Tierrassen hegt und pflegt. Vielleicht kann ich sie dabei unterstützen. Mal sehen. Für Euch sind Rinder keine Option? Hätten Sie in den tieferen Lagen und Tälern des Finsterkamms nicht auch gute Bedingungen? Vielleicht solltet ihr die Blautannerin fragen, sie kennt bestimmt eine robuste Rasse, die im Sommer auf die hochgelegenen Wiesen getrieben werden könnten, im Winter aber im Tal bleiben. Soll ich sie fragen? "
Neugierig wartete die Finsterbornerin auf die Antwort des Barons.
Firian schüttelte den Kopf
“Die Sache hat gleich mehrere Haken. Der einfachste ist, dass es in meiner Familie noch nie jemanden gab, der mit Rindern gut umgehen konnte, es sei denn sie lagen als Stück gebratenes vor einem auf dem Teller. Mit Ziegen kennen wir uns aus...da haben wir Talent, aber nicht bei Rindern. Ein weiterer Grund ist, dass ihre Haltung schlicht zu gefährlich ist. In einem Tier steckt so viel Besitz, dass der Tod auch nur eines einzigen Tieres wahrscheinlich für 9 von 10 Bauernfamilien eine große Katastrophe wäre. Die Anath der Böcklins, Yolanda Böcklin, hat es noch einmal versucht - vor so etwa 20 Wintern. Es hat ihr zwar auch einiges an Einkommen gebracht, aber auch jede Menge Ärger. Unser Stammsitz wurde uns sogar für ein paar Jahre aberkannt, weil man Yolanda als Rinderdiebin beschuldigte. Am Ende stellte es sich zwar heraus, dass es fingierte Anschuldigungen und Beweise waren, aber da war der Schaden bereits angerichtet. Nein, für Rinder haben wir kein Talent, sie bringen uns kein Glück und sie sind gefährlich. Denn zusätzlich zu allem bereits gesagtem kommt, dass der Schwarzpelz heiß auf Rindfleisch ist. Auch er weiß den Wert eines einzigen Tieres und hat man irgendwo Rinder sieht es die Schwarzpelze an genauso wie die Fliegen auf die Haufen der Rinder.”
Während des Gespräches fiel Lyssandra auf das sie immer nur von einem bestimmten jungen Mädchen bedient wurde und einmal sogar ein anderer Bediensteter mit einem kurzen Wink abgehalten wurde sie zu bedienen. Dabei sah das Mädchen sie immer mit neugierigen Augen an.
Die Urkentrutzerin verstand die Gründe, die der Schneehager gegen die Haltung von Rindern am Finsterkamm vorbrachte. Als sie nach ihrem Becher griff, um ihn zu heben, traf ihre Hand mit der eines jungen Mädchens zusammen, das ihr gerade aus einer Kanne nachschenken wollte. Lyssandra lächelte sie an und bedankte sich für die Aufmerksamkeit. Da sie aber nicht wusste, dass es eine Besonderheit damit hatte, dass sie ausschließlich von diesem Mädchen bedient wurde, wandte sie sich wieder ihren Gesprächspartnern zu.
Firan sah die Finsterbornerin forschend an.
“Sie ist schon ganz aufgeregt und wild darauf euch kennenzulernen. Hat mir förmlich Löcher in den Bauch gefragt” Auf Lyssandras leicht verwirrten Gesichtsausdruck hin, nickte Firian zu dem Mädchen, das ihr gerade eingeschenkt hat. “Das ist sie Erlinde Böcklin von Bockenstein… eure zukünftige Knappin!”
Das angesprochene Mädchen bemerkte, dass sie gemeint war und wurde leicht rot, erwiderte aber auch offen und stolz den Blick der Urkentrutzerin und Firians während sie sich leicht verneigte.
“Oh, das ist Erlinde?”, rief Lyssandra sichtlich erfreut.
“Es freut mich, dich kennenzulernen, Erlinde! Hat dir der Baron erzählt, dass wir gleich gemeinsam auf Reisen gehen werden?”
Das 14 Winter alte Mädchen kam wieder etwas näher. Sie war noch recht klein gewachsen und von der Figur relativ stämmig. Es musste sich noch herausstellen, ob das der sogenannte “Kleinkindspeck” war, der sich noch geben würde oder sie grundsätzlich eher klein und kompakt bleiben würde. Sie hatte sehr lange, tiefschwarze Haare, die zu einem stabilen Zopf geflochten waren und sehr gepflegt aussahen, sogar schön seidig glänzten. Auffällig war dabei, dass die Seiten ihres Schädels kurz rasiert waren. Bei der Haarpracht, die auch so noch vorhanden war, war dies wahrscheinlich schlicht notwendig, um halbwegs anständig einen Helm tragen zu können. Unter dem linken Auge hatte sie eine Narbe, die schräg runter zur Nase verlief. Keine tiefe, entstellende Narbe, die man schon von weitem sehen konnte, aber erkennbar bei einer normalen Unterhaltung. Ihre braunen Augen wirkten wach und hatten einen Hauch von Nivesenaugen. Als Lyssandras Blick auf die Hände des Mädchens fielen erkannte sie, dass ihre neue Knappin mindestens eine schlechte Eigenschaft hatte. Sämtliche Fingernägel waren bis aufs Äußerste runtergekaut. Erlinde versuchte zwar ihr Bestes das zu verstecken, aber das war nahezu unmöglich, soweit waren sie weg geknabbert.
“Ja, das hat er, euer Hochgeboren! Ich hoffe, ich werde euch eine gute Knappin sein und es wird euch gelingen aus mir eine gute Ritterin zu machen. Auch hoffe ich meine Heimat Weiden kennenlernen zu können, wo ich doch fast 10 Winter nicht hier gewesen bin. Ich würde gerne das Gefühl von Heimat irgendwo spüren…”
Lyssandra lächelte. “Na, das sind ja viele Hoffnungen und ich will meine noch dranhängen. Ich hoffe, deinen Erwartungen gerecht zu werden.”
Zu Firian gewandt, fragte die Finsterbornerin mit nachdenklicher Miene. “Hat sie ein Pferd? Sonst muss ich eines der Packpferde umsatteln lassen und wir müssten uns ein Packtier besorgen.”
“Im Moment hat sie noch ihr Pony mit dem sie aus Albernia hergekommen ist. Ein gutes Tier. Ich würde sagen für die nächsten 1-2 Jahre wird das sicher noch gehen. Es sei denn sie entschließt sich plötzlich in die Höhe zu schießen. Wie ich euch auf dem Rat sagte, ist ihr Vater im Kampf gegen den Schwarzpelz gestorben und ihre Mutter mit ihrem Stiefvater im fernen Windhag. Wenn irgendwas ist, seht mich und Adaque als ihre Eltern an und wir werden für alles eine Lösung finden.”
Die Finsterbornerin nickte. “An einem passenden Pferd soll es in Urkentrutz nicht fehlen. Ich wollte nur wissen, ob wir uns jetzt für die Reise noch nach einem Reittier umsehen müssen. Denn zu Fuß möchte ich sie nicht in dieser Jahreszeit mit auf die Reise nehmen müssen. Das wäre zu anstrengend für sie und vermutlich würde sie uns nur aufhalten.”
Eine weitere schlechte Eigenschaft trat zu Tage, als das Mädchen sofort aufbegehrte und dazwischen plärrte. Wenn es auch sicherlich gut gemeinte Worte waren.
“Ich werde euch niemals aufhalten! Das schwöre ich und Joppe ist wirklich ein gutes Pony. Ich habe ihn bereits als Fohlen bekommen und er hat mich noch nie im Stich gelassen!”
Ganz leise folgte noch "...und er ist das einzige Stück Heimat was ich im Moment habe".
Lyssandra verzog ein wenig das Gesicht, als Erlinde zu vorlaut herausplatzte, aber sie verschob die Schelte auf später und lächelte dann fast mütterlich, als das Mädchen seine enge Beziehung zu Pony Joppe beschrieb.
Der Schneehager nickte bestätigend und kam dann ins Plaudern. “Dabei ist mir aufgefallen, dass wir außer unserem kurzen Gespräch in der Ratspause eher weniger miteinander gesprochen beim Rat. Gut, es mag daran liegen das mein … Fokus etwas eingeengt war an jenen Tagen. Doch aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Erzählt mir doch noch etwas von euch. Wo soll es mit euch hingehen? Wohin mit Urkentrutz? Wollt ihr die Tradition Eurer Vorgängerin aufrechterhalten und Urkentrutz bleibt quasi unter sich...oder wollt ihr euch emsig umtreiben und die Mittnacht mitprägen?”
Lyssandra faltete die Hände im Schoß und sah den Schneehager gelassen an. “Nun, Traditionen sind gut, solange sie nicht von der Realität überholt werden. Wenn Ihr mit “emsig umtreiben” Eure Art und Weise meint, wie Ihr Diskussionen mit den Baronsbrüdern und Schwestern führt, dann werde ich vermutlich eher von der langweiligen Sorte sein. Verbalinjurien sind nicht so mein Stil…”
Sie ließ ein amüsiertes Lächeln folgen, das dem Böcklin deutlich machen sollte, dass sie ihm seinen polternden Auftritt nicht übelnahm, solcherlei aber dennoch nicht ihrem Naturell entsprach.
“Ob ich die Mittnacht mitprägen will?” Sie legte den Kopf schief, so dass das kastanienfarbene Haar auf der einen Seite bis auf die Schulter herabfiel. “In gewisser Weise schon, aber eigentlich nur als ein Teil im großen Mosaik “Weiden”. Ich möchte gerne meinen Teil dazu beitragen, dass die Bärenlande friedlich werden und dann bleiben und dass sie prosperieren. Da meine Baronie nicht an einer der Außengrenzen liegt und ich somit nicht in der ersten Linie stehe, wenn es um Schwarz- und Rotpelze geht, kann ich nur meine Unterstützung in personeller Form anbieten.”
Verbal...was?… Diese Frage stand Firian Böcklin deutlich ins Gesicht geschrieben auch wenn er sie nicht aussprach, sondern nur kurz zu Adaque ansah. Diese setzte zwar zu einer Erklärung an, die er aber mit einem leisen ´Später` unterband.
“Nun die meiste Zeit habe ich mich dort mit Amtsleuten von Grafen und der Herzogin rumgestritten. Sicher waren aber auch einige der von euch erwähnten darunter. Ich bleibe bei meiner dortigen Meinung und bin immer noch erschrocken wie weich oder wahlweise wie intrigant etliche geworden sind. Norgrimm von Fuchsfell und Tannfried von Binsböckel wurden mir immer als absolute Orkhasser beschrieben…”, man merkte das Firian begann sich schon wieder in Rage zu reden und Adaque legte ihm auch schon die Hand auf den Unterarm.
“Aber das ist Vergangenheit und seine Zeit und Kraft damit zu verschwenden über Dinge zu hadern, die nicht mehr zu ändern sind wäre eine große Verschwendung und das ist, wie der Weiße Jäger uns lehrt, einer der schlimmsten Frevel überhaupt. Es wird nicht lange dauern und alle werden auf die schmerzhafte Art und Weise merken wie recht ich hatte.”
Adaque ergriff das Wort bevor Firian sich entgegen seiner Absicht eben doch weiter mit diesem Thema beschäftigte.
“Friedliche Bärenlande...ob es sowas jemals geben wird. Eine schöne Vorstellung.”
Lyssandra seufzte tief. Für Firian war es nicht erkennbar, ob das Seufzen ob seines Menetekels kam oder eher Adaques Einwurf bestätigen sollte. Dann besann sich die Finsterbornerin der gestellten Frage und fuhr fort.
“Für Urkentrutz will ich in jedem Fall umtriebig sein. Die Baronie könnte deutlich mehr Menschen ernähren. Die Böden sind gut, aber es bräuchte Leute, die sie bebauen. Und die Dörfer sind rückständig. Baukunst, Verteidigungsanlagen… alles ist rückständig. Das ist natürlich eine Aufgabe für Generationen, aber irgendwer muss ja den Anfang machen, nicht wahr?”
Firian wechselte nach diesen Worten nahezu übergangslos vom grimmigen Jäger zum väterlichen Landesvater. Sogar seine Stimmlage veränderte sich.
