Die Ankunft des neuen Leuenritters

Rondratempel Leuinstolz, Baronie Moosgrund, 10. Ingerimm 1040 BF
Die Dunkelheit war längst hereingebrochen und das Madamal stand schmal an einem beinahe wolkenlosen Himmel. Thargrîn Witaribhel von Moosgrund streckte sich, schloss das Tempelbuch und lächelte, während sie dem Knistern der Feuerschalen lauschte.
Es klopfte leise und der junge Page Radomar steckte den Kopf in ihr Arbeitszimmer. „Euer Hochwürden, just kam ein Bote gelaufen, mit einem Brief, der für Euch bestimmt ist. Der Junge sagte, ein fremdländischer Ritter hätte ihm den übergeben und mit Kupfer bezahlt, dass er noch nie gesehen hätte.“
„Ein fremdländischer Ritter? Wer war denn das und wo hat der Junge den Brief denn in Empfang genommen?“ Thargrîn erhob sich. „Es war der junge Sigbald vom Fuchshorn. Da hat er wohl auch die Nachricht angenommen. Gefragt hat er nicht weiter, aber er meinte, der Ritter wäre ein wahrer Hühne mit grimmigem und entstelltem Gesicht. Ein Hirschgeweih ist wohl Teil seines Wappens. Vielleicht einfach nur Kunde vom Hirschenborner?“ Radomar reichte seiner Schwertschwester mit einem ehrerbietigen Kopfsenken den Brief, der das Siegel der Meisterin des Bundes der Nordsenne zeigte. Thargrîn schüttelte den Kopf. „Wohl kaum, das hier ist von ihrer Eminenz Donnerhall in Donnerbach. Ich würde wetten, dass es uns den Nachfolger der treuen Olginai verkündet.“
Die Schwertschwester brach das Siegel und las die ersten Zeilen, die ein wahrer Meister der Kalligraphie geschrieben hatte. Dann schüttelte sie den Kopf und seufzte. „Der Brief ist doch gar nicht für mich, der ist für Hochwohlgeboren Nordfalk. Wieso ist der in meine Hände gekommen?“ Radomar hob abwehrend die Hände. „Sigbald sagte, der Ritter hätte darauf bestanden, ihn der Schwertschwester in Leuinstolz auszuhändigen – und nur ihr. Er hat ihn mir nur anvertraut, weil er sich nach Eurer letzten Standpauke nicht getraut hat zu klopfen.“ Thargrîn fuhr sich durch die blonden Haare, legte das Schreiben auf dem Lesepult ab und blickte sich um. „Nun denn, ist nicht mehr zu ändern. Eile zum Pallas hinüber und warne Frauwe Ardariel vor, dass ich sie dringend sprechen muss. Und dass das keinen Aufschub duldet.“ Radomar verneigte sich und eilte mit einem „So sei es.“ davon.
Thargrîns Gedanken fingen an zu fliegen. Ein Löwenritter, den der Schwertbund für würdig erachtete mit dem Gut Bragenfelden belehnt zu werden. Das war zu erwarten gewesen. Olginai, die alte Löwenrittfrau dort, war vor einem guten Götterlauf den Walkürja anempfohlen worden. Was mochte das wohl für ein Recke sein? Ob sich vielleicht in Samias Aufzeichnungen etwas dazu fand? Der Gedanke an ihre Freundin und Glaubensschwester versetzte der Geweihten einen Stich, unbewusst fuhr ihre Linke an die Fibel mit dem Löwinnenhaupt, die sie als Tempelvorsteherin auswies. Hatte Samia bereits im Vorfeld bei der Meisterin des Bundes angefragt, was im Falle eines Ablebens der Bragenfelderin geschehen solle? Olginai war im Laufe der letzten beiden Jahre wahrlich hinfällig geworden. Golgaris Ruf war nur eine Frage der Zeit gewesen. Hatte sie womöglich einen Vorschlag nach Donnerbach gesandt? Vielleicht sogar noch vom Heerzug der Herzöge? Dann schob sich noch ein Gedanke in Thargrîns Kopf: Wie würde es Ardariel wohl ergehen, wenn sie dadurch erneut an ihre Gemahlin erinnert wurde? Thargrîn fluchte innerlich. Wieso hatte dieser Fremdländer ihr den Brief zugespielt? Er musste doch wissen, dass er an die Lehnsherrin des Gutes gerichtet war. Sie hätte sich gerne mit Arnôd besprochen, aber der weilte auf dem Grevenstein. Andererseits konnte sie vielleicht ihrer Freundin zur Seite stehen und ihr Trost spenden. Es würde so oder so nicht leichter werden, wenn sie es aufschob. Thargrîn griff nach ihrem Schwertgurt und wappnete sich mit ihrem Namensschwert, bevor sie umsichtig die Kerzen löschte und einen prüfenden Blick auf die Feuerschalen warf. Dann verließ sie den Tempel und eilte durch die Melliadorspforte und hinüber zum Pallas der alten Feste Flaecht-uf-Stên.
