"Wirklich geheuer ist ja keiner der aventurischen Binnenseen (...). Aber der größte unter ihnen, der Neunaugensee, ist schon etwas ganz Besonderes. Jeder kennt das Gefühl, dass sich in diesen Wassern etwas verbirgt, aber niemand, der sich auch nur dem Ufer des Neunaugensees nähert, kann das Gefühl leugnen, dass jeden Augenblick etwas aus diesen Wassern herauskommen wird! Niemand, der den seltsamen, stets violett verhangenen Himmel mit den unregelmäßig zuckenden Blitzen über dem See gesehen hat, wird den bedrückenden und zugleich faszinierenden Anblick je vergessen."

—Quelina von Salmfang, Meisterin des Flußes von Albenhus, 1020 BF

 

Der Neunaugensee ist der größte Binnensee Aventuriens. Weidener, vor allem aber die Elfen nennen ihn "Pandlarin", erstere voll abergläubischer Angst, letztere durchaus mit einem Anklang von Sorge, aber auch der Erinnerung an ferne Zeiten. Der Pandlarin liegt südlich der Salamandersteine und des Dominiums Donnerbach. Im Westen wird er von der Hardorper Eben und der Roten Sichel begrenzt, im Osten vom unheimlichen Nebelmoor. Sein Südufer bildet einen Teil der Nordgrenze Weidens und damit des Mittelreichs.

Der riesige Süßwassersee hat eine annähernd viereckige Form und eine Ausdehnung von etwa 70 auf 85 Meilen. Gespeist wird er von Donnerbach und Mandlaril, die aus den Salamandersteinen kommen, dem Rathil, der der Ostseite des Sees aus der Roten Sichel herabkommt, im Süden durch den Pandlaril und im Westen durch den Finsterbach.

Wolken liegen häufig tief über dem See und nicht selten entladen sich – ausgehend vom Zentrum des Pandlarin – heftige Gewitter entlang seiner Ufer. Die Wolken sind meist dunkel, zuweilen purpurfarben. Die Blitze eines solchen Unwetters gehen häufig nicht gleißend hell nieder, wie die der Rondra, sondern zucken purpurglosend, wie das namenlose Übel, durch die Wolken.

"Wenn wir jetzt dort hinaus fahren, wack’rer Bootsmann, ist dies doch gewiss ein sicheres Unterfangen?"
"Nein!"
—Kurze Unterhaltung zwischen Gamhain, Baron von Brachfelde und Nosold Farnhöfer, Kapitän der Neunhildis, einem der wenigen Neunaugenseesegler 1033 BF

Regeln auf der Neunhildis:
—Immer mit dem rechten Fuß voran an Bord gehen
—Wer flucht, wird umgehend über Bord geworfen
—Es wird so wenig gesprochen wie möglich
—Das Wort des Kapitäns ist Gesetz
—Dem See wird bei Ausfahrt ein lebendiges Opfer dargebracht
—Die Überfahrt dauert so lange, wie sie dauert

Der von Menschen gegebene Name – Neunaugensee – geht auf die im See lebenden, ungewöhnlich großen und aggressiven Neunaugen zurück. Diese merkwürdige Fischart scheint sich im Pandlarin überaus wohl zu fühlen, denn ihre starke Vermehrung führte dazu, dass der – zwischen Trallop und Donnerbach ehedem rege – Schiffsverkehr im Jahr 918 BF gänzlich zum Erliegen kam. Zwar ist es nicht unmöglich, den See zu befahren, doch gilt dies als gefährliches, ja, wahnwitziges Unterfangen. Dies nicht nur wegen der bis zu zwei Schritt langen Neunaugen, von denen es heißt, sie würden aus reiner Bosheit Löcher in den Rumpf der Schiffe nagen. Sondern vor allem wegen der namenlosen Schrecken, die in tieferen Regionen des als bodenlos geltenden Sees lauern sollen.