“Das sind alles Dinge, die mir sehr bekannt vorkommen. Seitdem ich die Herrschaft übernommen habe widme ich meine ganze Kraft dem Wachsen und Gedeihen meines Landes...dem Land der Böcklins. Jedenfalls das was uns im Moment davongeblieben ist. Die Baronie lag nach dem letzten Orkensturm nicht nur am Boden, sie war weidwund. Es gab nicht einmal mehr Handwerker und keine Möglichkeit das neue ausgebildet werde können, da die Meister alle tot waren. Es hat mich viele Jahre gekostet und viele Reisen um neue Menschen anzusiedeln und vor allem auch die neuen und die alten Bewohner miteinander zu verbinden. Einen sehr großen Anteil hat dabei natürlich Adaques Vater. Er hat uns göttergefällige 12 Jahre lang jedes Jahr einen großen Wagenzug mit allem möglich geschickt. Angefangen von Werkzeugen über Vorräten bis hin zu Menschen. Ich kann euch auch raten immer wieder die sehr gefährliche Reise nach Lowangen auf euch zu nehmen. Jedenfalls solange das geht. Aber auch wenn man es nicht glauben will wo das Land schon solange vom Ork besetzt ist. Es gibt immer noch Höfe außerhalb der Mauern. Aber jedes Jahr werden viele davon von den Orks gebrandschatzt und die Flüchtlinge sammeln sich dann in den Gossen von Lowangen. Glaubt mir bessere Siedler findet ihr kaum.”
Bevor Firian seinen Vortrag weiter ausführen konnte griff Adaque erneut ins Gespräch ein.
“Wie meint ihr das mit rückständig?”
“Nun, die Häuser sind zumeist aus Holz und Fachwerk. Nur wenige besitzen steinerne Grundmauern. Das mindert die Stabilität und Langlebigkeit. Außerdem erhöht es die Brandgefahr. Ich möchte gerne dafür sorgen, dass zumindest die neuen Gebäude in den größeren Ansiedlungen mit einem steinernen Fundament und im besten Fall mit einem steinernen Erdgeschoß ausgestattet werden. Dazu werde ich mit gutem Beispiel vorangehen, und Gebäude, die ich neu errichten lasse, so bauen. Außerdem will ich meinen Eigenhörigen den Zugriff auf Stein als Baumaterial ermöglichen, wenn sie mit ihrer Hände Kraft ein neues Haus bauen. Dafür sollen diejenigen, die ihr Haus standfester und sicherer erbauen für die Zeit, die dafür benötigt wird, von den Frondiensten freigestellt werde. Aber die Rückständigkeit gilt auch für die Verteidigungsanlagen der Rittergüter. Die wenigsten besitzen eine Steinmauer. Manche verlassen sich glatt nur auf den Schutz der natürlichen Lage. Das ist ja förmlich eine Einladung für den Ork! Ich möchte die Adeligen dazu bringen, in ihre Verteidigungsanlagen zu investieren. Eventuell mit Anreizen wie der Gewährung eines gewissen Kontingentes an Einschlag in den baronseigenen Wäldern, ebenso die Gewinnung von Steinen aus meinen Steinbrüchen. Wenn das dazu dient, dass Urkentrutz sicherer wird. Aber, wie Ihr ahnen könnt, solche Vorhaben sind teuer, denn ich verzichte damit auch auf Einnahmen. Und damit zurück zu Eurem Vorschlag. Ich werde mich tatsächlich aktiv um Neubürger bemühen müssen. Vielleicht kann ich im kommenden Sommer eine Reise nach Lowangen unternehmen, ansonsten habe ich auch vor, die Familie meiner Mutter zu involvieren. Im reichen Horasreich geht es lange nicht allen so gut, wie wir immer meinen. Gerade in kinderreichen Familien sind schnell ein paar Mäuler zu viel und der Grund kann ja auch nur einmal weitervererbt werden. Vielleicht kann ich einige Siedler einfach mit der Aussicht auf einen eigenen Gutshof locken. Zudem würde ich gerne Handwerker von dort für eine Umsiedlung gewinnen. Denn während des Orkensturms ist nicht nur Schneehag entleert worden. Auch Urkentrutz musste bluten und hat so viele fähige Menschen verloren, dass die Lage momentan trostlos ist, obgleich die Bedingungen hervorragend wären um blühende Landschaften und einen gewissen Wohlstand hervorzubringen.”
“Große Pläne”, war Firians erster Kommentar und für weitere Worte schien er einen Moment nachzudenken. Er überbrückte dies damit indem er sich ein großes Stück Brot mit Ziegenkäse in den Mund steckte und verspeiste.
“Keiner dieser Pläne hört sich für mich grundsätzlich schlecht an und viel besser als das was ich in letzter Zeit so von anderen Baronen und Amtsleuten über Pläne gehört habe. Ich will euch nur bei einer Sache… nun nicht widersprechen aber doch einen dringenden Rat geben. Es ist sicherlich die Wahrheit das auch im Horasreich jeder Boden nur einmal vererbt werden kann. Ebenso das die Menschen von dort vielleicht besser lesen können. Aber sie sind zu weich. Sie sind das Wetter und die Natur hier nicht gewohnt. Ich hatte schon große Schwierigkeiten mit den Menschen aus Garetien und dabei liegt die Baronie meines Schwiegervaters noch nicht einmal direkt in der Goldenen Au. Ich bin mir recht sicher das die Bauern aus dem Horasreich an unseren Böden und Gegebenheiten zerbrechen werden. Lowangen bietet da die bei weitem bessere Quelle doch ist es aufgrund der Gegebenheiten nur ein kleines Rinnsal was von dort zu holen ist. Ein größerer Zug Menschen würde sofort Orkbanden auf sich ziehen. Ich habe nie mehr als ein Dutzend auf einmal von dort geholt und es war jedes Mal sehr gefährlich und hat Blut gekostet. Schneehag wird nun erst einmal ein paar Winter brauchen, ich rechne mindestens mit 5 eher mit 10, an denen ich aktiv keine weiteren Siedler holen werden. Bäume müssen wachsen und die neuen Gemeinschaften in den Dörfern und Weilern müssen erstmal eine werden. Es hat jetzt schon an einigen Orten Probleme bis hin zu Mord gegeben. Deshalb kann ich die im Moment beste und potenteste Quelle nicht nutzen aber für euch wäre sie nutzbar. In Garetien herrscht Krieg. Kein so … absoluter wie es einer wäre würde es gegen Schwerenschänder oder Schwarzpelze gehen. Aber dennoch Krieg und die Bauern leiden darunter immer am meisten. Dazu ist Garetien ähnlich dicht besiedelt wie das Horasreich. Wendet euch dorthin. Es wird schwer genug diese Siedler an das Leben in Weiden zu gewöhnen und holt von eurer Familie im Horasreich die Mittel und Werkzeuge dazu.”
Lyssandra hörte höflich zu. Dann setzte sie zur Antwort an. “Die Lage in Garetien ist mehr als nur traurig. Wie sich ein derart gebildetes und kultiviertes Volk so zu Grunde richten kann! Ihr habt sicher recht, dass es ich mein Glück auch dort versuche. Was das Horasreich angeht, so gebe ich euch recht, wenn es um reine Bauern geht, ich möchte aber eher diejenigen aus dem Lieblichen Feld abwerben, die als Gutsverwalter oder Vorarbeiter tätig werden können. Für die größeren Höfe und Güter. Dazu brauche ich fähige Handwerker. Und die findet man wahrlich im Horasreich. Was die einfachen Bauern angeht, werde ich sicherlich eher in der von den Orks so arg gebeutelten Region um Lowangen suchen gehen und vielleicht auch bei den Garetiern. Der einfache Mann leidet ja am meisten unter diesen unfassbaren Zuständen im Herz des Reiches.”
Firian nickte zustimmend bei dem Part wo Lyssandra ihre Meinung über die Vorkommnisse in Garetien sprach. Beim Horasreich schien er anderer Meinung zu sein, aber anders als zum Beispiel während des Baronsrates, ließ er hier die andere Meinung stehen auch wenn er sie offensichtlich für falsch hielt.
“Neben Lowangen und den Svelltländern kann man sich sicherlich auch in den Gassen von Trallop oder Baliho umsehen. Auch in Baliho mag es bereits Baronien geben wo Nachgeborene es nicht einfach haben ein Auskommen zu finden. Dafür braucht es natürlich Verbindung zu einem oder mehreren der dortigen Herrschenden. Ich will auch nicht unerwähnt lassen, dass das Bornland wirklich großartige Bauern hervorbringt. Männer und Frauen die an das harte Leben im Norden gewohnt sind und damit gut zurechtkommen. Mein Schwertvater war ein sewerischer Bronnjar und leider halten es nicht alle wie er und behandeln ihre Bauern wie ein strenger Vater seine Kinder. Nein sie sind üble Menschenschinder, die sich gefährlich nah am Rand des Frevels bewegen. Freilich eine Sache, die wir nicht ändern können, die aber bedingt, dass es auch so einige Bauern im Bornland gibt, die sehr gerne woanders Land bestellen würden. Langsam fangen wir hier in Schneehag an von den Maßnahmen zu profitieren und ich darf sagen das die Mischung aus alteingesessenen Schneehager, Svelltländern, Bornländern und Garetiern nach einigem Ruckeln sehr gut zusammenfindet.”
Die Urkentrutzerin nickte. “Mir schwebt auch eine ähnliche Mischbevölkerung mit hohem Anteil an Alteingesessenen vor.”
Und mit einem verbindlichen Lächeln wandte sich Lyssandra noch einmal gezielt an die Baronin von Schneehag.
“Gerade Ihr müsstet ja auch wissen, dass sich die Rückständigkeit der meisten Weidener Baronien nicht nur auf Baukunst und Handwerk bezieht, sondern auch auf die Bildung. Das ist ein großes Manko! Ich glaube, dass eine gewisse Bildung, und das bezieht sich in erster Linie auf Lesen, Rechnen und Schreiben, für diejenigen unserer Untertanen von großem Wert sein kann, die als Handwerker leben und arbeiten oder als Freibauern mit ihrer Landwirtschaft solche Überschüsse erwirtschaften, dass sie damit handeln können. Wenn diese in die Lage versetzt werden, ein anderes Verhältnis zu Zahlen und Rechnungen zu bekommen, sollte sich das auch positiv auf die Prosperität der Baronie auswirken. Ich jedenfalls glaube an die Macht der Buchstaben und Zahlen, das habe ich bei meinen Verwandten im Lieblichen Feld gelernt. Auch aus diesem Grund erhoffe ich mir ein Beoniterkloster in Urkenfurt errichten zu können. Dieser Orden ist bekannt dafür, dass er sich der Vermittlung dieser grundlegenden Fähigkeiten verschrieben hat.”
Auch Adaque lächelte und man sah ihr an das sie genau wusste was Lyssandra meinte.
“Oh ja. Ich erinnere mich noch an meine Anfänge hier. Vom edlen Grafenhof in Eslamsgrund mit all seinen Annehmlichkeiten, mit all seiner Kultur kommend kam ich hier an. Hier war alles...hart, kalt, ernst und noch einiges mehr. Ich kannte meinen Gatten so gut wie gar nicht und wir mussten uns erst einmal finden während ich ununterbrochen gefroren habe. Aber nach und nach habe ich auch die guten und schönen Seiten hier kennen gelernt. Die Vorteile die die Weidener gegenüber so manchem Südländer haben. Auch, insoweit muss ich meinem Mann zustimmen, wenn es so scheint und wie wir gerade auf dem Baronsrat erlebt haben, sich viele Hochadelige vom Weidener Weg entfernen und Südländer sein wollen. Ich habe jedenfalls zwei Dinge auf weniger oder mehr schmerzhafte Weise gelernt. Es ist sehr wichtig, wenn man möglichst viele alteingesessene Familien von Freibauern hat. In Schneehag hatten wir das Glück das Familien wie die Rohleders, Wolfenkuppes und andere da waren. Diese haben wir gefördert und dafür gesorgt das all ihre Söhne und Töchter die Möglichkeit hatten eine Hofstelle zu betreiben. Es waren ja genug Freie da. Sie konnten das Wissen ob der regionalen Besonderheiten an alle weitergeben. Ohne sie wären wir...na zu mindestens ich, sicherlich erst nach etlichen Versuchen und Scheitern dazu gekommen kein Getreide im großen Stil anzubauen und stattdessen jedes Jahr Setzlinge zu ziehen und junge Kastanienbäume zu pflanzen. Ich hoffe ihr habt in Urkentrutz einen ähnlichen `Bauernadel´.
Das zweite betrifft die Bildung. Die grundlegenden Dinge sind sehr wichtig, da stimme ich voll zu. Es muss ja nicht gerade ein Nandusgeweihter der Lehrer sein, aber ihr erwähntet ja bereits die Beoniter. Eine sehr gute Wahl meiner Meinung nach. Doch darf das alles nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Es dauert hier wesentlich länger um einen wenigstens halbwegs gleichen Ertrag zu erwirtschaften wie in der Goldenen Au oder gar im Lieblichen Feld. Wir haben uns entschlossen, witzigerweise ebenfalls mit den Beonitern zusammen, nur Kinder bis zu ihrem 12 Winter zu unterrichten auf das sie Lesen, Schreiben und Rechnen können. Die Gesetze und die Götter kennen und ein wenig über die Geschichte Schneehags. Das machen größtenteils die Geweihten in den Dorftempeln. Darüber hinaus, auch nach Beschwerden der Handwerkerzunft wollen wir hier in Steenbukken eine Art `Schule´ gründen wo ein Beoniter den Lehrlingen der Handwerker etwas mehr beibringt.”
