Einsichten und Absichten

Selber Tag, selber Ort

Sie betraten die Schenke und zu Lanzelinds Zufriedenheit wurden sie mit gebührendem Respekt, ja sogar Eifer, in Empfang genommen. Alinja hatte sich suchend umgeblickt und ihr Mund sich unzufrieden verzogen, als an dem von ihr präferierten Tisch schon jemand saß. Der Tisch stand an derselben Wand, in der die Haustür war, die Bank stand unmittelbar vor der Wand. Linkerhand war ein kleines Butzenglasfenster und die Bank auf der anderen Tischseite war mit einer Hohen Lehne versehen. Von dort hatte man den ganzen Schankraum im Blick und konnte sicher sein, dass sich niemand unbemerkt näherte.

Der Wirt hatte ihren Blick bemerkt und war sofort zu der Frau getreten, die dort saß und einige Pergamentrollen miteinander verglich, derweil sie wohl auf ihr Essen wartete. Sie führten eine geraunte Unterhaltung und die Frau räumte den Tisch mit einer ehrerbietigen Verbeugung vor Alinja und einem freundlichen Nicken für Lanzelind.

Die Schwertschwester dankte dem Wirt und auch der Frau und nahm das Angebot gern an. Sie bestellte zwei große Humpen heißen Würzweins, einen Krug Wasser und von dem Braten aus der Rinderschulter mit Schmorgemüse und frischem Brot, den der Wirt so ausführlich anpries. Alinja hatte sich noch nicht ihres Namensschwerts entledigt, um es griffbereit neben sich zu stellen, da war der Würzwein schon da und auch das frische Brot nebst Schmalztiegel und einer winzigen Schüssel voller Salz. Der Braten würde noch etwas dauern, entschuldigte sich der Wirt und das mache auch gar nichts, entgegnete Alinja, man habe ohnehin noch etwas zu besprechen. Sie setzten sich und Alinja umschloss den irdenen Becher mit beiden Händen.

„Nein, müssen sie nicht“, antwortete sie auf die vor gut einem Viertel Wassermaß gestellte Frage Lanzelinds. „Eine Rondrageweihte muss und darf nichts dulden, was sie beleidigt, die Ehre der Herrin oder die ihre angreift. Wenn du dich – sobald du die Weihe hast – von einem Bruder in Praios beleidigt fühlst, musst du dir das nicht gefallen lassen“, erklärte sie bedächtig und sah Lanzelind dabei ernst in die Augen.

„Warum also habe ich dem Praioraner erlaubt, so mit mir zu sprechen? Ganz einfach, Lanzelind: Ich selbst kenne den Wert meiner Ehre. NUR ich selbst und Rondra und so kann auch nur ich selbst entscheiden, ob sie besudelt wurde oder nicht. Kennst Du den Lehrsatz, wonach es die Eiche nicht schert, wenn eine Sau sich an ihr schubbert?“ Alinja lächelte andeutungsweise. „Meine Ehre ist diese Eiche und alles andere kannst du dir denken, nicht wahr? Ich weiß, dass es schwer sein muss, das jetzt anzunehmen. Ich weiß, dass die Empörung, das Gefühl der erlittenen Ungerechtigkeit heiß in dir brennt und Recht so. Es ist dieses Feuer, das dich wachsen lässt und das auch in mir brennt es, aber stetiger und ruhiger, nun.“

Vorsichtig nippte sie an ihrem Wein und leiser fuhr sie fort. „Dieser Hensgar ist ein Fanatiker, Lanzelind, und nicht der Erste, dem ich begegne. Fanatiker sind wie Bullen, die gereizt wurden, nur mit dem Unterschied, dass sie es immer sind, dass sie nie vernünftig werden, sie Argumenten der Vernunft nie folgen können. Einmal in Rage geraten, bringt einen Bullen nichts von seinem Ziel ab, er rennt sich eher den Schädel ein, als nachzugeben und so sind Fanatiker, so argumentieren und verdrehen sie. Hast du es nicht gehört, wie er meine Worte verdreht hat? Oh, glaube mir, ich hätte diesem Kerl einiges zu sagen gehabt, doch nur zu dem Nutzen, dass jedes meiner Widerworte weitere, größere Beleidigungen gezeitigt hätte. Solche, die selbst mich aus der Fassung gebracht hätten und dann?“

Alinja betrachtete Lanzelind. „Er ist nicht satisfaktionsfähig, ein Kampf nach den Regeln der Ehre nicht möglich, weil er mir nicht gewachsen ist. Wie also hätten wir herausfinden sollen – für alle sichtbar – wer von uns im Recht ist? Er hätte einen Stellvertreter benennen können, was ich wiederum hätte ablehnen müssen, weil es nicht akzeptabel ist. Ich hätte mich anpassen und ebenfalls brüllen können oder etwas in der Art.“ Kurz sann sie nach und schüttelte dann entschieden den Kopf.