Es war die große Not des von Orks bedrängten Donnerbachs – wo zu dieser Zeit der Weidener Prinz Arlan seine Knappenschaft ableistete – die die Weidener im Jahr 1026 BF erstmals seit 300 Jahren dazu brachte, den Neunaugensee wieder mit Booten zu überqueren. Ein Unterfangen, das nicht ohne Opfer blieb, aber dennoch zum Erfolg führte, denn die Orks wurden vertrieben.

“(...) Als unmöglich erwies sich die befohlene Tiefenmessung des Sees. Noch zu Rohals Zeiten hieß das Gewässer nie anders als ‘der See ohn Grundt und Boden’. Die Tiefenmessung wurde bei 20 Rohal’schen Lot (200 Schritt) abgebrochen, ohne Grund gefunden zu haben. Dann ließen wir unser Dutzend erfahrene Schwammfischer und Schatztaucher, mit Auelfenmagie und Zaubertränken zur Wasseratmung ausgestattet und mit Bleigewichten beschwert, absinken.Nur sieben, von plötzlichen Wahnvorstellungen und Panikanfällen überwältigt, kehrten zurück. Zwei Taucherinnen behaupteten steif und fest, in der grundlosen Finsternis den Schatten eines Lebewesens gesehen zu haben, das die gesamte Dauer ihres Tauchversuches (eine halbe Stunde!) brauchte, um vorüberzuschwimmen. Ein Weiterer wollte eine Riesenmuschel mit einer ganzen Unterwasserstadt darin gesehen haben. Der Taucher Norbwyn hatte die Sprache verloren; wir mussten ihn auf der Rückreise der Obhut der Noioniten übergeben. Die anderen fünf Taucher wurden überhaupt nicht mehr gesehen.”
—Expeditionsbericht an Fürst Thorn ui Bennain, Havena, 686 BF

Einer der Beinamen des Neunaugensees lautet bis heute ‘See ohne Grund’ und tatsächlich ist es bislang nicht gelungen, seine Tiefe auszuloten, auch nicht einem eigens dafür abgestellten kaiserlichen Landvermesser.Vom Ufer aus kaum zu sehen, liegt inmitten des Sees die kleine, nebelverhangene Insel Celeàn, die wenig mehr zu sein scheint als ein Feuerberg. In den Legenden der menschlichen Anrainer des Sees heißt es, dieser Vulkan würde vornehmlich in "Zeiten des Umbruchs" aktiv, eine Mär, der Wahres anzuhaften schein, denn im Jahr 1021 BF warf er feurige Lohen in den Himmel, als wolle er Borbarads Wiederkehr in selbige schreiben.

“Doch gibbt der eygentuemliche See woll reychhaltig Thier unt Pflanzen Leben unt Raumb. In dero weithen Guertel von Schilff, so unentwegt im Winde rauschen, findt man Reyher, Schwane, Enthen, Traviengaens, Hummeln unt Libellen, woll auch Laubfroesch, blauwe Uncken unt Regenbogenforellen. Aber auch die wundersame Pandlarilie unt der zaubermaechtige Cairan wacksen hiero. In dero Erdhoehlen am Ufer hausen Klammbermolochen mit gruenem Haar. (...) In dero Tieffen des Sees aber hat es mancherley Monstren: riesiche Bluthegel, schleimige Tlalucs-Wuermer, maechtiche Schildt-Kroethen, Krackenmolche, die auch an Landt kommen, unt gar eynen Wasserdraken, eyne Meile lang.”
—Heymatland, fremdes Land – Die uebrigen Lande in Aventueria, Bastan Munter, 663 BF

Das Wasser des Sees ist leicht magisch. Neben den bereits genannten Schrecken gedeiht in ihm eine Vielzahl von (schmackhaften) Fischen und seine Gestade sind für ihren Vogel- und Pflanzenreichtum bekannt. Allem voran ist hier das magische Kairanrohr zu nennen, das in bestimmten Uferregionen vergleichsweise üppig gedeiht. Zu beachten ist jedoch das herzogliche Monopol auf die Ernte dieser begehrten Pflanze. Zumindest innerhalb der Grenzen Weidens wird es mit aller Härte durchgesetzt. Jenseits der Grenzen des Herzogtums muss ein Sammler sich 'nur' der Gefahren des Sees und der Ansprüche einiger, auf Kräuter spezialisierter Sammler – beispielsweise aus dem freien Dörfchen Hardorp in der gleichnamigen Ebene – erwehren.