Firian ergriff noch einmal das Wort und war relativ ernst dabei.
“Mein Vater und mein Urgroßvater ebenso wie mein Schwertvater haben es so gehalten. Seid euren Bauern gegenüber so wie es ein strenger aber gerechter Vater gegenüber seinen Kindern wäre. Das ist der beste Weg. Die Macht der Buchstaben ist definitiv vorhanden. Mogi können aus Buchstaben die schlimmsten Dinge formen und die Vorfälle von denen man hörte, in Sibur oder rund um die Nanduskirche in Garetien zeigen, dass sie auch ohne Mogi gefährlich werden können. Gar zum Frevel der Dämokratie führen können!”
“Ich bin dankbar für Eure Anmerkungen und Hilfestellungen. Auch mir geht es darum nicht alle Menschen zu bilden. Aber die Freien sollten eine gewisse Grundbildung haben, ebenso wie die Kinder, die sich für das Lernen begeistern können. Vielleicht kann ich auch in den größeren Dörfern so etwas etablieren oder eben den Dorfvorstehern anbieten, dass ein junger Mensch, der sich gelehrig zeigt, eine Zeit in unserem Beoniter-Ordenshaus verbringen kann. Womöglich lässt sich dort eine Reihe von Akoluthen ausbilden, die dann in den größeren Dörfern die Kinder Schreiben und Rechnen lehren. Wie gesagt, das braucht sicher alles seine Zeit und Dere wurde ja auch nicht an einem Tag errichtet.”
Lyssandra ging auch noch einmal auf die Problematik mit den verweichlichten Südländern ein.
“Mit Sicherheit ist man gut beraten, die tüchtigen, einheimischen Bauernfamilien zu fördern. Seit dem Census weiß ich wie viele Hofstellen unbesetzt sind. Ich werde mich darum kümmern, dass sie gerecht verteilt werden. Doch wenngleich die Südländer was Kälte und Unbilden des Weidener Klimas einiges an Gewöhnung brauchen werden, so bringen sie doch auch einen unschätzbaren Wissensstand mit was Handwerkskunst und technische Errungenschaften angeht. Davon können unsere Einheimischen sicherlich profitieren, bei ihnen lernen und Weiden so voranbringen. Die Früchte davon werde wohl nicht ich ernten, vielleicht aber meine Kinder oder deren Kinder. Versteht Ihr was ich meine? Ein Stein muss erst einmal ins Rollen gebracht werden. Einfach wird das sicher nicht und Rückschläge sind einkalkuliert. Einen Dämpfer musste ich schon vor ein paar Götterläufen hinnehmen, als ich aus dem Lieblichen Feld mit vielen hochtrabenden Ideen zurückkam. Soll ich euch die Geschichte erzählen?”
“Da stimme ich euch vollkommen zu und auch wir beide merken erst jetzt nach weit über 10 Wintern erst ganz langsam die ersten Erfolge und Ergebnisse. Umso betrüblicher dann, wenn man permanent die Bedrohung im Nacken hat, dass alles wieder zerstört wird. Doch darüber wird mein Mann sicherlich noch mit euch reden wollen. Vorher will ich nur noch einmal sagen, dass ich schon mit euch übereinstimme, dass das Wissen, die Kunstfertigkeit größer sein werden und es auch technische Errungenschaften im Süden gibt von denen hier noch niemand gehört hat. Ehrlich gesagt bin ich aufgrund meiner eigenen Bildung auch nicht so tief in der Landwirtschaft um da Konkretes nennen zu können. Ich will nur sagen, dass alles Wissen über die guten Eigenschaften der Olive nichts nützt, wenn die Bäumchen hier einfach im Winter eingehen. Oder das feiner und besser gewebte Hemd eine höhere Qualität hat als der schwere Lodenstoff, aber einfach zu kalt ist. Solche Dinge meinte ich sind immer mit zu beachten!”
“Da gebe ich Euch selbstverständlich Recht! Es gilt die Fähigkeiten auf die lokalen Gegebenheiten anzupassen.”
Vielleicht aus Befürchtung das Firian ihre eigene Vorlage ausnutzt und gleich wieder vom düsten Thema der Schwarzpelze anfing, setzte Adaque noch hinterher.
“Wo ihr gerade Kinder erwähnt habt. Ihr habt drei, soweit ich weiß, und seid selbst aber leider bereits Witwe?”
“So ist es”, bestätigte Lyssandra. “Mein Gemahl, Wonnebolt Hundsöd, starb während ich mit meiner jüngsten Tochter Eylin”, sie sah zu ihrer Jüngsten hinüber, “schwanger war. Er war Baumeister im Dienste der Herzogin und dort vor allem aufgrund seiner weitreichenden Kenntnisse über Gestein, in den Steinbrüchen Weidens unterwegs, um passendes Baumaterial für die verschiedenen Bauvorhaben auszusuchen. Vermutlich bin ich deshalb so überzeugt davon, dass Stein das bessere, langlebigere und sichere Baumaterial ist. Eylin ist noch bei mir. Sie macht nicht den Eindruck als wenn sie ihren Geschwistern in die Knappenschaft nachfolgen wird. Ich bin gespannt in welche Richtung sie sich entwickelt. Minerva, die Älteste ist Knappin bei meinem Dienstritter Oberon von Uhlredder und Theofried, der Zweitgeborene, ist bei Bärwulf vom Blautann auf dem Junkergut Leuengrund hier in der Heldentrutz Knappe. Beide werden sich sicherlich in die Reihen der tapferen Weidener Ritter einordnen.”
Ihr Blick fiel auf Eylin, die ganz offensichtlich gelangweilt von der Lobhudelei auf ihre älteren Geschwister die Augen rollte.
“Es muss ja nicht jeder Ritter werden, oder? Nur weil ich eine Weidener Adelige bin, heißt das doch noch lange nicht, dass ich mit dem Schwert in der Hand dem Ork oder dem Dämonenmeister die Stirn bieten muss.”
Der Schmollmund, den Eylin nach ihrer Antwort zeigte, war sehenswert und entlockte ihrer Mutter ein amüsiertes Grinsen.
Firian wollte augenblicklich Einspruch erheben. Sagen, dass Ritter sein so viel mehr ist als mit dem Schwert in der Hand Dinge zu tun. Aber Adaque hielt ihn davon ab. Eylin war nicht ihre Tochter.
Dadurch konnte sie aber nicht verhindern, dass Lebanus, der älteste Sohn der Schneehager, die Augen verdrehte und geräuschvoll die Luft aus dem Mund pustete. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass er die Aussage von Eylin gerade für großen Quatsch hielt. Nur durch Zufall kam Lebanus nicht dazu seinen Gesten noch Worte hinzuzufügen. Denn einer der drei Hunde hatte das Geräusch wohl als Aufforderung verstanden, dass was vom Tisch für ihn vorgesehen war und tauchte neben Lebanus auf. Ganz der Vater vergaß Lebanus daraufhin für einen Moment alles um sich herum.
Adaque sah kurz mitleidig zu Eylin rüber und sagte dann etwas leiser:
“Oh wie schrecklich...dann hat sie ihren Vater nie gesehen. Das ist wirklich traurig. Es dauert mich sehr, dass sie ein solches Schicksal ereilt hat. Natürlich auch euer Verlust.”
Adaque schien kurz mit sich zu ringen fuhr dann aber fort.
“Als jemand der selbst nicht frei entschieden hat mit wem er sein Leben teilt, auch wenn es bei mir zweifellos sehr gut funktioniert. Nun als so jemand möchte ich euch warnen. Es wird die Zeit kommen da werden sie sich auf euch stürzen und eine weitere Heirat vorschlagen. Wundert euch nicht, wenn dies aus einer Richtung kommt, die ihr nicht erwartet. Schafft entweder selbst Fakten oder seid sehr deutlich bei den ersten...Bewerbern!”
Firian war derweil über das Thema Baumeister drüber gegangen. Für eine normale Baronin natürlich eine sehr unpassende Wahl, aber damals war die Finsterbornerin ja weder Baronin gewesen noch hatte anhand ihrer horasischen Verbindungen die besten Aussichten. Er selbst hatte ja großes Glück gehabt, aber so mancher würde Lyssandra sicherlich neiden, dass man sie selbst nach ihrem Herzen den Partner hatte auswählen lassen. Doch wie es dann immer so war mit den grausamen Göttern hatten sie ihr dieses Glück nicht bis ans Ende gewährt, sondern es frühzeitig beendet. Uhlredder sagte Firian nur ganz dunkel was, der vom Blautann und das Junkergut Leuengrund waren ihm dagegen bekannt.
“Neigt sie den Dienst bei den Göttern zu”, fragte er dann mit kurzem Blick auf Eylin?
Wieder sah Lyssandra ihre Tochter forschend an. “Ich bin mir noch nicht so sicher. Bislang ist nur augenfällig, dass sie sehr gerne liest und wissbegierig ist. Ich bin gespannt, was die Beoniter zu ihr sagen werden. Vielleicht ist ja der Orden eine gute Bildungsstätte für ihren Wissensdurst?”
Was das Thema “Traviabund” anging, traf die Schneehager Baronin damit einen wunden Punkt. Lyssandra hasste die Diskussion darüber. Sie hatte sie schon ein paar Mal mit anderen Adeligen geführt. Alle meinten, dass es ihre Pflicht sei, sich mit einer anderen adeligen Familie im Traviabund zu verbinden. Schon zuvor als verwitwete Ritterin, aber erst recht jetzt wo sie Baronin war. Gewiss, das konnte ihr sehr viel Einfluss bringen, wenn sie es geschickt anstellte, doch, wenn sie ehrlich war, hatte sie gar keine Lust darauf in ihrem Alter noch einmal einen Mann in ihr Leben zu lassen. Zumal sie dem potentiellen Kandidaten keine Kinder mehr versprechen konnte und wollte. Womöglich würde ihr Tsa sogar noch ein spätes Kind schenken, wie sie es bei ihrer Mutter getan hatte. Doch zu welchem Preis? Kaum Baronin und neu vermählt würde sie womöglich gleich in Borons weit geöffnete Arme laufen… nein, kein Bedarf! Wenn, dann konnte sie sich höchstens einen Bund vorstellen bei dem man getrennter Wege ging. Ein Gemahl, der nicht in Urkentrutz weilen würde, sondern weit, weit weg… aber mit Einfluss… und dem nötigen Geldsäckchen… Unsinn! Ein Hirngespinst! Lyssandra beschloss nicht auf den Rat der Schneehagerin einzugehen und stattdessen Adaque nach ihrer Familie zu fragen.
“Habt Ihr noch Familie in Garetien? Müsst Ihr Euch um die Euren und deren Hab und Gut sorgen? Jetzt, wo sich die garetischen Adeligen gegenseitig an die Kehle gehen? Man hört ja furchtbare Geschichten.”