Sie traf die Herrin der Moosgrunder Lande im Rittersaal an. Die Schildwache ließ die Schwertschwester mit einem ehrerbietigen und freundlichen Nicken passieren und schloss dann die Tür hinter ihr. Die Gräfin Balihos stand an einem der Fenster und blickte über den Fluss, der von allen menschlichen Sorgen unbeeinflusst träge gen Norden floss, seinem Schicksal im Pandlarin entgegen. Sie wandte sich um, als sie das feine Klirren des Kettenhemdes der Rondrianerin hörte und bedeutete Thargrîn mit einer Geste näher zu kommen, bevor sie sich wieder dem Fenster zuwandte.
Ardariel trug ein tiefschwarzes Kleid, das – ebenfalls in schwarz – mit Walkürja-Flügeln und der Mythraelsrune bestickt war. An ihrem Gürtel war nur ihr vielbenutzter Kettenbrecher zu sehen, sowie der Schlüssel, der sie als uneingeschränkte Burgherrin auswies. Wie so häufig in den letzten Monaten. An ihrer Brust war ebenfalls immer noch die Fibel mit den Golgarisschwingen befestigt. Thargrîn trat behutsam neben die Gräfin und legte ihr die Hand auf die Schulter, während sie dem Blick Ardariels auf den Pandlaril folgte, in dem sich das Madamal und das Funkeln der Sterne spiegelten. Schweigend standen die beiden Frauen eine Weile nur da, doch dann wandte Ardariel den Kopf: „Ich höre, dass du mich dringend sprechen willst, dann heraus damit. Witaribhel, du musst dich im Übrigen nicht ankündigen lassen, weißt du. Wenn es etwas gibt, dann kommst du einfach zu mir.“
Thargrîn nickte: „Das weiß ich wohl, aber das hier ist wohl offiziell, da dachte ich, ich beschreite den richtigen Weg.“ Die Baronin Moosgrunds wandte sich der Rondrageweihten zu und hob fragend die Augenbrauen. Thargrîn reichte der Baronin den Brief. „Ich habe das Sigel gebrochen, weil der Ritter den Brief ausdrücklich mir überbringen ließ. Aber ich hörte auf zu lesen, als ich sah, dass du direkt angesprochen warst.“ Ardariels Augenbrauen zogen sich zusammen. „Sorge dich nicht darum, allerdings scheinen wir es dann mit einem Unruhestifter zu tun zu haben.“ Sie begann die Zeilen zu lesen, ließ dann den Brief sinken und reichte ihn der Schwertschwester zurück. „Ein Herr Grothan von Estven wird uns geschickt, den Lehnseid zu leisten. Er stammt aus dem Hohen Norden und hat bei Paavi gekämpft, um die Eishexe und ihre Schergen zu Fall zu bringen. Eminenz Donnerhall folgt anscheinend vollumfänglich der Empfehlung der Geweihten aus dem Norburger Tempel, die wohl die Taten des Herrn Grothan überprüft haben und ihn vorgeschlagen haben.“ „Das klingt einigermaßen eigentümlich ...“, Thargîn las den Brief der Sennmeisterin des Nordens nun zu Gänze. „Andererseits macht es schon Sinn, denn wenn mich meine Kenntnisse nicht täuschen gibt es im Hohen Norden keine nennenswerten Tempel.“
Ardariel straffte sich und schüttelte die Traurigkeit, die sie umgeben hatte ab. „Wo ist der Herr Löwenritter denn untergekommen?“ „So wie ich das sehe, ist er im Fuchshorn abgestiegen, denn Sigbald hat das Schreiben überbracht.“ „Gut, ich schicke Granhild, dass sie ihn einbestellt. In zwei mal zwei Tagen, am 14., soll er seinen Lehnseid leisten, wie es sich vor den Göttern geziemt und wir sehen weiter. Wir werden doch wohl Frauwe Aldare nicht enttäuschen wollen. Vermutlich wäre es aber klug, wenn du Radomar mitschicken könntest. Irgendwie habe ich das Gefühl, als dass ich noch meine helle Freude an diesem Ritter haben werde.“