“Das Ungeheuer im Neunaugensee ist das schlimmste in ganz Aventurien. Ja, lauscht nur gut, Kinderlein, damit ihr euch immer recht besinnt und den verfluchten See meidet! Es ist groß wie ein Dutzend Steppenschivonen vom Kohlenbrander Gorge, ach was sag ich, es ist ebenso lang wie die Seilergasse in Hohenufern. Das Maul hat es von den vermaledeiten Neunaugen, rund und dreizehn mal dreizehn Reihen spitzer und grifttriefender Zähne stehen darin. Es ist so groß, dass es eine Scheune auf einen Haps vertilgen kann. Der Leib ist lang und schlank wie der einer Seeschlange, doch panzer- und stachelbewehrt. Auf seinem Rücken prangt – einem Segel gleich – eine Hornbewehrte Flosse. Die ist – wie die an seiner Seite und am Schwanz – spitzig und scharf. Wenn das Ungeheuer will, kann es aber auch aus dem See schnellen und ein ganzes Gehöft plattwalzen. Das Schlimmste aber ist, dass es über alles Gekreuch und Gefleuch im See gebietet. Da schaut ihr, was? Jawohl: der Geppert weiß es genau, nicht wahr? Dessen Base Elfwidde hatte einen Jungmann an der Hand, der ein ganz strammer war, ehe ein kleines Krabbelvieh aus dem See ihn gebissen hat. Dann war’s vorbei mit dem Jungmann und ihr wollte gar nicht wissen, was aus ihm geworden ist. Wie? Wollt ihr doch? Na, dann passt mal auf ...”
—Herdan Schilfsichler, alter Neunaugenseefischer aus Trallop 1032 BF

Der Neunaugensee ist von jeher Quelle zahlloser Geschichten, Mythen und Legenden und beinahe alle sind geheimnisumwittert, häufig unheimlich, zuweilen schlicht zauberhaft. Wasserflinke sollen gerade entlang des Nordufers, und dort im Zuflussbereich des Mandlaril leben. Kleine, intelligente und forellenförmige Biestinger, die den Menschen wohlgesonnen sind und sie bisweilen gar gegen die bösartigen Neunaugen verteidigen – so zumindest die Mär.

Inmitten des Sees soll sich in alter Zeit die herrliche Feuerstadt der Hochelfen – Mandalya genannt – erhoben haben. Unter ihrer Königin Panlariêl sollen die Feuerelfen die gesamte Region beherrscht haben, ehe sie plötzlich verschwanden. Doch ist dies alles recht weit vom Herzogtum entfernt.

Weit näher liegen die sogenannten Schären im Zulauf des Pandlaril. Auf einer davon erhebt sich die Ruine des alten Tralloper Efferd-Tempels, der in der Ägide des blutigen Herzog Bernhelm (601 bis 650 BF) niedergebrannt wurde – sehr zum Schaden aller, die am See leben, denn mit diesem Frevel wurde zugleich der Schutz vernichtet, der von dem Götterhaus ausging. Seitdem – so heißt es – wache die Fee Pandlaril darüber, dass die Schrecken des Sees in eben jenem bleiben. Sie soll allnächtlich auf eben besagter Insel besänftigende Lieder anstimmen, in die sie schützende Zauber webt.

Quellen:
Aventurien – Das Lexikon des Schwarzen Auges 61
Geographia Aventurica 11, 39
Aus Licht und Traum 113
Schild des Reiches 46, 50
Steinzeichen – Schatten der Ahnen 25-43
Aventurischer Bote 104 15, 23-25
Des Elfenkönigs Zaubermacht 9(20), 12-13(40), 20(78), 42(191), 45(207)
Mit Wissen und Willen 197
Mutterliebe 13
Sturmgeboren 126, insbesondere "Flammen und Wogen" 76ff.

Weiterführende Links:
Einen Eintrag zum Neunaugensee gibt es auch hier.