Adaque nickte bejahend:
“Nun zunächst muss ich sagen, dass die große, reichsweit bekannte Familie Mersingen recht wenig von dem Zweig hält aus dem ich komme. Das liegt sowohl an der Art meines Vaters als auch an seiner eigenen Art bestimmte Dinge zu regeln. Zum Beispiel, dass er mich mit einem Weidener Baron verheiratet hat ohne im Familienkreis um Erlaubnis zu fragen. Ich habe so auch so gut wie keinen Kontakt zu den Mersingens, die hier in Weiden leben. Auch wenn ich anfangs dahingehend ein paar Versuche gestartet habe. Mir wurde deutlich gezeigt, unter anderem von der Kanzlerin der Grafschaft Baliho und der Gemahlin des Barons der Hollerheide, dass ich für sie eine Fremde bin ohne jegliche Verbindung. Außer meiner direkten Familie in Dornensee habe ich nur noch ein wenig Briefkontakt mit Ihrer Hochwohlgeboren Thargrîn von Mersingen auf Pfalz Kaiserley. Meine Eltern leben nach wie vor in Dornensee, einer Baronie mit über 9000 Einwohnern welche zudem in der Grafschaft Eslamsgrund gelegen ist. Der einzigen Grafschaft die halbwegs verschont blieb vom Krieg. Bisher jedenfalls... Doch Sorgen habe ich mir natürlich immense gemacht, man wusste ja anfangs so gut wie gar nichts und ein Brief meines Vaters hat meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Das war auch der Grund warum ich mit Unterstützung meines Mannes für einige Monate dort war. Mit einem sehr großen Gefolge aus Waffenvolk. Wir haben dort einige Haderlumpen und Kriegsgewinnler zur Strecke gebracht und wenigstens ein kleines bisschen für Ordnung sorgen können. Alles was mein Vater trotz all seiner Mittel nicht tun konnte das Dornensee das Lehen von Rohaja von Gareth ist und diese ja deutlich zeigt das sie nicht daran interessiert ist den Konflikt zu beenden. Mein älterer Bruder Rondrian herrscht über ein Junkergut in der Nachbarbaronie, die direkt dem Grafen von Eslamsgrund gehört. Auch er ist so halbwegs sicher. Lediglich um meinen jüngeren Bruder mache ich mir immer noch große Sorgen. Thallion ist ein sehr feingliedriger und sanfter Mensch. Er hat von uns dreien am meisten elfisches Blut abbekommen. Meine Mutter ist eine Halbelfe müsst ihr wissen. Thallion jedenfalls nimmt dieser Krieg sehr mit. Er ist der Mutter der Weisheit geweiht und sein Tempel steht zum Glück auch in einer Baronie in Eslamsgrund. Aber wie gesagt setzt der Krieg und seine Folgen ihm sehr zu. Er ist ein Kind der Goldenen Au und kannte bisher Leid, Not und Entbehrungen nur aus Büchern. Dazu hat ihn Ende 1041 noch seine Verlobte, Fridega Unikornia vom Berg, den Laufpass gegeben. Er war sehr verliebt in sie und sie anfangs auch, hat sich dann aber den Vorhaben ihrer Familie gebeugt. Ich überlege schon ihn zu mindestens für eine Weile nach Schneehag zu holen. Andererseits würde er hier… in dieser Umgebung wahrscheinlich eingehen wie eine Primel. Er hat nicht viel für Natur und raue Schönheit übrig. Eigentlich nur für Bücher, Kunst und dergleichen. Wo ich aber gerade Hesinde erwähne und an eure Pläne denke. Ihr wisst das in eurer Nachbarbaronie Moosgrund einer… vielleicht ist es auch der einzige, Hesindetempel Weidens liegt? Seid ihr dort schon gewesen?”
“Da trifft es sich gut, dass eines unserer Reiseziele die Baronie Moosgrund ist. Ich werde versuchen es so einzurichten, dass wir das Ordenshaus der Draconiter besuchen können. Es gibt bezeichnenderweise ja leider nicht viele Tempel der Allweisen in Weiden. Soviel ich weiß ist seit der Zerstörung des Tempels in der Sichelwacht durch die Goblins keiner mehr übrig. Nur ein Schrein auf dem Rhodenstein, den ich auch schon besucht habe. Dort werden wir unsere winterliche Rundreise beschließen, so dass Eylin vielleicht auch da noch einmal in sich gehen kann, ob das womöglich ein Weg für sie wäre.”
Die Baronin von Urkentrutz warf ihrer Jüngsten einen fragenden Blick zu, der mit einem gelangweilten Starren beantwortet wurde. Es war zu offensichtlich, dass sich die blonde Zehnjährige noch keine Vorstellung davon hatte, wohin es in der Zukunft mit ihr gehen sollte. Trotzig schürzte sie die Lippen.
Adaque nickte und machte ein betroffenes Gesicht.
“Ja leider...ich weiß noch ich war kein Jahr hier in der Mittnacht und Firian und Ich hatten noch nicht vollends zueinander gefunden. Dazu war Lebanus geboren und ich musste das erste Mal als Mutter handeln. Da bekam ich die Nachricht von der Zerstörung von Ancillaruh durch die Rotpelze… Ich war kurz vor der Verzweiflung da ich tagein tagaus immer hörte wie viel gefährlicher der Schwarzpelz war. Dann kam der Bote, der berichtete wie das große Göttinnenhaus, über 20 Diener Hesindes sollen dort gewesen sein, von “Ungeziefer” wie mein Mann sie immer nennt, zerstört wurde. Es hat damals nicht viel gefehlt und ich hätte Reißaus genommen.”
Adaques Gesichtsausdruck veränderte sich.
“Vielleicht können wir beide und weitere Mitstreiter ja irgendwann daran was ändern und an einem passenden Ort ein Haus der Allweisen stiften. Auf dem Baronsrat wurde über das Thema grundsätzlich ja auch schon gesprochen. Ab davon muss man die Orte des Wissens in Weiden ja nicht ganz vermissen. Sie sind halt oft nur nicht direkt unter der Aufsicht der Hesindekirche. Auf dem Rhodenstein gibt es eine sehr große Sammlung über die Geschichte des Landes und seine Geschlechter. Der erwähnte Hort in Moosgrund. In Baliho die Bibliothek der klugen Undra. In Trallop auf der Bärenburg...oder wenn man es etwas profaner möchte im Schauspielhaus der Zwölf bzw. der Bardenschule. Ich habe seit einiger Zeit einen Buchhändler und Kopisten im Gefolge, der in meinem Besitz in Gareth lebt und arbeitet. Mit seiner Hilfe werde ich auch hier auf Burg Firnhag eine kleine Bibliothek aufbauen.”
An dieser Stelle meldete sich der Schreiber der Urkentrutzerin zu Wort. Fromund Truchsess hob die Hand um anzudeuten, dass er etwas sagen wollte. Er räusperte sich.
“Es freut mich zu hören, dass auch Ihr das geschriebene Wort schätzt, Hochgeboren. Schade nur, dass Euer Kopist in Gareth lebt. Es würde mich freuen, wenn ich mich ab und zu mit einem geschätzten Kollegen austauschen könnte. Meine Aufgabe in Urkentrutz wird es auch sein, neben dem Schriftverkehr und dem Archiv eine Sammlung von Schriften anzulegen, die Volksdichtung, Sagen und Legenden und allgemeines Volkswissen zu Fauna und Flora, Geologie und Mythologie zum Inhalt haben.”
“Ja, es ist nicht gerade um die Ecke, aber es bot sich einfach an und da es erst im Aufbau ist und ich ja mittels seines Gewinns meine Bibliothek aufbauen möchte ist Gareth da einfach die beste Wahl gewesen.”
Lyssandra nickte. “Der Aufbau einer solchen Bibliothek des “Volkswissens” ist mir eine Herzensangelegenheit. Ich hoffe, die Beoniter damit in ihrer Arbeit unterstützen zu können. Und wahrlich ist es ein hervorragender Einfall, werte Adaque, dass wir uns gemeinsam für die Allwissende einsetzten könnten.”
Während Adaque und Lyssandra sich unterhielten nahm das Abendessen seinen Lauf und fand langsam sein Ende. Die ersten Anwesenden begannen sich zu verabschieden. Firian stellte Lyssandra kurz seine Dienstritter vor. Die beiden Brüder Robak und Rodegar von Runkel und ihren Onkel Perrich von Runkel. Lyssandra sah diesen Männern sofort an, dass sie keine Feingeister waren. Sie wirkten eher wie eine geballte Faust in einem Panzerhandschuh, die auf einem Wink Firians sofort und ohne zu zögern zuschlagen würden. Danach lernte sie Rauert von Runkel kennen, den Vater von Robak und Rodegar, den das harte Leben als Fahrender Ritter sichtbar gezeichnet hatte und der inzwischen Burghauptmann und Firians Berater war. Beim Gehen sah Lyssandra, dass den Mann diverse körperliche Leiden plagten, die es schwer vorstellbar machten, dass er noch reiten konnte oder in Rüstung kämpfen.
Als nächstes mussten die Kinder ins Bett bzw. wenigstens auf ihre Zimmer. Lediglich Lebanus durfte noch etwas bleiben. Adaque verließ fürs Erste die Runde und brachte, trotz Bediensteter, die Kinder selber ins Bett. Firian nun nur noch mit seinem Sohn und den drei Hunden an seiner Seite verlagerte das Gespräch an den großen Kamin mit den bequemen Sesseln. Dort ging die Unterhaltung eine ganze Zeitlang weiter und Adaque kam irgendwann auch wieder dazu. Das Feuer wurde ordentlich geschürt, so dass es angenehm warm in seiner Nähe war. Heißer Hippokras wurde ebenfalls ausgeschenkt. Nach und nach wurden auch die Knappen und Bediensteten entlassen und am Schluss saß man nur noch zu dritt am Feuer. Aber irgendwann musste auch diese, wie alle anderen, Runden ein Ende finden und jeder begab sich in sein Schlafgemach.



Am nächsten Tag wurde Lyssandra das erste Mal wach als ein Knecht hereinkam und Feuerholz in ihrem Kamin nachlegte.
“Firun hat ordentlich gewirkt die Nacht Hochgeboren”, gab er Lyssandra noch mit. Wenig danach kam eine Magd mit zwei Krügen, die sie auf dem Waschtisch abstellte. In einem war dampfend heißes Wasser, in dem anderen lediglich lauwarmes.
“Braucht ihr noch etwas oder erledigt eure Zofe alles Weitere?”
“Seid bedankt, den Rest erledigt meine Zofe!”
Die Finsterbornerin entließ den Knecht und widmete sich ihren gymnastischen Übungen, mit denen sie jeden Tag begann. Der “Tsa-Gruß”, eine Abfolge langsamer, eleganter Dehnungen, die sie beim dem horasischen Tanzlehrer lernte, den ihr Tante und Onkel im Lieblichen Feld aufgedrängt hatten, gefolgt von Kampfübungen ohne Waffe, die einzig der Verbesserung von Gleichgewicht, Geschmeidigkeit und Geschicklichkeit dienten.  
Als die Finsterbornerin fertig war und auf den Flur trat erwartete sie Ademar Schüttinger und führte sie in einen kleineren Raum als den Rittersaal. Nach dem Eintreten hatte man das Gefühl eher in einer rustikalen Holzhütte als auf einer Burg zu sein. Ein gedeckter Frühstückstisch erwartete sie und ein Ofen sorgte für wohlige Wärme. Weiterer Höhepunkt des Raums war ein Fenster mit echten Glasscheiben, die ob des Temperaturunterschiedes zwar stark beschlagen waren, dahinter aber dennoch den Blick auf den See freigaben.
“Die Baronsfamilie lässt Grüße ausrichten nimmt aber am Frühstück nicht teil. Erwartet euch dann aber nachdem ihr soweit seid auf dem Hof zur verabredeten Jagd.”
“Bitte richtet der Baronsfamilie meine Grüße aus. Wir freuen uns bereits auf die Jagd”, erwiderte die Finsterbornerin.
Kurz danach kamen auch Eylin und die restlichen Personen aus Lyssandras Gefolge in dem Speiseraum an. Sie berichteten, dass sie gestern gut aufgenommen wurden und in dem Speiseraum des Gefolges neben der großen Burgküche unter dem Rittersaal im Souterrain des Palas gespeist hatten. Nun also bereit waren um Anweisungen zur Vorbereitung auf die Jagd zu befolgen.
Lyssandra erinnerte sich, dass Adaque angeboten hatte mit den Vögeln aus ihrem Bestand der Beizjagd nachzugehen und Firian eine Pirsch zu Fuß mit Jagdspieß und Kurzbogen angeboten hatte.
Sie nahm sich nur eine kleine Schüssel mit Brei und trank ein wenig warme Ziegenmilch, denn sie wollte sich vor der Jagd nicht zu sehr belasten. Nachdenklich betrachtete sie Eylin, die neue Knappin Erlinde, die Schildmaid Heidelind und Merthold.
“Wie wäre es, Eylin, wenn du mit der Baronin auf die Falkenjagd gehst? Das dürfte dir doch gefallen, oder? Und du Erlinde? Möchtest du auch mit ihr gehen? Ich würde den Baron auf der Pirsch begleiten. Zwar habe ich meinen Bogen aus der Werkstatt der Bogenbaumeisterin Olorande Folmin nicht mitgenommen, aber wahrscheinlich kann mir der Baron einen Bogen aus seiner Sammlung geben.”
“Wenn es euch nichts ausmacht, Hochgeboren, würde ich Euch lieber bei der Pirsch begleiten.”
“Aber sicher, Erlinde, wenn es dein Wunsch ist!”, antwortete die Urkentrutzerin.
Sie warf einen leicht tadelnden Blick auf die Fülle an Lebensmitteln, die die neue Knappin für das Frühstück auf ihren Teller gehäuft hatte. Brot, Eier, Hartwurst, Käse.
“Wenngleich ich dir empfehlen würde, sparsam zu frühstücken, damit du kein Seitenstechen bekommst. Lieber lässt du dir davon etwas beiseite stellen für nach der Jagd. Da wirst du sicher Hunger haben und dann ist auch der richtige Zeitpunkt herzhaft zuzugreifen.”
Etwas traurig sah Erlinde auf ihr Frühstück und tat gut die Hälfte davon wieder weg. Sie versuchte auch das Bündel zu verstecken, dass sie mit reingebracht hatte und wo ihr die Küche wohl schon was zusammengepackt hatte. Sie knabberte dabei auch umständlich an ihrem Daumennagel, bemüht noch ein Stück zu finden was man mit den Zähnen erwischen kann.
