Vor Burg Welkensteyn, einige Stundengläser später
 
Gwidûhenna stieg aus ihrer Kutsche. Gemeinsam mit ihr kam alles an waffenfähigem Gefolge, das sie innerhalb ihrer Baronie in so kurzer Zeit aufbieten konnte. Die Junker von Biberwald kamen genauso wie der Ritter von Dûrenbrück und sogar die sonst eher ungehorsame Ritterin der Düsterfurt.
 
Die Baronin streichelte über ihren runden Bauch und fast schien es als wolle sie somit die darin heranwachsende Frucht ihres Leibes beruhigen. Sie ließ den Blick über die sich vor ihr bietende Szenerie schweifen. Ja wahrlich, ihr Bruder hatte mit den Reparaturarbeiten an der alten Ruine ganze Arbeit geleistet; Löcher in der Mauer wurden mit einer hölzernen Palisade geschlossen, der Turm war weitgehend intakt, genauso wie das Erdgeschoss des ehemals mehrstöckigen Bergfrieds.
 
Von Hinten näherte sich ihr Gemahl. Wie beinahe alle anwesenden war er gerüstet und kampfbereit. „Was sollen wir tun, Liebste?“ Er strich ihr liebevoll über den schwangeren Bauch. Gwidûhenna konnte die kühlen Kettenglieder seiner Rüstung fühlen.
 
Sie erblickte einige Bewaffnete, die auf dem Turm und an der Burgmauer umhergingen. „Stelle unser Gefolge auf eine Belagerung ein. Es gilt Kriegsrat zu halten.“ Gwidûhenna versuchte einen bestimmten Ton anzuschlagen, dennoch war ihrer Stimme zu entnehmen, dass ihr diese Situation Unbehagen bereitete…
 
Es sollte jedoch nicht lange dauern bis sich oben auf der Mauer etwas tat. Die Baronin kniff ihre Augen zusammen. Sie erkannte eine alte, beleibte Frau und meinte dieses Gesicht zu kennen.
 
„Euer Hochgeboren!“, sprach sie verächtlich und deutete eine Verbeugung an. Am tiefsten Punkt ihrer Beuge angekommen spuckte sie verächtlich in die Richtung der Weidenhager Baronin. „Wie schön, dass Ihr es einrichten konntet zu kommen.“ Sie lächelte grausam. „So bleibt es mir erspart zu Euch zu kommen.“
 
„Was soll das? Wer seid Ihr?“ Fragte die Angesprochene. „Wo ist mein Bruder?“
 
„Wer ich bin?“ Raugund lachte höhnisch auf. „Ich bin das Ende für Euer Geschlecht. Ich werde mir das zurückholen, was meinem Blut genommen wurde.“ Sie ließ ihren Blick über die anwesende Ritterschaft schweifen und Gwidûhenna meinte, dass ihr Blick besonders lang auf Rovenna von Hartungen-Düsterfurt ruhte. „Was mit dem Ableben Eures Bruders beg…“
 
„Mein Bruder?“ Unterbrach sie nun die Baronin. „Wo ist er, gebt ihn sofort heraus!“
 
„Wo er ist? Ha, er und seine Hexe liegen schon lange in ihrem eigenen Blut…“
 
„Nein, tun sie nicht Mutter…“ Gwidûhenna runzelte die Stirn. Hinter der fülligen Raugund erschien eine schlanke Gestalt. In ihrer Hand hielt sie ein Kurzschwert.
 
„Was soll das heißen, du nutzloses Miststück?“
 
„Das heißt, dass ich sie habe laufen lassen. Sie befinden sich schon seit einigen Praiosläufen in der Obhut der hiesigen Rahjageweihten. Es ist zu Ende Mutter…“
 
Die Baronin und ihr Gefolge erkannten den ungläubigen Gesichtsausdruck Raugunds. Ihre Lippen formten Worte, die ob der Entfernung der Beiden für die Anwesenden nicht zu hören waren. Die alternde Frau sank zusammen, die Tochter stand neben ihr, das Schwert in ihrer Rechten, und starrte auf ihre Mutter herab.
 
Ein flüchtiges Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, dann warf sie die mit Blut benetzte Waffe von der Mauer vor die Füße der Baronin und beugte das Knie…