„Das ist nicht mein Weg, das ist etwas für Dummköpfe, die den Mangel an Recht mit Lautstärke kompensieren, das habe ich nicht nötig. Als wie hierher kamen, hatte ich ein Ziel, Lanzelind. Ich wollte Antworten und die habe ich erhalten. Hensgar, so eifrig darum bemüht, mich aus der Reserve zu locken, hat mir mehr enthüllt, als er vermutet. Ich kenne seine Einstellung nun und darum kann ich agieren und meine Züge setzen. Das da im Praiostempel war nichts als ein Duell, Tochter, eins mit Worten und ja, ich habe defensiv gekämpft, um seine Lücken zu erspüren. Das habe ich und ich werde die Erkenntnis so nutzen, dass selbst der dümmste Sichelwachter, der dümmste und fanatischste Praiot das verstehen wird. Denn“, sie lächelte und zeigte ihre Zähne, „der Sinnspruch deiner Großmutter ist mir wohlbekannt und ich würde es mir nie verzeihen, wenn nicht auch der Blödeste den Sinn hinter meinem Tun erkennen könnte. Zumindest in dem, was ich nun vorhabe.“

Sie hielt kurz inne und meinte dann: „So lass ihn doch feiern, diesen kleinen Mann, es gibt kaum ein befriedigenderes Gefühl, als einem Gegner eine Siegesfeier zu verderben. Soll er sich noch eine Weile in der vermeintlichen Gewissheit sonnen, es einer Rondrianerin so richtig gezeigt zu haben. Er wird bemerken, dass er seinem Ziel, uns auf den uns gebührenden zweiten Platz zu verweisen, keinen Schritt näher gekommen ist, im Gegenteil. Er wird erkennen müssen, dass selbst die geschwächte Kirche Rondras besser in der Lage ist, ihre Vorherrschaft in Weiden zu behaupten als die Kirche des Lichts mit all ihren Reichtümern, die ihr doch nicht dabei helfen, uns diesen prominenten Platz streitig zu machen. Er wird es bemerken. Bald, Lanzelind, und dann werde ich feiern, im Geiste und mit einem Tanz zu Rondras Ehren. Denn noch etwas hat dieser Praiot vergessen: Demut und dafür wird er bezahlen, eher früher als später.“

Nachdem Alinja geendet hatte, hing Lanzelind eine ganze Weile lang schweigend ihren Gedanken nach. Hinter der Stirn des Mädchens schien ein wahrer Sturm zu toben. Die Legatin meinte genau erkennen zu können, wie ihre Schwerttochter die vernünftigen und gelassenen Worte mit dem in Einklang zu bringen versuchte, was sie empfand, und wie sie an dieser Aufgabe scheiterte – vorerst jedenfalls. Leise seufzend griff Lanzelind schließlich nach ihrem Becher, spülte mit einem großen Schluck ihren Zorn herunter und richtete den Blick dann wieder auf Alinja.

„Ich fürchte meine Ehre ist nicht groß genug, als dass sie sich an einer Sau nicht stören würde“, mit einer unsicheren Geste strich sie sich ein paar tiefschwarze Haarsträhnen aus der Stirn und räusperte sich leise. „Ich hätt ja sogar Angst, dass die Sau sie ganz umknickt, wenn sie sich nur mit vollem Gewicht dagegen lehnt. Noch dazu bin ich wohl eher wie einer von diesen Stiere, die Ihr erwähnt habt. Wenn man mich reizt, dann renn ich mir den Schädel ein. Und ich bin schnell gereizt. Das ist wohl der Fluch meines Blutes ... . Nachgeben ist nicht grad die Stärke der Rauhenecks.“ Sie bedachte Alinja mit einem verlegenen Lächeln und kratzte sich dann noch einmal am Kopf.