“Verzeiht mir...ich dachte nur daran, dass es mit dem Baron sehr anstrengend wird und ich dafür Kraft brauche. Ihr müsst wissen er macht das sehr oft...und war heute Morgen auch schon wieder mit seinen Hunden laufen...ich kann manchmal gar nicht glauben, dass man so viel laufen kann… Im Windhag bin ich eigentlich überall hin geritten!”
Ohne ein Wort und begleitet von einem strengen Blick griff Lyssandra nach Erlindes Hand und entzog sie den knabbernden Zähnen.
“Gewiss wird es anstrengend. Und glaub mir, die Reise wird es auch werden. Auch wenn du auf einem Pferderücken sitzen darfst ist das tagelange Reiten in Eis und Schnee kein Zuckerschlecken. Spar dir dennoch deine Stärkung für die Zeit nach der Anstrengung auf!”
Es war eindeutig, dass die Baronin keine Widerrede dulden würde und als Erlinde schon zu einer Erwiderung ansetzen wollte, schnitt sie ihr mit einer knappen Geste das Wort ab.
“Genug jetzt, Erlinde! Wir brechen auf!”


Auf dem Hof von Burg Firnhag empfingen zwei Gruppen die Gäste aus Urkentrutz.
Auf der einen Seite stand Baronin Adaque von Mersingen. In leichte, enganliegende Lederkleidung gewandet, eine Fellweste wärmte den Oberkörper zusätzlich und ein langer, dicker Wollmantel mit fellbesetzten Schultern und Kapuze. Neben ihr stand zum einen eine Ritterin, die bisher noch nicht in Erscheinung getreten war. Sie war in eine knielange Lederbrigantine mit Plattenteilen gewandet und trug ebenfalls einen wärmenden Fellumhang. Adaques Knappin und Page standen ebenfalls warm gekleidet dabei. Dahinter befanden sich ein relativ junger Mann und eine junge Frau, die sich sehr ähnlich sahen und sehr wahrscheinlich Zwillinge waren. Daneben eine gut 60 Winter alte Frau, die aber noch sehr gut bei Kräften schien. Adaque begrüßte Eylin und stellte alle Anwesenden vor:
“Das hier ist meine ehemalige Knappin und gute Freundin Hannafried von Schartenstein. Sie ist heute zu Besuch gekommen und begleitet uns. Wir drei können uns sicherlich über alle möglichen Seiten des Rittertums unterhalten und ich verspreche dir, du darfst alles Fragen.”
Adaque deutete auf Knappin und Page, die Eylin vom Sehen schon kannte.
“Das ist Helara von Köttelstein, die uns beiden heute aufwarten wird. Daneben steht Geldor von Petzenthann.” Der kleine, tapsig wirkende Page hatte einen relativ kleinen Hund an der Leine. Dieser hatte sehr langes, feines weißes Fell außer am Kopf wo es verschiedene Brauntönen hatte.
“Das ist Firundo, mein kleiner Schatz und Freund, der mich überall hinbegleitet.”
Die Baronin beugte sich zu dem Hund hinunter und kraulte diesen ausgiebig. Man merkte sofort, dass dieser Hund ihr sehr viel bedeutete und andersherum.
Auch die Baronin von Urkentrutz ging in die Knie und hielt dem kleinen, weißen Hund ihre Hand zum Schnuppern hin. Als der Kleine freundlich mit dem Schwanz wedelte, begann sie sein seidiges Fell zu streicheln.
“Na, du süßer Fratz?”
Offensichtlich hatte auch Lyssandra einen Narren an Firundo gefressen.
Adaque beobachte das Spiel kurz und schien glücklich, dass Firundo so viel Liebe bekam.
Anschließend deutete sie auf die anderen Anwesenden.

 
“Das sind Marja und Miljew Tuljow, zwei Jagdgehilfen.” Marja hatte zwei Winhaller Wolfsjägerhunde bei sich und Miljew auf einem Falknerhandschuh eine prächtige Gabelweihe.
“Das ist Milvus...ich war dabei als er aus dem Ei geschlüpft ist und habe ihn selbst großgezogen. Er ist noch sehr jung und das ist erst das dritte Mal, dass ich ihn zur Beize mitnehme. Mal schauen wie er sich heute schlägt.”
Als letztes stellte Adaque die ältere Frau vor.
“Das nun ist die Jagdmeisterin von Schneehag, Karenja Eberring. Sie dient uns schon viele Jahre, wenn sie auch nicht in Schneehag, sondern auf der anderen Seite des Finsterkammes im Svelltland geboren ist. Ohne ihre Hilfe hätte ich mich wahrscheinlich in der ganzen Mittnacht bei der Jagd lächerlich gemacht und wahrscheinlich hätte ich nicht einen einzigen lebendigen Vogel in unserem Horst.”
Man merkte das die Baronin großen Respekt vor der älteren Frau hatte, bezogen auf deren offenbar vorhandenen Fähigkeiten bei der Jagd. Karenja hatte ebenfalls einen
 
Falknerhandschuh an auf dem ein Uhu saß.
“Das ist Tolmides. Einer meiner erfahrensten Vögel. Eigentlich ist es für ihn noch etwas früh. Aber mal sehen ob er noch wacher wird und auch in Jagdlaune kommt.”
Alle Vorgestellten grüßten Eylin höflich wenn auch relativ kurz angebunden. Lediglich Hannafried sagte etwas mehr und brachte zum Ausdruck, dass sie sich darauf freute Eylin kennen zu lernen.
Lyssandra beobachtete ihre Tochter und die Ritterin, die sich unterhielten. Vielleicht konnte Hannafried schaffen, was ihr nicht gelungen war - sie von den Vorzügen der ritterlichen Ausbildung zu überzeugen.
Sie wandte sich an Adaque. “Ich bin schon sehr gespannt, wie sich die Vögel bei der Beizjagd machen. Mein Vater hatte einen kleinen Jagdfalken und hat auch gerne mit ihm gejagt, als er jünger war. Aber als das Tier starb, bildete er keinen neuen Jagdvogel mehr aus. Zu diesem Zeitpunkt konnte er bereits nicht mehr gut im Sattel sitzen und ausgedehnte Spaziergänge bereiteten ihm Mühe. Er hätte das nie zugegeben und umschiffte das Thema, wenn man die Sprache darauf brachte, aber es war offensichtlich, dass er das Junkergut nur noch selten verließ.”
Die Finsterbornerin zuckte mit den Schultern. “Deshalb habe ich nicht mehr viel Übung in der Beizjagd. Als Pagin habe ich bei Otus von Uhlredder vor allem viele Eulenvögel beobachtet und ihn auf der Beizjagd begleitet. Er war ein hervorragender Vogelkenner… bis zuletzt…und ich will unbedingt lernen, wie man mit diesen große Eulenvögeln arbeitet, denn ich bekam erst kürzlich einen Uhu von Onto von Uhlredder zu meiner Belehnung als Baronin geschenkt. Leider habe ich noch keinen Falkner, der sich um ihn kümmert und mit mir übt. Bislang übernimmt Eylin das Füttern und wir lassen den Uhu ab und zu gemeinsam fliegen.“
Lyssandra erinnerte sich daran, dass ihre Schwester Ysilda ihr erzählt hatte wie Otus am Ende seines Lebens wohl fast selbst zum Vogel mutiert war. Er verbrachte die meiste Zeit in den Baumwipfeln des Rittergutes Stegelsche und dort starb er auch. Mitten in den Zweigen seines Lieblingsbaumes. Nur mühsam gelang es der Urkentrutzerin die Gedanken abzuschütteln und sich auf die bevorstehende Jagd zu konzentrieren.
Die Baronin von Schneehag schien auch kurz in Gedanken während Hannafried mit Eylin sprach.
“Mein Gemahl hat es ja ganz groß mit Hunden, aber ich mag lieber die Arbeit mit Vögeln. Sie sind irgendwie erhabener und anmutiger...sabbern weniger und sind doch nicht zu unterschätzen.”
Adaques Blick ging kurz zu den Krallen und Schnäbel der beiden Jagdtiere. Unterdessen näherte sich Firundo seinem Frauchen und diese ging sofort wieder darauf ein.
“Mein kleiner Firundo ist da natürlich die große Ausnahme. Ich habe ihn bei einem Besuch in Gareth vor ein paar Jahren auf der Straße gefunden. Kann man sich vorstellen wer es fertig bringt so eine liebe Seele auszusetzen?”
“Unfassbar!”, empörte sich die Urkentrutzerin. Sie betrachtete die kleine Promenadenmischung liebevoll. Vielleicht sollte sie sich auch einen Hund zulegen? Doch sie verwarf den Gedanken sogleich. Jetzt, wo sie alle Hände voll zu tun hatte mit der neuen Aufgabe war einfach keine Zeit für so einen kleinen Kerl. Später vielleicht...


Die zweite Gruppe stand direkt vor dem von Birken umringten Firuntempel. Sie bestand zu allererst aus Baron Firan Böcklin selber. Der Baron war in dickes Hirschleder gekleidet. Stiefel, Hose Jagdhemd und Weste waren sämtlich aus diesem Material. Die lederne Außenseite war sehr dick, vielleicht sogar zwei Lagen Leder und die fellbesetzte Innenseite würde für einige Wärme sorgen. Am Hals sah man, dass er noch mindestens ein Leinenhemd drunter trug. Um den Hals hatte er zudem einen langen aber eigentlich recht dünnen Schal aus Leinen. Ebenfalls um den Hals hatte er an einem Lederriemen eine sehr große Tierkralle. An der Hüfte trug Firian einen Eberfänger. Auf dem Rücken einen Jagdköcher mit etwas weniger als einem Dutzend Pfeilen und einem ungespannten Bogen. In der Hand hatte er einen Jagdspieß.
Neben ihm standen zwei Männer. Einer war der Firunhofgeweihte, Firutin Fesslin, den Lyssandra schon kannte und von dem sie inzwischen wusste, dass er der Halbbruder des Barons war. Er war ähnlich gekleidet und bewaffnet hatte anstatt des Eberfängers nur ein für Firungeweihte typisches Firunsmesser. Der dritte, ein grob geschätzt 20 Winter alter junger Mann, wurde Lyssandra als Felian Fesslin vorgestellt.
“Felian ist der Bastard eines Verwandten und bei meiner Jagdmeisterin in der Lehre. Wenn diese irgendwann auf ihrer letzten Jagd gewesen ist, wird er ihr nachfolgen.”
Das letzte Mitglied des Schneehager Hofes was sie offenbar begleiten sollte war ein weiterer Winhaller Wolfsjäger den Felian führte.
Als Lyssandra mit ihrer neuen Knappin ankam, hatte Firian sich gerade von seinen drei Leuwebergerhunden verabschiedet.
“Wir werden ohne die drei losmachen. Sie sind für eine Pirschjagd nicht gut geeignet. Nur auf Schwarzpelz scharf abgerichtet. Wie ihr seht, habe ich Jagdspieß und Bogen dabei. Im Hag ist mindestens eine größere Rotte Wildschweine unterwegs die wir recht leicht finden sollten. Oder wir gehen auf was anderes wo es eher den Bogen braucht. Kennt ihr die Schneehager Pfeifhasen. Sehr klein und wendig, schwer zu treffen und um einen richtig satt zu machen braucht man eigentlich schon zwei. Aber dafür sehr schmackhaft? Wonach steht euch der Sinn und was braucht ihr dementsprechend noch an Ausstattung aus meinen Beständen?”
Lyssandra trug enge Lederkleidung in hellbraunem Hirschleder. Unter dem wollenen Reitercape mit Pelzbesatz trug sie eine gesteppte, hüftlange Wollweste, die mit dicken Hirschhornknebeln geschlossen war. Die Hände steckten in langen Handschuhen, die Beine in kniehohen, hirschledernen Stiefeln mit einem Pelzabschluss. Sie hatte lediglich einen Eberfänger am Gürtel.
Die Baronin legte den Kopf schief. “Nun, beides hat seine Vorzüge. Ich glaube aber, dass ich gerne die Schneehager Pfeifhasen kennenlernen würde. Also ihr Aussehen und Verhalten, und vielleicht, wenn mir der Alte vom Berge gnädig ist, oder Euch, dann auch ihren Geschmack.”
Die Urkentrutzerin grinste. “Ich müsste allerdings um einen Bogen bitten, da ich meinen nicht bei mir habe. Ebenso bräuchte ich einen Köcher mit Pfeilen.”
Firian nickte nur und gab seinen Speer an einen heran gewunkenen Gehilfen. Diesem trug er dann auch gleich auf einen Jagdbogen für Lyssandra zu holen.
Unterdessen sah der Firungeweihte mit leichtem Tadel zu Lyssandra.