***

Burg Moosgrund, Baronie Moosgrund, 14. Ingerimm 1040 BF
Thargrîn schmunzelte, als sie sich im Rittersaal Moosgrunds umblickte. Der Saal war prachtvoll anzuschauen. Die Banner leuchteten, allen voran die der Nordfalks und der Baronie Moosgrund. Aber auch die Wappen der lehnspflichtigen Ritter und Junker erstrahlten, sie konnte die Banner Grevensteins, Moorlands und Grünharschs sehen, dazu die Wappen der Familien Salmbinger, Moosacher und Auenwacht. Auch die etwas kleineren der Familien Aubinger, Dornschild und Feyring. Der Platz, an dem für gewöhnlich das Banner Bragenfeldens hing, war jedoch leer. Allerdings leuchtete stolz das Banner von Leuinstolz an der Wand, was Thargrîn besonders freute, ebenso wie das der Stadt Moosgrund. Es hatten sich auch Mitglieder aller Ritterfamilien versammelt. Als die Schwertschwester eintrat, kam der Junker Arnôd Pratos von Grevenstein auf sie zu und begrüßte sie mit einer Umarmung. Etwas weiter in den Saal hinein standen die Ritterin Fenia Salmbinger von Moorland und der Ritter Welmar Moosacher von Grünharsch beieinander und plauderten. Yann Musker, Bürgermeister der Stadt, war ebenfalls anwesend und unterhielt sich gerade mit dem Erzmagister Goldquell, dem hiesigen Geweihten der Hesinde. Zwei Frauen, die Magierin Scanlail ai Andara und die Norbardin Kitinkaja Frantisek standen ebenfalls dort und schienen gerade die Stirn zu runzeln. Thargîn schritt zur Efferdgeweihten Livia Sandtröm hinüber, die sie mit einem warmen Lächeln begrüßte. Dann fiel ihr Blick auf Ardariel, die auf dem Baronsthron Moosgrunds saß. Die Balihor Gräfin trug ihre geschwärzte Garether Platte und darüber einen edlen weißen Rock mit ihrem Wappen. Ihre Lockenmähne hatte sie mit weißem Hirschleder zu einem strengen Zopf gebändigt. Hinter dem Thron hielt sich die Knappin der Baronin bereit, Revienna von Gobiansforst. Ardariel winkte Thargrîn zu sich, während auch Arnôd, der als ihr Vogt fungierte, neben ihren Thron trat.
Dann war es soweit, der Grenzreiter Wölflin kündigte den Hohen Herren Grothan Ysgar von Estven an, samt seinem Gefolge. Der Mann war beeindruckend. Beinahe zwei Schritt groß und von kräftiger Statur. Er trug einen langen Schuppenpanzer über wildledernen Beinlingen und schweren Stiefeln. Sein schwerer, fellbesetzter Kapuzenumhang zeigte auf der linken Seite sein Wappen, ein schwarzes Hirschgeweih vor Hermelin. Er trug die Halskette aus polierten Silberscheiben mit dem Löwinnenhaupt, die ihn als Löwenritter auswies und einen beinernen Löwinnenkopfanhänger. Sein braunes Haar trug er offen und lang, das linke Auge war gänzlich weiß und trüb, wohingegen das Rechte braun unter dichten Augenbrauen blitzte. Seine Nase war dick und rote Punkte bedeckten die hageren Wangen. Neben einem einfachen Schwert trug er eine mächtige Doppelblattaxt. Einen Schritt hinter ihm gingen eine kleine, schlanke Frau, die ein Kind auf den Armen hielt und ein Junge in einem Gambeson. Ungerührt und voller Selbstvertrauen schritt der Löwenritter nach vorn und verneigte tief sich von Thargrîn. Erstaunlich ruhig verfolgte Ardariel das Schauspiel, wohingegen Arnôd hörbar knurrte.