„Wär ich Ihr gewesen, dann hätt ich diesem Fanatiker ganz bestimmt meine Meinung gegeigt und dabei alles nur noch schlimmer gemacht. Vielleicht nicht, indem ich rumgebrüllt hätte ... nicht in dem Tempel da. Aber ich hätt das alles nicht auf mir sitzen lassen. Ich kanns nicht ertragen, wenn mich jemand ... respektlos ... behandelt. Ich glaub nämlich eigentlich nicht, dass ich das verdient habe. Und Ihr schon mal gar nicht. Und weil ich’s nicht ertragen kann, geh ich immer gleich in die Luft. Ich fürchte, ich hab nicht Eure Geduld und ganz bestimmt auch nicht die gleiche Weitsicht wie Ihr.“ Sie seufzte resigniert und trank dann noch ein paar große Schlucke von dem Würzwein.

Die Bornische lachte leise. „Das ist den Jahren geschuldet, die uns trennen, Lanzelind. Das Leben lehrt einen Geduld und mit der Erfahrung kommt die Weitsicht, die die Gelassenheit am Zügel führt.“ Sie musterte ihr Gegenüber und wurde wieder ernst. „Man sollte nur bekämpfen, was man kennt. Und je besser man es kennt desto klüger kann man streiten. Darum war ich hier und bin nun klüger. Genau darum kannst du auch den Fluch deines Blutes wehren oder damit beginnen, dich gegen ihn aufzulehnen. Es ist dein Ziel, Herrin deiner selbst zu sein, nicht nur als Kämpferin mit dem Schwert, nein auch – oder vor allem – im Geiste. Du musst lernen, dich zu beherrschen und damit auch die Wut in dir. Oder zumindest lernen zu erkennen, wann du dich der Wut hingeben darfst und wann sie sich deinem Geist unterzuordnen hat. Du stehst noch am Anfang und wir gehen diesen Weg gemeinsam: Du wirst es lernen!“

Nachdenklich drehte Alinja den Korb mit dem Brot einmal um seine Achse und lehnte sich dann zurück. „Doch mich deucht, wichtiger sind einstweilen Lektionen in Fragen der Ehre, denn mir missfällt außerordentlich, dass du die deine klein nennst, schwach, biegsam. Zugegeben: Du bist jung, ein unbeschriebener Schild, weswegen du auch Skutigera geheißen wirst. Du sollst dich dessen stets erinnern. Der Schild – rein und blank – mag leer sein, er ist dennoch vorhanden und jeder Verteidigung wert, Lanzelind! Für unsereins ist die Ehre gleich nach der Seele unser kostbarstes Gut. Verlieren wir sie, hat das auch Auswirkungen auf die Reinheit unsrer Seele und darum darfst du nie wieder so etwas sagen, Tochter, denn wie willst du verteidigen, was du selbst gering schätzt?" Alinja wirkte viel eher betroffen, als ärgerlich. Sie runzelte die Stirn, als sie Lanzelind fest in die Augen sah. „Also: Wieso sprichst du so? Erklär es mir, denn Stolz hast du, und Trotz noch mehr.“

„Ich weiß nicht“, die Worte der Novizin klangen nicht sehr überzeugend und sie schien sich dessen bewusst zu sein. Dennoch setzte sie nicht sofort zu einer genaueren Erklärung an, sondern starrte einen Moment lang ins Leere, bevor sie mit einer raschen Geste eine der Brotscheiben aus dem Korb fischte, den Alinja vor sich auf dem Tisch hin und her schob. „Aber ich glaub, dass man seine Ehre umso verbissener verteidigt, je weniger man sich ihrer sicher ist.“ Mit einer trotzig anmutenden Geste brach Lanzelind ihr Brot und schob sich einen kleinen Happen davon in den Mund.

„Ich bin viel jünger als Ihr, Ehrwürden, das habt Ihr selbst grad gesagt. Ich hab nicht Eure Geduld, ich hab nicht Eure Weitsicht und ich bin mir Meiner nicht sicher. Wie könnt ich da behaupten, dass meine Ehre stark und fest wie eine Eiche wär? Das käm mir arg vermessen vor“, sie lächelte schief, „Wenn sich an meinem Stamm eine Sau schubbert, dann bringt mich das ins Wanken. So ist das halt einfach. Es macht mich zornig, weil ... weil es mir Angst macht. Aber das heißt ja nicht, dass ich nicht sofort zur Verteidigung schreiten würde. Das mach ich schon.“ Die junge Rauheneck hielt inne, um ihrer Schwertmutter einen vorsichtigen Blick zuzuwerfen. „Vielleicht ist es dann ja nicht ganz so schlimm ... mit mir ... ?!“

Alinja musterte Lanzelind sorgsam, dann nahm sie die Hände vom Brotkorb und schob ihr den Schmalztiegel zu. „Schlimm? Woher denn?! Deine Anlagen sind offenkundig. Der Ruf, der Dich erreichte, gellt laut. Schlimm ganz sicher nicht, Lanzelind.“ Wieder musterte sie das Mädchen. „Schwierig, aber nicht aussichtslos hätte meine Schwertmutter jetzt gesagt und mich deucht, sie muss es wissen.“ Alinja lächelte hintergründig und etwas wehmütig.