“Es steht jedem gut zu Gesicht seine Jagdwaffen steht´s mit sich zu führen. Man weiß nie wann das nächste Mal das Jagdhorn ertönt und zur Jagd aufruft. Stets auf alles vorbereitet zu sein ist eine Tugend!”
Der Bedienstete kam zurück und brachte einen Jagdbogen welcher einige elfisch anmutende Verzierungen trug. Ebenso eine dazu passende frische Sehne, Köcher und ein Dutzend Pfeile.
“Mein Wald, der Hag, beginnt gleich auf der anderen Seite des Ufers. Ich laufe normalerweise das Stück. Ist euch das recht oder wollt ihr lieber per Pferd den Beginn der Jagd machen?”
“Ich bin recht gut zu Fuß!”, antwortete die Urkentrutzerin und schritt gleich aus. Der Tadel, dass sie ihre Jagdwaffe nicht bei sich führte, ignorierte sie vollkommen. Sie war auf einer Rundreise und nicht bewusst zum Jagdausflug aufgebrochen. Jedes Stück mehr, das man mitführen musste, sollte vermieden werden.
Auf dem Weg zum Ort wo die Jagd beginnen sollte begann Firian Lyssandra etwas mehr über den Schneehager Pfeifhasen zu erzählen. Zunächst beschrieb er ein solches Tier, wodurch sich vor dem inneren Auge der Finsterbornerin ein Bild ergeben würde.
“Nun, so ein Pfeifhase wird so 10-22 Finger groß und so 12-36 Unzen schwer. Er scheint wirklich sehr intelligent zu sein da er so gut wie nie in Fallen geht. Am besten jagt man ihn mit Bogen oder, viele Bauern tun dies, mit Schleudern. Die Weibchen können zweimal pro Jahr zwischen 5 und 9 Nachkommen zur Welt bringen. Sie fressen am liebsten Hasel- und Walnüsse, Eicheln und Kastanien. Er kann ein Pfeifen ähnlich wie das eines Murmeltiers ausstoßen was ihm seinen Namen einbrachte. Das Fell ist sehr weich und warm aber leider sehr klein.”
Firian sah Lyssandra neugierig an wie sie auf die Beschreibung ihrer Beute reagieren würde.
“Interessant!” Die Baronin hob die Augenbrauen. “Ist er besonders hier im bergigen Vorland des Finsterkamms zu finden? Ich kann mich nicht erinnern, gehört zu haben, dass es Pfeifhasen auch in Urkentrutz gibt.”
Firian dachte kurz nach.

“Ihr kennt sicher das Orklandkarnickel welches neben dem vorkommen in dem namensgebenden vermaledeiten Landstrich auch zahlreich auf der anderen Seite des Finsterkammes im Svelltland vorkommt. Ihm ähnlich ist der gemeine Pfeifhase der eigentlich überall vorkommt nördlich der Linie Havena und Rommilys. Er ist aber viel größer und stämmiger als die Schneehager Unterart. Wo man dem gemeinen Pfeifhasen schon annähernd eine Sprache zuordnet ob ihrer vielen Pfeiftöne und dergleichen ist die hiesige Art darin nochmal um einiges besser. Ich habe schon dutzendfach Gesprächen zwischen Tieren gelauscht und bin mir sicher, dass es eine Sprache ist. Die kleine hiesige Art kommt in großer Zahl aber eigentlich nur hier in Schneehag vor und auf Schneehags Breite auch in den höheren Finsterkamm. Allerdings nur so weit bis es Murmeltiere hat, gegen die sie aufgrund ihrer Größe unterlegen sind. Scheinbar sprechen die Murmeltiere auch nicht die Sprache der kleinen Hasen, weshalb es zu keiner Zeit zu einer Koexistenz der beiden kommt. Er ist wirklich sehr schwer zu jagen, schwerer als andere Hasen und Karnickel, die ja auch nicht die einfachste Beute sind und ich vermute deshalb konnte sich der kleine Pfeifhase hier so ausbreiten. Ich und bereits mein Vater und Großvater haben ja allen Einwohnern von Schneehag, mit Ausnahme des Hagwaldes, die Jagd auf Niederwild freigegeben”
Firian sprach mit großer Freunde und fast begeistert über die Jagd und wirkte so ganz anders als z.B. auf dem Baronsrat. Sogar einen kleinen Witz auf Kosten der Murmeltiere streute er ein.
Nachdenklich nickte Lyssandra. “Ja, jetzt wo Ihr erwähnt, dass der gemein Pfeifhase größer und stämmiger ist, erinnre ich mich, die Tiere auch in der Schwarzen Au gesehen zu haben. Dort ist das Leben aber auch leichter und sie können an Gewicht und Größe einiges zulegen. Hier in dieser kargen Region, in der sie zudem so gnadenlos von anderen gejagt werden…”
Sie beendete den Satz nicht, sondern überlegte ob sie nicht doch besser mit dem Böcklin auf die Wildschweinhatz gegangen wäre.
Schließlich hatte die kleine Gruppe den See umrundet und alle spannten ihre Bögen. Felian holte ein Stück Fell aus einer Umhängetasche hielt es dem Hund vor die Nase und ließ diesen dann von der Leine. Dieser nahm die Nase auf den Boden und ging zügig aber nicht so dass man nicht folgen konnte in den Wald. Firian wartete nicht bis ihm das Wild irgendwie zugetrieben wurde. Er kniete sich während der Hund vorbereitet wurde hin und schmierte sich Hände und helles Gesicht mit etwas Walderde ein. Dann sprach Firutin kurz ein wortloses Gebet und machte ein Segenszeichen auf alle Teilnehmer. Sie bildeten zwei Gruppen und der Hund übernahm die Spitze wodurch eine Art Dreieck entstand. Firian und Lyssandra gingen in einer Gruppe nur wenige Schritte auseinander in den Wald. Die Jagd hatte begonnen und wenig später hörte man fast nur noch die Geräusche des witternden Hundes und das gelegentliche leise Knirschen, wenn einer der Jagdgesellschaft auf ein noch von der Nacht gefrorenes Stück Waldboden trat.
Etliche Stunden später, die Sonne stand schon sehr tief, traten Firian, Lyssandra und ihre Begleiter wieder aus dem Wald. Sie waren redlich erschöpft und den ganzen Tag, nahezu ohne Pause durch den Wald gepirscht. Sie hatten etliches Wild und noch mehr Spuren gesehen. Man merkte das außer dem Baron und seinen Gästen nur Firungeweihte und andere Tiere in dem Wald jagten. Firian trug den Jagdhund über den Schultern das Tier hatte sich vor gut einem Stundenmaß eine Pfote verknackst als er in ein Erdloch getreten war. Das hatte dazu geführt das nun endlich dem Baron auch die Anzeichen von Anstrengung anzusehen war. Der Firungeweihte hatte sie irgendwann im Laufe des Tages verlassen. Er hatte irgendwas gesehen und beschlossen die Nacht im Wald zu verbringen. Felian trug die Strecke die Firian erbeutet hatte. An einem Ast, mit Lederschnüren befestigt, hingen drei Pfeifhasen. Sie waren bereits aufgebrochen aber noch im Mantel und vielleicht war es der Übermut gewesen den der Hund verspürt hatte, nachdem er die Innereien bekommen hatte, die dafür gesorgt hatten, dass er in das Erdloch getreten war, wo er vorher den ganzen Tag sicher durch das Unterholz gestromert war.
Die Baronin von Urkentrutz hatte nur wenig Jagdglück gehabt. Ob es am geliehenen Bogen lag, dem fehlenden Segen des Alten vom Berge oder dem Umstand, dass die Schneehager Pfeifhasen kleiner, schneller und wendiger waren als ihre behäbigen Urkentrutzer Artverwandten. Wie dem auch sei, kehrte die Baronin nur mit einer zufällig erbeuteten Auerhenne zur Burg zurück.
Gemeinsam umrundeten sie wieder die Burg und kamen mit den letzten Strahlen der Tagessonne im Burghof an. Firian übergab den Hund an einen Hundeführer und streckte sich erstmal ausgiebig. Einen Hasen brachte er als Opfer im Firuntempel da während die anderen beiden in die Küche wanderten.
“Ein guter Tag würde ich sagen. Der alte vom Berg hat uns Beute gewährt, wenn es auch alles andere als einfach war. Ich für meinen Teil werde mir nun erst einmal ein Bad genehmigen. Wenn ihr wollt, ist das für euch natürlich auch möglich.”
Lyssandra, die gegen Ende des Jagdausflugs schon recht gefröstelt hatte, nickte begeistert.
“Ach ja, so ein warmer Zuber wäre schon eine Wohltat!”
Firian grinste und gab einem Diener entsprechende Anweisungen.
“Ich huldige und ehre den Weißen Jäger, aber einem Bad im heißen Zuber nach so einem Tag kann ich mich auch nicht verschließen. Sobald ihr soweit seid kommt einfach in den Rittersaal. Heute machen wir aber nicht so eine große Runde und setzen uns gleich um den Kamin.”
Damit verließ Firian seinen Gast vorerst. Eine Küchenmagd nahm Lyssandra noch die Auerhenne ab.
Als Lyssandra dann ihr Quartier erreichte, hatten zwei Knechte bereits einen halb gefüllten Holzzuber in dem sie bequem Platz finden würde hineingestellt und den Kamin angefeuert. Ein halbes Stundenmaß später kamen sie wieder mit einem Kessel mit kochendem Wasser, das sie sofort einfüllten. Zwei weitere Eimer mit sehr heißem Wasser wurden daneben gestellt mit deren Hilfe Lyssandra dann selbst die Temperatur in ihrem Zuber einstellen konnte.
Das tat die Baronin von Urkentrutz dann auch. Zufrieden seufzend ließ sie sich ins behaglich warme Nass gleiten. Sie mochte den Winter und das Jagen im Winter, was nicht bedeutete, dass sie gänzlich unempfindlich der Kälte gegenüber war. Schnell fror sie an Händen und Füßen. Und die meldeten sich nun auch im warmen Wasser. Zunächst durchfuhr sie beinahe ein Schmerz, dann begannen die Finger und Zehen zu kribbeln - unangenehm. Es dauerte eine Weile bis sie die Wärme ungetrübt genießen konnte. Die vorher eiskalten Extremitäten nahmen nun Farbe an, sie wechselten von Weiß zu Rot. Lyssandra wurde heiß. Sie strich sich die Haare aus der schweißnassen Stirn. Schließlich tauchte sie unter, ließ die Wärme über das Gesicht strömen und blies die Luft in kleinen Blasen an die Wasseroberfläche.
Einige Zeit später, nachdem ihre Zofe Wigdis Lyssandra und später auch Eylin beim Kämmen und Richten der Haare und dem Ankleiden geholfen hatte, begab sich die Baronin in den Rittersaal.
***
Die Gruppe um Adaque ging ein gutes halbes Stundenmaß nach Südosten nachdem sie die Burg verlassen hatten. Sanfte Hügel mit vielen Büschen, Hecken und kleinen Waldinseln prägten hier die Landschaft. Man sah nur wenige Spuren menschlichen Treibens und die winterliche Landschaft verbreitete eine ruhige Stimmung. Drehte man sich um war bald auch nur noch der Bergfried von Burg Firnhag zu sehen, sowie ein paar Rauchsäulen der Kaminfeuer der Burg und des Ortes Steenbukken. Im Osten, ein paar Meilen entfernt, sah man ebenfalls ein paar Rauchsäulen, und Hannafried berichtete Eylin, dass dort ihr Dorf Neu-Schartenstein lag, welches ihr Lehen mitsamt des umliegenden Landes war. Sie kamen auf einer recht großen Wiese an, die u-förmig von einem breiten Band aus Hecken und Sträuchern umringt war. Sie war so groß und breit, dass einige Bäume dort standen. Auf der offenen Seite standen an einer Stelle ein paar Bäume. An dieser Stelle kam die Gruppe zum Stehen und das Ziel schien erreicht zu sein. Denn die beiden Hunde wurden losgelassen und machten sich sogleich schnüffelnd und witternd auf den Weg. Die Gabelweihe hörte diese Geräusche und schien ganz aufgeregt zu sein. Der Uhu dagegen hatte sich dick aufgeplustert und die Augen halb geschlossen. Adaques Blick traf sich mit der Jagdmeisterin.
“Is noch zu früh für ihn...dit wird noch nix.”
Sie setzte das Tier auf einen Ast hab wo es wenig später die Augen ganz schloss.  
Hannafried blickte Eylin an und begann ein Gespräch.
“Du bist das jüngste Kind deiner Eltern, richtig? Ich habe auch nur ältere Geschwister. Zwei um genau zu sein. Sie sind aber beide in meiner alten Heimat Garetien. Sind deine Geschwister in Weiden?”