Die Stimme des Ritters war angenehm tief und gleichmütig, als er zu sprechen anhob. „Rondra befohlen, Hochwürden. Hier bin ich, auf Geheiß Ihrer Eminenz Aldare Donnerhall von Donnerbach, um mein Gut zu übernehmen, ganz wie es Rondra gefällt.“
Thargrîn blickte auf die Gräfin, die anfing mit den Fingern der Rechten auf die Lehne des Throns zu klopfen. „Respekt und Anstand habt Ihr noch zu lernen, Herr von Estven.“ Der Ritter blickte die Schwertschwester erstaunt an. „Wie das?“ „Wie es den guten Götter gefällig ist, werdet Ihr zunächst die Herrin dieser Halle begrüßen, die Falkin des Nordens! Sie allein entscheidet, ob Ihr überhaupt würdig seid, ihr Lehnsmann zu werden. Denn so ist im Reiche Rauls die Herrschaft gefügt.“ „Die Kriegskönigin hat mich erhöht und ihre Diener mich für würdig befunden, was soll also noch die Anerkennung einer trägen Adligen mir bedeuten?“ Trotzig blickte der Ritter zu Thargrîn hinauf. Die befiel eine Ahnung, was geschehen würde, als das leise Trommeln auf der Thronlehne abrupt stoppte.
Die Baronin war in einem Lidschlag aufgesprungen, hatte ihren mächtigen Zweihänder, der neben ihr gelehnt hatte, ergriffen und war auf den Ritter zugesprungen. Mit einem hellen Klirren traf Stumrufer die Streitaxt des Ritters und warf sie weit in den Saal hinein, wo sie laut polternd zu Boden fiel. Ardariel nutzte den Schwung und das ganze Gewicht ihrer Rüstung aus und rammte Grothan die Schulter in die Brust, so dass er rücklinks zu Boden fiel. Mit einem eleganten Bogen zog sie Sturmrufer wieder nach vorn und legte dem Ritter aus dem Hohen Norden die Klinge an den Hals, während sie ihren Fuß auf seine Rechte stellte.
„Ihr habt mich irgendwie auf dem falschen Fuß erwischt, Estven.“ Die Stimme der Nordfalkin klang trügerisch ruhig. Thargrîn wusste nur zu genau, dass Ardariel innerlich vor Wut kochte. „Ich kann es nicht leiden, wenn man mich nicht mit dem mir gebührenden Respekt behandelt. Wir machen es jetzt folgendermaßen: Ihr steht gleich auf, geht zurück zur Tür und kommt wieder herein. Und wenn mir dann gefällt, was ich sehe und höre, dann sehen wir weiter. Gefällt es mir nicht, fordere ich Euch zum Duell und jage Euch danach von meinem Land. Zurück in die Wildnis aus der Ihr zu stammen scheint. Habe ich mich da klar und unmissverständlich ausgedrückt?“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht, nickte der Ritter und hustete schwer. Ardariel nickte knapp, ließ ab von ihm und schritt seelenruhig zum Thron zurück, lehnte Sturmrufer wieder daran und setzte sich, als wäre nichts geschehen.
