Politik in Weiden

All diejenigen, für die hohe Politik vor allem im Aushandeln von dicken Kontrakten, in geheimen Absprachen oder gar in geschickt gesponnenen Intrigen besteht, werden in den Bärenlanden sicher nicht glücklich. Das hat einen einfachen Grund: Hier ist Rondra die Schirmherrin des Adels. In dieser einen Provinz hat sie Praios als Gott der Herrschenden auf den Platz verwiesen, was dazu führt, dass der typische Weidener Adelige den Kampf mit offenem Visier bevorzugt — sei es nun auf dem Schlachtfeld oder auf dem politischen Parkett. Ränkespiele und Hinterfotzigkeiten unter Standesgenossen werden als unehrenhaft empfunden und gehören damit ironischerweise zu den wenigen Vergehen, die einem Menschen von Geblüt in der Mittnacht tatsächlich endgültig und unwiederbringlich das Genick brechen können, will heißen: seinen Ruf völlig ruinieren.

Dass die Weidener ihre Differenzen am liebsten von Angesicht zu Angesicht und am allerliebsten in einem gepflegten Zweikampf lösen, mag in fortschrittlicheren Provinzen wie Garetien oder Almada als primitiv empfunden werden. Und ehrlich gesprochen: Wenn es auf dem reichsweiten Adelsparkett zu Problem oder diplomatischen Verwerfungen kommt, geraten die Männer und Frauen der Mittnacht mit ihrer "Hau-drauf-Herangehensweise" gern mal ins Schwimmen. Für geschickte Strategen sind sie ein gefundenes Fressen. Jedenfalls solange, bis die Netze, die andernorts gesponnen wurden, zutage treten. Dann ist der Spaß meist ziemlich schnell vorbei. Für die anderen.

Auf ein Wort

Wie gute Politiker und Juristen wissen, gibt es zu jeder Regel Ausnahmen. Das gilt natürlich auch für das oben Gesagte. Die Weidener mögen es vielleicht nicht glauben, aber auch in ihren Reihen treiben sich Ränkeschmiede und geduldige Strategen herum. Machtbewusste, gebildete und verschlagene Menschen, die ihre Ziele auf gewundenen Pfaden erreichen. Die rekrutieren sich natürlich nicht zuvörderst aus den Reihen der rondragläubigen Ritter, sondern kommen von anderswo: lichtscheues Gesindel, umtriebige Zauberinnen, Gelehrte, die ihr Handwerk in anderen Provinzen gelernt haben, und — ja, am Ende doch auch — ein paar wenige Adelige. Den letzteren beiden ist gemein, dass sie in der Mittnacht noch vorsichtiger sein müssen als in anderen Provinzen. Jedenfalls, wenn sie nicht wollen, dass sich am Ende auch Freunde mit Grausen von ihnen abwenden.