Eylin nickte. “Ja, sind sie. Meine Schwester Minerva ist sogar vor kurzem auf der Burg eingezogen. Sie ist die Knappin von Oberon von Uhlredder, dem Dienstritter meiner Mutter. Und mein Bruder, Theofried ist in der Heldentrutz bei Bärwulf vom Blautann Knappe.”
Hannafried nickte und dachte einen Moment nach. Entschied sich dann aber für die Weidener Art und fragte direkt heraus.
“Und du möchtest nicht die ritterliche Ausbildung absolvieren? Was spricht dagegen aus deiner Sicht?”
Die Jüngste Finsterbornerin schüttelte schweigend den Kopf. Nach einer Weile antwortete sie leise. “Ne, ich kann mir das einfach nicht vorstellen… so im Kettenhemd und mit Helm auf einem Schlachtfeld auf eine wilde Horde Orks oder Dämonen oder so loszureiten. Ne, echt nicht! Ich will lieber lesen und studieren oder was Sinnvolles tun, das Menschen hilft. Jungen und Alten… allen eben…”
Sie stockte. Konnte eine Ritterin das überhaupt verstehen?
Hannafried und Adaque sahen sich kurz an und lächelten beiden. Falls Eylin Kritik erwartet hatte oder gar Verachtung wurde sie enttäuscht. Adaque machte den Anfang.
“Ich weiß noch mein erstes Mal als es auf Leben und Tod ging. Ich hatte so viel Angst ich konnte nicht mehr sprechen und hab mich dreimal übergeben.”
Hannafried stieg ein.
“Oh ja...oder der erste Treffer...ich habe mein Blut gesehen und gedacht das war's jetzt und das es viel zu früh ist...Mach dir keine Sorgen Eylin. Dieser Gedanke ist bei allen so. Jeder hat diese Angst beim ersten Mal.”
Adaque fuhr fort
“Aber warum glaubst du denn das Ritterinnen nicht lesen und studieren. Dass sie nichts Sinnvolles tun? Das Helfen der Schwachen und Schutzbedürftigen ist einer der höchsten Werte einer Ritterin. Ich habe mein Schwert wesentlich seltener in der Hand als ein Buch, eine Schreibfeder oder etwas zu Essen für einen Bedürftigen. Denk nicht nur an das Kämpfen Eylin. Willst du Weiden eigentlich verlassen oder hier weiterleben?”
Nun grübelte Eylin.
“Das was Ihr sagt, stimmt wohl. Auch meine Mutter ist Ritterin und mein geliebter Großvater war es auch. Der hatte tatsächlich oft ein Buch in der Hand und die Schreibfeder, meine Mutter sowieso. Aber um die Bedürftigen kümmern sich ja wohl eher die Geweihten der Zwölfgötter, vor allem der Travia und der Peraine, oder nicht? Ich könnte mir das schon vorstellen, also mein Leben in den Dienst der Alten, Schwachen und Kranken zu stellen. Oder zu forschen... “
Der Blick der Jüngsten Finsterbornerin ging hinaus in die verschneite Landschaft.
“Hm, ich kenne ja nur Weiden. Ob es mir woanders gefällt weiß ich nicht. Aber meine Tante Tsafira erzählt immer tolle Geschichten aus fernen Regionen, wo der Boden aus heißem Sand besteht, wo es Meere und Inseln und Menschen anderer Hautfarbe gibt. Das wäre sicher spannend! Mutter war ja auch einige Götterläufe im Lieblichen Feld. Da habe ich ja auch noch Verwandtschaft. Ich glaube meine Mutter hätte es gerne, wenn ich auch mal da hinreise. Aber das hat ja alles noch Zeit.”
Adaque lächelte Eylin mütterlich an und auch Hannafried schien die Finsterbornerin zu mögen. Adaque ergriff aber wieder zuerst das Wort.
“In den Dienst der Eidmutter oder der Gebenden zu treten ist sicherlich eine sehr ehrenvolle Sache. Dazu enthält sie auch genau die Tätigkeiten, die du beschreibst. Wenn das dein Wunsch ist solltest du es deiner Mutter schnell sagen. Nicht jeder, der es möchte wird bei aller Güte und bei aller Milde von den Göttinnen erwählt. Doch du täuschst dich, wenn du Ritter sein nur mit Kämpfen gleichsetzt. So wie wir alle den guten Zwölf Göttern und ihrem Gefolge huldigen. So hat jeder gute Ritter auch 12 Tugenden in denen er unterwiesen wurde und nach denen er lebt. Welche er davon dann primär folgt ist seine Sache. So lautet die Tugend der Eidmutter Barmherzigkeit!”
Hannafried ergriff das Wort und zitierte mit Stolz und Ehrfurcht
“Fürsorge, Hilfsbereitschaft und Gnade gegenüber Schwachen und Hilflosen, ob Alte oder Kinder, sei der Ritterin Pflicht und Zier!”
Adaque hakte wieder ein.
“Auch der Schwur, den man nach seiner Schwertleite leistet, bezieht sich nicht alleine aufs Kämpfen. Auch er vereint alle Tugenden.”
Wieder war es Hannafried, die die Schwurworte rezitierte. Auch wenn sie es in der Schneehager Variante tat.

"Ich gelobe nicht zu weichen vor dem Feind,
sein vergossenes Blut und seinen Tod zu ehren,
wie die Heiligkeit des Kampfes selbst.
Ich gelobe Schutzbefohlenen den Schild zu halten,
mit Schwert und Geist für sie zu streiten,
und ihr Leid zu teilen als wäre es das meine.
Ich gelobe Rondra und ihren Geschwistern zu folgen,
für ihre Sache zu streiten und ihre Gebote zu ehren,
bis ich das Rauschen von Golgaris Schwingen höre.
Ich gelobe, der Eidmutter zu ehren und ihrem Beispiel zu folgen,
und den Menschen in Neu-Schartenstein ein Heim zu geben und es zu beschützen.
Ich gelobe das Volk und die Herden Schneehags zu schützen,
dafür zu sorgen, dass, beide wachsen und gedeihen können
und schwöre stets für ihr Wohlergehen zu streiten.
Ich gelobe den Lehren des Weißen Jägers zu folgen,
den Ork gnadenlos und ohne Ausnahme zu bekämpfen,
und ihn ohne Mitleid zu zerschmettern.
Ich gelobe der Familie Böcklin, allen voran der Anath,
Treue, Gefolgschaft und Loyalität.
Dies ist mein Eid an diesem Ort."

Der pathetische Wortlaut des Eides verstärkte bei Eylin das Gefühl, dass dieser Weg wohl nicht der richtige für sie wäre, wenngleich sie sich durchaus vorstellen konnte, dass ihre Mutter ihn ähnlich gesprochen haben musste. Es passte auch vieles darin auf Lyssandra, außer dass sie die Lehren des Weißen Jägers nicht so beherzigte, wie die Familie Böcklin es tat. Wahrscheinlich würde sie eher einen Eid auf die Gebende Göttin Peraine oder die Ewigjunge Tsa einfügen. Eylin aber fand den Eid unpassend für das, was sie von ihrem Leben erwartete. Dennoch lächelte sie freundlich Hannafried zu, die ihn aus voller Überzeugung zum Besten gab. Ja, Hannafried war mit Herz und Seele Ritterin und das war gut so. Genau solche brauchte es für Weiden. Solange niemand von ihr erwartete, dass sie selbst ihn leisten sollte.
Adaque schien den Eindruck zu bekommen das junge Mädchen vielleicht etwas zu überfordern. Deshalb lächelte sie wieder, legte ihr den Arm um die Schulter und kniete sich neben sie, damit ihre Gesichter auf einer Höhe waren. Dann deutete sie in die Ferne.
“Und weißt du was das Beste ist? Wenn du deine Ausbildung beendet hast und die Schwertleite erhalten hast kannst du in die Welt ziehen. Niemand nimmt es einer Ritterin krumm, wenn sie nach ihrer Ausbildung jahrelang durch die Welt zieht und Erfahrung sammelt. Viele sagen sogar, dass diese Zeit als Fahrende Ritterin, manche nennen es auch Heckenzeit, die prägendste des ganzen Lebens ist. Du bist dann bestens auf alles vorbereitet was dir auf deinen Reisen begegnet. In den allermeisten Gegenden ist man froh dich zu sehen und weiß, dass du Hilfe und Schutz und nicht Tod und Unheil bringst. Du kannst überall in Aventurien den Zwölf Tugenden folgen und Alten und Schwachen auf deine Art helfen. Dazu wirst du in allen anderen aufrechten Rittern, die du auf deinen Reisen triffst, Freunde und Gefährten finden. Und wer weiß dann schon ob du nach Weiden zurückkommst und hier als Dienende oder Regierende Ritterin weitermachst oder dir irgendwo auf der Welt ein Lehnsherr Land gibt oder dich an seinen Hof aufnimmt. Ob ein Tempel oder ein Kloster dich bittet vor Ort zu bleiben und zu helfen.”
“Hm”, machte Eylin und lächelte die Baronin freundlich an. “Sicher, das gilt es alles zu überdenken. Habt Dank für Eure wertvollen Hinweise, Adaque von Mersingen.”
Sie drehte den Kopf und schien nach etwas zu suchen. “Seid ihr sicher, dass der Uhu da einfach so sitzen bleibt?”, fragte sie verunsichert. “Und wie geht es jetzt weiter?”
Adaque sah kurz zu Tolmides rüber der sich dick aufgeplustert, den Kopf eingezogen und die Augen komplett geschlossen hatte.
“Der bewegt sich die nächsten Stunden nur wenn er was hört was eine Gefahr für ihn sein könnte. Karenja wird auch ein Auge auf ihn haben. Wir nehmen uns Milvus, der möchte unbedingt zeigen was er kann!”
Eine ganze Weile warteten sie noch bis dann schließlich der Hund das erste Opfer aufgespürt hatte und anzeigte. Adaque nahm Milvus auf die Hand und sprach ihm noch ein paar Worte der Aufmunterung und Anfeuerung zu, ganz so als ob er diese verstehen würde. Dann ließ sie ihn steigen. Nachdem er gut 100 Schritt hoch war gab sie das Kommando und der Hund scheuchte das gefundene Wild auf. Ein paar Enten waren es die nun hektisch aufflogen. Milvus brauchte einen Moment, vielleicht etwas länger als das Adaque mit ihm voll zufrieden wäre. Dann aber stieß er von oben herab auf die chancenlose Ente. Der Jagdgehilfe Miljew rannte hin sammelte Milvus wieder ein, atzte ihn ab.
“Er kann sich immer noch nicht ganz beherrschen. Er hat sie gleich getötet aber auch ein wenig gekröpft. Aber ich glaube es wird besser.”
Der Vogel bekam die Haube wieder aufgesetzt während Adaque bestätigend in Richtung von Miljew nickte. Auch sie war zufrieden mit Milvus, wenn seine Ausbildung auch noch nicht abgeschlossen war. Danach sah sie Eylin an.
“Möchtest du Milvus das nächste Mal loslassen?”
“Gerne!”, erwiderte Eylin, “wenn Ihr mir das zutraut? Ist er schwer?”
“Er ist nicht so schwer wie man anhand seiner Größe vielleicht denken würde, was bei Vögeln ja normal ist. Aber als Leichtgewicht würde ich ihn auch nicht bezeichnen. Mach keine schnellen Bewegungen und sprich ganz ruhig mit ihm dann geht alles gut!”
Ehrfürchtig hielt sie den großen Vogel auf dem ausgestreckten Arm. Das Schauspiel, das sie soeben schon einmal genossen hatten, wiederholte sich. Eylin versuchte ebenfalls aufmunternde Worte für Milvus zu finden. Was dazu führte, dass er mehrmals den Kopf dreht ob der ihm nahezu unbekannten Stimme. Er blieb aber ruhig. Dann hob Eylin den Arm hoch und ließ ihn steigen. Es dauerte eine Weile bis er fündig wurde. Lange stand er in Luft, die Flügel schlugen kräftig um sein Gewicht in der Luft und über seiner Beute zu halten. Dann stieß er hinunter und scheuchte erneut ein paar Wasservögel auf.
Erneut waren es einige Enten. Vielleicht sogar die gleiche Gruppe wie beim ersten Mal. Die Tiere versuchten dieses Mal anders zu entkommen und flogen so schnell sie konnten ins Ufergebüsch. Aber Milvus war zu schnell und erwischte eine. Wobei sowohl Beute als auch Jäger anschließend halb im Wasser landeten und patschnass waren. Miljew eilte sich und holte erst den kostbaren Jagdvogel als auch die Beute aus dem Wasser, mit der Folge, dass auch er triefend vor Adaque und ihrem Gast trat.
“Na das ist aber eine schöne Bescherung...Miljew bring Milvus und die beiden Enten schon mal zur Burg und sehe zu, dass die Enten in die Küche kommen und du und Milvus euch trocknet.”
Adaques Blick ging zuerst zur schläfrigen Eule und dann zu Eylin.