Die Begleiter des Ritter blickten völlig überrascht und auch leicht verängstigt auf die Baronin, die Fenia gerade bedeutete, Grothan seine Axt auszuhändigen. Die Salmbingerin wog die schwere Hiebwaffe in den Händen, während sie den Ritter musterte, der nur schwerlich auf die Füße kam. „So wie Ihr Euch gebt, habt Ihr die hier sicher mehr als einmal auf den Kopf bekommen“, raunte sie dem Fremden kopfschüttelnd zu, während sie ihm die Axt in die Hand drückte. „Glaubt mir, mit solch einem Verhalten macht Ihr hier Euch keine Freunde.“ 
Grothan hustete erneut, wischte sich mit der Rechten etwas Blut aus dem Mund, senkte dann das Haupt und schritt mit seinem Gefolge zur Tür zurück. Dann straffte er sich, wandte sich um und schritt wieder von den Thron Moosgrunds. Diesmal beugte er das Knie vor Ardariel, blickte die Nordfalkin aber aufrecht an. „Hochgeboren, ich bin der Leuenritter Grothan Ysger von Estven aus dem Herzogtum Paavi. Es begleiten mich meine Gemahlin Svea von Fjohrinswohld, mit meinem Erstgeborenen Dermot, und mein Knappe Wolforn von Lettamund.“ Wieder hustete der Ritter. „Es hat den Dienern der göttlichen Leuin gefallen, mich zum Löwenritter zu ernennen und die Sennmeisterin des Nordens scheint zu wollen, dass ich mit einem Lehen versehen werde, auf dass meine gebeutelte Familie zur Ruhe kommen kann und neue Wurzeln schlägt. Verzeiht meine Ungebührlichkeit, ich vergaß, dass Ihr auch Schildmaid des Ordens vom Heiligen Blute seid, mithin ebenfalls von der Donnernden Huld erfüllt. Ich komme, um Euch meine Axt und meine Erfahrungen anzubieten.“
Ardariel blickte zu Arnôd Pratos hinüber, dessen Gesicht undurchschaubar blieb, allein seine sturmgrauen Augen blitzten abwägend. Die Baronin Moosgrunds nickte. „Sehr viel besser. Dann seid willkommen unter meinem Dach, Ritter Grothan“, sie blickte zur Gemahlin und dem Knappen hinüber, „Und ihr ebenfalls, Anbefohlene des Ritters, Frau Svea und Knappe Wolforn. Als Herrin der Moosgrunder Lande erreichte mich die Bitte Ihrer Eminenz, Euch, Ritter Grothan, als Edlen von Bragenfelden einzusetzen. Grundsätzlich bin ich stets gerne geneigt, Bitten der Sennmeisterin des Nordens zu gewähren. Aber Obacht. Ich werde Euch das jetzt nur ein einziges Mal fragen, also hört mir genau zu: Seid Ihr willens und bereit, mir, als Herrin Moosgrunds, den Lehnseid zu leisten und mir die Treue zu schwören, die mir, durch den Codex Raulis verbrieft, zukommt? Bevor Ihr antwortet. Prüft Euer Herz, denn ich werde keinen halbgaren Eid anerkennen und auch keinen Widerwillen in dieser Angelegenheit.“ Ardariel blickte den Ritter eindringlich an und gab ihm eine Weile Bedenkzeit. Dann erhob sie erneut die Stimme: „Herr Grothan, wollt Ihr mir aus freien Stücken und von ganzem Herzen den Lehnseid leisten?“ Der Blick des Ritters hatte fest auf der Baronin gelegen, offenbar war er von der Willensstärke der Falkin des Nordens beeindruckt. Nun schweifte sein Blick kurz zur Schwertschwester von Leuinstolz hinüber, der er knapp zunickte. Dann blickte er wieder Ardariel an und sein gutes Auge zeigte einen weicheren Ausdruck. „Ja, ich will und ich werde Euch meine unverbrüchliche Treue in allem Weltlichen schwören. Ihr seid die Herrin und ich will euer Gefolgsmann sein.“
Wieder nickte die Baronin Moosgrunds und warf einen kurzen Blick zu Arnôd hinüber, der ebenfalls nickte, ganz leicht nur.
„Dann lasst uns jetzt den Eid leisten. Hochwürden, gebt uns bitte die Ehre.“ Thargrîn nickte, und auf ihre Geste hin trugen zwei Novizen eine kunstvoll verzierte Glutschale in den Rittersaal. Radomar reichte Thargrîn den Rhyton, der mit Hagedocher Zider gefüllt war. Die Schwertschwester zog Whitaribel, ihr Namensschwert und zog einen Kreis um die Feuerschale. Dann sprenkelte sie ein Trankopfer auf die Flammen und das abgezirkelte Areal. Schweigend reichte sie ihrem Novizen den Rhython und nahm die Opferdolch entgegen. Hob ihn empor, dass jeder ihn sehen konnte, und bedeutete Ardariel und Grothan, in den Kreis zu treten. „Im Namen der Eidherrin, der Donnerkönigin und des himmlischen Richters gebiete ich Euch, Grothan Ysger aus dem Hause Estven, vor allen Göttern, Ardariel aus dem Hause Nordfalk den Lehnseid zu schwören. Er sei bezeugt und solle nie gebrochen werden.“ Grothan nickte und kniete auf ein Zeichen der Schwertschwester Leuinstolz' nieder. Auf ein Zeichen streckte er die Schwurhand aus und die Schwertschwester ritzte sie mit dem Opferdolch, sodass ein Blutstropfen in die Glutschale fiel und dort zischend verdampfte. Der Ritter senkte kurz das Haupt und blickte dann Ardariel an, die hocherhoben dastand, die Hände auf die Parierstange Sturmrufers gelegt, der mit der Spitze voran vor ihr stand. „Im Namen der Herrin Rondra, ihres Bruders Praios und der göttlichen Travia sowie der anderen unsterblichen Neun. Im Name der Ehre, der Demut und der göttlichen Kraft, im Namen der Treue und des Gesetzes schwöre ich, Grothan Ysger von Estven Euch, Ardariel aus dem Hause Nordfalk, die den Gefolgseid als Eurer Vasall! Mein Rat und meine Klinge sollen allezeit die Euren sein. Ich stelle mein ganzes weltliches Handeln in euren Dienst.“ Ardariel nahm die Schwurhand von der Parierstange und reichte sie Thargrîn. Die ritzte die Schwurfinger der Baronin, sodass ebenfalls ein Blutstropfen zischend in die Glutschale fiel und mit hellem Rauch verdampfte. Die Baronin hob den mächtigen Zweihänder, sodass seine Klinge mit der Breitseite über Grothan in der Luft ruhte. „Ich, Ardariel Nordfalk, Tochter des Avon, von der Kaiserin Rohaja und der Herzogin Walpurga Willen Baronin von Moosgrund und Gräfin von Baliho, durch den Segen der Sturmherrin Schildmaid des Ordens vom Heiligen Blute, nehme Euren Eid an, Ritter Grothan. Im Namen des Lichtbringers, der göttlichen Leuin und der Herdmutter gelobe ich Euch meine Aufrichtigkeit, meinen Schutz, und dass ich Euch nichts abverlangen werde, das dem Willen der zwölfeinigen Götter zuwider läuft. Als Dank für Euren Eid und als mein Pfand ernenne ich Euch hiermit, im Namen des Hauses Nordfalk, des Herzogtums Weiden und des Raulschen Reiches zum Edlen von Bragenfelden.“ Mit den letzten Worten senkte die Baronin Sturmrufer auf die Schultern des Ritters. „Erhebt Euch nun und werdet erkannt, Wohlgeboren!“
Trotz seines ersten Auftritts jubelten die versammelten Ritter dem Nordlander zu als er sich erhob, vielleicht etwas verhaltener als üblich und mit durchaus skeptischen Blicken, aber niemand im Saal versagte Grothan den nötigen Respekt. Seine Gemahlin war an ihn herangetreten und küsste den Hünen auf die Wange, was ganz offensichtlich seine Anspannung milderte. Er verneigte sich vor der Gräfin und murmelte eine weitere Entschuldigung, die Ardariel mit einem schmalen Lächeln annahm.
Arnôd Pratos trat auf den Ritter zu. „Gut, Wohlgeboren, jetzt, wo Ihr nicht wieder vergessen werdet, wer in diesen Landen herrscht, kurz zum weiteren Prozedere. Vorweg, ich bin Arnôd Pratos von Grevenstein, Junker der gleichnamigen Feste und vor allem der Vogt der Baronin, wenn sie verhindert ist. Was heißt, dass Ihr Euch besser schon mal an mich gewöhnt, denn Frauwe Ardariel ist oftmals unterwegs, wenn Baliho, die Herzogin oder gar die Kaiserin ruft.“ Arnôd stieß den Schaft seines altersdunklen Speers auf den Boden, um seine Worte zu bekräftigen.