“Magst du mit mir ein wenig spazieren gehen oder wollen wir lieber zur Burg zurück und am Kamin auf die Rückkehr der anderen warten?”
“Meinst du er hat jetzt ausgeschlafen?”, fragte die Elfjährige mit kindlichem Interesse. “Ich meine die Kälte macht mir nichts aus, aber ich will Tolmides nicht ärgern. Aus dem Schlaf geweckt werden ist nämlich nicht schön, das kenne ich.”
Sie wurde leicht rot dabei und es war offensichtlich, dass sie wohl eher ein Morgenmuffel war.
Adaque lächelte die junge Finsterbornerin an.
“Ich denke er wird noch den ganzen Tag in diesem Zustand bleiben. Was hältst du von folgendem Vorschlag: wir gehen zurück zur Burg, aber setzen uns nicht vor den Kamin, sondern gehen hoch in den Turm wo der Horst ist mit meinen Vögeln? Ich habe noch eine weitere Gabelweihe, die gerade brütet und einen Falken der sich aber bei der letzten Beiz etwas verletzt hat weshalb ich ihn heute nicht mitgenommen habe.”
"Oh ja!", Eylins Augen leuchteten. "Das klingt spannend!"
Mit einem mitleidigen Blick auf das müde Käuzchen hakte sich die Finsterbornerin vertrauensvoll bei der Schneehager Baronin unter und stapfte munter durch den frisch gefallenen Schnee in Richtung Burg.
Als die beiden Adeligen die Burgerreichten erreichten, gefolgt vom restlichen Teil ihrer kleinen Jagdgesellschaft , waren vielleicht 3 Stunden seit ihrem Aufbruch vergangen. Adaque führte Eylin erst in die Kernburg und dann zum linken Eckturm zwischen Bergfried und großem Torturm. Über eine hölzerne Treppe stiegen sie in den 1.Stock des Turmes wo sich der Eingang befand. Ein weiteres Stockwerk überbrückten beide über eine an der Außenmauer entlanglaufende Treppe, welche vom Eingang aus auch in das Erdgeschoss und ein Kellergeschoss führte. Auf jedem Stockwerk kamen sie jeweils an einer schweren, verschlossenen und mit Eisen verstärkten Holztür vorbei. ´Da lagern verschiedene Vorräte` teilte Adaque mit, falls Eylin neugierig war. Schließlich erreichten sie dann das Stockwerk auf dem sich der Horst befand. Darüber lag noch eine Aussichtsplattform direkt unter dem Dach mit Giebeln in jede Himmelsrichtung. Der Turm hatte hier einen überdachten Zinnenkranz. Die Lücken zwischen den Zinnen waren zur Außenseite hin offen, bzw. wegen der Jahreszeit gerade mit Strohsäcken verschlossen. Die Lücken die in die Burg führten hatten dagegen jeweils aus Holz gezimmerte Einsätze. Ebenfalls hölzerne Gitterstäbe schlossen diese Einsätze nach draußen und zum Inneren des Turmes ab. Eylin konnte bei einem Blick in einen leeren Einsatz sehen, dass diese sicherlich mehr als einen halben Schritt weiter nach außen führte als die Zinnenlücke. Leicht konnte man erkennen welche Einsätze bewohnt waren und welche nicht. Miljew, der sich einen Wollmantel umgeworfen und in einer Feuerschale Feuer gemacht hatte, kümmerte sich gerade um den nassen Milvus. Die Jagdmeisterin wollte Tolmides in seine Kemenate bringen.
“Was möchtest du zuerst sehen oder machen und habt ihr auf der Schwarzen Au eigentlich auch einen Horst?”
Eylin schüttelte den Kopf. "Mein Großvater hatte wohl mal einen im "Theo", dem großen, alten Turm. Aber als er alt wurde und die Beine nicht mehr so wollten hat er die Vogelzucht aufgegeben. Ich habe das nicht mehr bewusst mitbekommen. Aber Otus von Uhlredder, ein Ritter auf dem Nachbargut "Stegelsche", der hatte viele Vögel, vor allem Eulenvögel. Meine Mutter und meine Tante erzählen immer davon. Beide haben dort ihre Pagenzeit verbracht. Sie haben immer noch einen großen Horst, habe ich gehört, auch wenn ich lange nicht dort war. Ich muss Oberon mal fragen, wer den jetzt versieht. Und auf der Baronsburg haben wir erstmal nur eine einfache Hütte, in der unser Uhu Eusebius vorübergehend untergekommen ist. Dabei bietet sich die Lage über dem Fialgralwatal sehr gut an für einen Horst. Da sind ja viele Auwälder flussauf- und flussabwärts. Zeig mir bitte alles, damit ich auf Burg Urkenfurt auch so einen Greifvogelhorst für Eusebius bauen kann. Das wäre toll! "
Die Augen des Mädchens leuchteten voll Vorfreude.
Adaque freute sich sichtlich mit Eylin jemanden gefunden zu haben der ihre Begeisterung für die Balzjagd teilte. Die nächsten Stunden zeigte sie Eylin alles was es zu zeigen gab. Sie versorgten gemeinsam den verletzten Jagdvogel und fütterten den brütenden Falken. Leider gab es noch keine Küken wobei Adaque der Meinung war das es höchstens noch einen halben Götternamen dauern würde. Auch die Einrichtung eines Horstes auf Burg Urkenfurt fand sie sehr gut. Da die Versorgung mit Eulenvögeln ja offenbar gesichert war, bot sie sogleich an einen der Falken aus der Zucht für Eylin zu reservieren und dass sie auch Hoffnung hatte das die Gabelweihen demnächst brüten würden. Sie bot jedenfalls an, wenn es soweit wäre nach Burg Urkenfurt zu kommen und beim Aufbau zu helfen.
Ein Grummeln zeitgleich aus den Mägen der Beiden brachte sie dann schlussendlich nach Stunden vom Thema ab.
„Wollen wir mal schauen ob deine Mutter und mein Gemahl schon wieder da sind und ob wir was zum Essen finden?“
"Oh ja, bestätigte Eylin. Mein Magen knurrt auch schon."
Gemeinsam begaben sie sich auf die Suche nach den anderen.
*** Am frühen Nachmittag dieses Tages im Boronmond herrschte ungewöhnlich viel Gewusel auf Burg Firnhag. Gestern waren Baron und Baronin sowie die Gäste aus Urkentrutz auf der Jagd gewesen und es war ein langer Abend geworden. Alle hatten ungezwungen am Kamin gesessen, Wildbret verspeist, Bier und Hippokras und sicherlich auch das ein oder andere Pinnchen Hochprozentigen genossen. Die Stimmung war gut gewesen und auch die längeren Momente, während alle einfach nur dem knisternden Feuer im großen offenen Kamin zusahen, waren nicht unbehaglich gewesen. Ein-zwei Mal hätte die Stimmung kippen können, als Firian anfinge über den Kampf mit den Orks zu sprechen. Aber Adaque hatte es jedes Mal unterbrochen. Später im gemeinsamen Ehebett musste sie sich dafür zwar ungehaltene Fragen anhören, konnte aber leicht die Wogen glätten das dies ja ein Antrittsbesuch und weder Kriegsberatungen noch Bündnisgespräche. So waren dann schließlich alle mehr oder weniger spät und mehr oder weniger angetrunken in ihr Bett gefallen. Am Morgen berichteten die Bediensteten das starker Schneefall eingesetzt hatte und als ob sie sich abgesprochen hätten beschlossen alle länger als gewohnt im warmen Bett oder Kammer zu bleiben.
So war es dann schon Vormittag und nicht mehr wie geplant Morgen als sich langsam alle auf dem Hof versammelten. Die Bediensteten hatten die Vorkehrungen fast abgeschlossen, sei es dass sie die Pferde gesattelt und vorbereitet hatten oder dass sie Vorratspakete gepackt hatten. Neben den Urkentrutzern würden auch zwei von Firians Dienstrittern, die beiden Runkelbrüder, düstere Gesellen, die als die Kettenhunde des Barons bekannt und gefürchtet waren, aufbrechen. Jeder begleitet von ein paar Reisigen aus ihren Lanzen. Sie würden die Urkentrutzer bis an die Grenzen von Schneehag geleiten.
Firian, in einen wärmenden Bärenfellmantel gehüllt, auf den er sehr stolz war, trat auf den Hof wo die Schneeflocken nur noch vereinzelt zu Boden gingen und sah sich nach seinen Gästen um.
Lyssandra von Finsterborn musste unwillkürlich grinsen als sie den Baron von Schneehag in seinem Bärenfellmantel sah. Das passte wie Faust auf Auge. Einige Male hatte sie sich am vergangenen Abend an seinen Auftritt beim Baronsrat erinnert gefühlt. Ein brummiger Bär, für den Diplomatie ein unaussprechliches Fremdwort war. Er hatte seine angenehmen Seiten, konnte ein großartiger Gastgeber und launiger Gesprächspartner sein, aber in einigen Punkten übertrieb er es mit der Firunsstrenge und Unnachgiebigkeit, wie die Urkentrutzerin fand. Er wich keinen Halbfinger von seiner vorgefassten Meinung. Sie wusste, dass dieser Wesenszug teilweise mit dem ewig dräuenden Schwarzpelz zusammenhing und das ließ sie gelten. Doch machte es Unterhaltungen oder gar Verhandlungen mit ihm schwierig.
Die Finsterbornerin trat auf den Schneehager zu und reichte ihm den Unterarm zum Rittergruß.
„Herzlichen Dank, Bruder Schneehag für die Gastfreundschaft und den Jagdausflug und richtet Eurer Gemahlin aus, dass meine Jüngste nicht müde wird, von der Beizjagd zu schwärmen und schon die Einrichtung eines Greißvogelhorstes auf Burg Urkentrutz plant.“
Firian ergriff den Unterarm und schüttelte ihn kräftig.
„Gern geschehen ich persönlich, genauso wie meine Gemahlin als auch die gesamte Familie Böcklin achten stets die Gebote der Eidmutter. Doch ab von der Pflicht des Glaubens war es mir auch Kür. Eine angenehme Gesellschaft und interessanter Austausch. Ich hoffe wir können ihn Beizeiten wiederholen. Beendet eure Rundreise, lernt sämtliche Nachbarn kennen. Es ist wichtig zu wissen auf wen man sich verlassen kann und wer wie über dieses und jenes denkt. Ich hoffe von euch zu hören, wenn Ifirn ihren gestrengen Vater endgültig für diesen Götterlauf nach Norden geschickt hat.“
Firian wollte gerade noch etwas zu Adaque sagen als diese auch auf den Hof kam. Die Baronin wirkte etwas gehetzt und sowohl Frisur als auch Kleidung waren nicht ganz in Ordnung und Form.
„Verzeiht mein spätes erscheinen. Die Kinder haben sich übel gestritten und dem ein oder anderen Spross verlangte es nach augenblicklicher Klärung der Lage. Sie mögen eines Tages über Lehen und Untertanen herrschen, aber soweit ist es noch lange nicht.“
Mit einem Lächeln überspielte sie diese Episode dann und bot Lyssandra zur Verabschiedung eine Umarmung an.
Die Finsterbornerin erwiderte den Gruß und lächelte Adaque an. Sie mochte die Gemahlin des bärbeißigen Schneehagers. Was der Böcklin für ein Glück hatte, so eine Frau an seiner Seite zu wissen.
Firian erwähnte kurz das Lob und die Pläne von Eylin und Adaques Lächeln verbreiterte sich und bekam eine Portion Stolz dazu.
„Mein Angebot steht und bei aller Freude die es manchen bereitet bei jedem Wind und Wetter durch die Büsche zu pirschen. Die Beizjagd ist die wahre Königsdisziplin der Jagd. Wo führt euch euer Weg als nächstes hin?“
„Durch die Hollerheide nach Brachfelde", erwiderte Lyssandra. Dort habe ich sehr gute Beziehungen seit meiner Knappenzeit bei Accolon von Brachfelde zu Chircin. Ich werde einige Zeit in der Baronie verbringen und meine Kontakte auffrischen und vertiefen, sowie neue knüpfen. Möge die gütige Peraine Euch gute Gesundheit schenken. Auf ein baldiges Wiedersehen!“
„Grüßt Gamhain und die Seinen von uns!“ gaben sowohl Firian als auch Adaque von sich.
„Eine gute Reise“, wünschte Adaque zum Abschied.
„Möge der Herr der schneebedeckten Weiten euch einen guten Weg weisen“, waren Firians letzte Worte.
Die Urkentrutzerin ließ sich von einem Knecht in den Sattel helfen und gab das Zeichen zum Abritt. Ein kurzer Blick zurück und ein Winken waren das Letzte was das Schneehager Baronspaar von der Finsterbornerin sahen, bevor sie mit ihren Begleitern durchs Burgtor ritt.