„Nun denn, Ihr und Eure Familie verbringt die heutige Nacht auf Burg Moosgrund, so wie es Eurem Stand gebührt. Die Kammer ist bereits gerichtet und wartet auf Euch. Lasst Euren Knappen Euer Hab und Gut aus dem Fuchsbau holen. Revienna, die Knappin der Frauwe Ardariel wird ihm zur Hand gehen und Hilfe vom Gesinde dazu holen, so nötig.“ Die Stimme des Grevensteiners klang gleichmütig und er beobachtete genau, wie die Reaktionen der Familie aus dem Norden waren. Svea, die Gemahlin des Estveners nickte dankbar, und Wolforn wurde ein kleines wenig rot, als Revienna von Gobiansforst, Ardariels Knappin, ihn kurzerhand am Arm packte und beiseite zog, die Anweisung Arnôds auszuführen. Grothan straffte sich und nickte dem Junker von Grevenstein zu. „Sehr gut, Hochgeboren, so wird es geschehen. Was noch?“
Arnôds Lippen verzogen sich zu einem wölfischen Grinsen. „Das ist unser Mann, gut. Witaribhel wird in einer Weile einen Rondradienst halten, um Euch unter Frauwe Ardariels Schwertern zu begrüßen und den Segen der Sturmherrin für Eure Vorhaben zu erbitten. Das sollte Euch zupass kommen. Richtig?“ Ein Leuchten trat in die Augen des neugekürten Edlen. „Das erfreut mein Herz in der Tat, Herr Arnôd. Ausgezeichnet, ein gutes Omen.“ Der Pratos nickte. „Heute Abend gibt es ein Festmahl zu Euren Ehren. Eine gute Gelegenheit für Euch von Euren Taten und Fährnissen zu berichten, damit wir Euch kennenlernen. Wir wollen Euch mit Geschichten aus Bragenfelden unterhalten und uns Euer Vorgängerin, der trefflichen Olginai erinnern, die aus gutem Grund Immertreu gerufen wurde. So lernt Ihr schon die ersten Dinge über Euer Gut.“ „Aye, das ist wohlgetan und der Donnernden würdig!“
„Morgen dann bleiben die ersten Amtsgeschäfte zu tun. Ihr erhaltet Eure Ernennungsurkunde. Und wir nehmen Maß für Euren Edlenreif, der Euer Standessymbol sein wird. Darüber hinaus gilt es dann zu packen und alles vorzubereiten für Euren Aufbruch am Tag darauf.“ Arnôd hob die Hand und ein weiterer Ritter trat hinzu. Sehnig und hochgewachsen, hatte er Ähnlichkeit mit Ardariel, obwohl er dunkelblondes Haar hatte und sein Gesicht markanter wirkte. Über seinem Herzen prangte das Wappen der Nordfalks, wie Grothan bemerkte, als er die Hand zum Gruße dorthin führte. „Meine Glückwünsche, Wohlgeboren. Willkommen in den Moosgrunder Landen. Gebe die Unbesiegte, dass Ihr uns lange erhalten bleibt und ebenfalls siegreich in Euren Schlachten seid.“ „Rondra auch mit Euch, meinen Dank.“ Arnôd ergriff wieder das Wort. „Das ist Junker Augrimmar ...“ „Ritter Augrimmar, reicht. Hier kommt es nur auf die Leite an, alter Freund.“ Arnôd nickte mit hochgezogener Braue und sprach unbeeindruckt weiter. „... er wird Euch durch die Moosgrunder Lande nach Theabrandt zu Eurer Motte Bragenfelden geleiten. Der Ritter Welmar wird ebenfalls mit Euch reisen und Euch Gastung auf seiner Burg Grünharsch zukommen lassen, die auf Eurem Weg liegt. Von dort geht es über den Grevenstein, wo Euch mein Kastellan Yarling empfangen wird, schließlich in Eure neue Heimat. Das alles gibt Euch Gelegenheit einen ersten Eindruck von den Landen der Frauwe Ardariel zu erhalten und Eure Nachbarn kennenzulernen.“ Der Vogt Moosgrunds blickte Grothan und seine Gemahlin aufmerksam an. „Das wäre es von meiner Seite, habt Ihr Fragen?“ Svea blickte Grothan an und der nickte kaum merklich, sodass die Fjohrinswoldenerin das Wort ergriff. „Was erwartet uns in Bragenfelden, Herr Arnôd? Finden wir dort Gesinde? Oder ist die Motte seit der Abberufung der Frau Olginai verwaist und wir müssen zunächst alles einrichten?“
Wieder flog das wölfische Lächeln über Arnôds Gesicht. „Gute Fragen, Frau Svea. Ich war gespannt, ob die kommen würden. Macht Euch keine Sorgen. Zum einen liegt zu Füßen der Motte das Dorf Theabrandt, das ganz sicher nicht verlassen ist. Aber auch Bragenfelden selbst ist besetzt. Der Burgmann, Ritter Eschgar aus der Familie Feyring, erwartet Euch bereits und hat sicherlich alles für Eure Ankunft vorbereitet. Wenn Ihr etwas Besonderes für Eure Ankunft braucht, dann lasst ihm eine Nachricht zukommen.“ Nun räusperte sich Grothan dann doch und blickte dem Vogt fest in die Augen. Die sturmgrauen Augen Arnôds erwiderten den Blick seelenruhig. „Ein Opferbock wäre nur angemessen. Wie ich Ihre Eminenz verstanden habe, ist es meine Aufgabe dort den Dienst für die Göttin zu halten.“ Arnôd nickte. „So ist es in der Tat gefügt. Ihr als Löwenritter tragt dafür die Verantwortung. Und es scheint mir ein wohldurchdachter Wunsch zu sein. Ich rate Euch daher, im Laufe des Abends ihre Hochwürden Witaribhel nach einem solchen Tier zu fragen. Denn Leuinstolz, unser Tempel, hat auf dem diesjährigen Widdermarkt bereits die besten Opfertiere ausgewählt.“ „Sehr gut, dann werde ich die Schwertschwester darum bitten.“
„Als dann, mischt Euch unter die Leute und lernt einige derjenigen kennen, die ab jetzt gemeinsam mit Euch streiten. Oder macht Euch frisch, um Euch auf den Göttinnendienst vorzubereiten, ganz wie es Euch beliebt. Wir sehen uns dann später.“ Arnôd nickte dem Edlen zu, dann dessen Gemahlin, wandte sich um und ließ die Familie ihren Moment genießen. Augrimmar folgte ihm und bald standen die beiden etwas abseits beieinander. Ardariel gesellte sich nur wenige Augenblicke später zu ihnen.
„Was haltet ihr von ihm?“, die Nordfalkin blickte ihre beiden Freunde neugierig an. Augrimmar grinste: „Vor allem hat er deinen Schubs wirklich gebraucht. Ab davon glaube ich, der ist schon ganz in Ordnung. Aber es wird Zeit brauchen, bis er sich an unsere Gepflogenheiten gewöhnt hat. Wollen wir hoffen, dass er bis dahin keine Fehde mit Elana von Mallaith vom Zaun gebrochen hat.“ „Ich werde ihn vermutlich dennoch besser den Herzoglichen Landfrieden ins Gedächtnis rufen. Obgleich ich annehme, dass Heruwyn von Eichenwacht ihm eher eine Hilfe sein wird.“ Arnôd richtete seinen Blick erneut auf die kleine Familie, die einträchtig beieinander stand. „Aber um deine Frage zu beantworten, Blutsschwester, ich glaube, dass Grothan keine Menschenmengen schätzt. Aber wenn es ihm gelingt, die Theabrandter nicht in der ersten Woche gehörig zu verprellen, dann bin ich sicher, wird er eine schlagkräftige Landwehr für dich aufstellen können.“ Ardariel ließ ihnen Blick dem Arnôds folgen. „Möge die Göttin es so fügen. Und wir werden uns leibhaftig davon überzeugen, wenn wir die Bragenfeldener mit dem Edlenreif in einem Mond auf ihrer Motte besuchen werden.“ Die Baronin Moosgrunds lächelte, als die beiden Ritter ihr unisono zustimmen. „Genau das werden wir!“