„Bis wir wieder zu Hause sind ...“, andächtig unterbrach sie sich und schmeckte dem Klang dieser beiden Worte lächelnd nach, „ … werde ich dir vornehmlich von der Ehre berichten. Von den unterschiedlichen Formen, die es gibt, wie man sie erkennt und – wichtig – wie man sie pflegt. Darüber wirst du die deine erkennen und ich denke, dir deiner bald auch sicherer werden. Es ist gut, dass du die Angst kennst, Tochter, doch wir müssen daran arbeiten, was dich ängstigt. Ebenso wie wir am Fokus deiner Wut arbeiten müssen. Doch verzage nicht, du bist erst ein Jahr Novizin und wenige Monde in meiner Obhut: Wir haben Zeit, jede Zeit, die es braucht, aus dir das Schwert zu machen, das die Herrin in dir sieht.“ Die Schwertschwester lächelte warm und voller Zuversicht.

„Hm ... danke, Hochwürden.“ Lanzelind nahm den Tiegel entgegen und begann sofort damit, ihr Eckchen Brot sorgfältig mit Schmalz zu bestreichen. Währenddessen schien sie sich die Worte Alinjas noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und beendete die Denkarbeit schließlich mit einem schweren Seufzen. „Ja, das ist wahrscheinlich sehr gut Idee“, die Miene der kleinen Rauheneck wirkte etwas beklommen, als sie das sagte, „Ich werd mir das ... gern anhören. Ich habe da sicher noch viel zu lernen.“ Sie legte ihr Messer beiseite und warf einen nachdenklichen Blick auf ihr Brot. „Was heißt das denn, ‚der Fokus meiner Wut‘? Was meint Ihr damit?"

„Ah nun, Wut ist eine Waffe, kann eine Waffe sein. Eine brachiale, wie eine Ochsenherde, oder eine filigrane, präzise wie ein schlankes Langschwert. Von der nadeldünnen Präzision einer Stichwaffe will ich hier nicht reden, denn die kann in die Irre führen. Schau, du kannst mit einem Schwert voller Wildheit angreifen und hoffen, dass deine Kraft mit deiner Wut mithalten kann und dein Gegner eben nicht. Hältst du es so, ist deine Wut ohne Richtung, nur darauf gezielt, sich zu entladen, sie ist ohne Fokus. Du musst lernen, einen solchen zu finden, deine Wut anzunehmen, aber in Bahnen zu lenken, in denen sie dir nutzt und vor allem: nicht nur dir. Zuvörderst muss sie immer der Herrin nutzen! Eigennutz ist frevelhaft, einer Frau, die ihre Seele Rondra weiht, unwürdig.“

Alinja stützte einen Ellbogen auf und hob den Becher für einen langen Schluck an ihren Mund. „Nehmen wir zum Beispiel Hensgar. Ich bin ziemlich wütend auf ihn, unbenommen. Allerdings muss ich mir die Frage stellen: Warum? Hat er mich beleidigt? Er hat es versucht und das auch noch sehr offensichtlich, was mir wiederum nur ein höhnisches Lächeln“, sie demonstrierte es, „abringen kann. Wichtiger für mich ist, dass er die Kirche der Herrin angegriffen hat und dieser bin ich Stimme, Ohr und Zunge. Jede Geweihte ist das. Diesen Angriff, diesem Anklang der Beleidigung muss ich begegnen und dafür muss ich meiner Wut eine Richtung geben, die Kraft, die darin liegt, nutzen. Weißt du wie ich das tue, was ich vorhabe?“

Lanzelind schüttelte kauend den Kopf und Alinja schob ihr mit das Salz zu.

„Ich überlege, was Hensgar wohl ähnlich ärgern würde, wie mich seine Worte. Zweifellos denkt er, er habe mir die Überlegenheit seines Kults ausreichend demonstriert. Ich hingegen denke mir, dass die Macht einer Kirche auch aus ihren Gläubigen kommt und Gläubige sind nicht nur Menschen, die wir schröpfen, damit unsere Hallen in silbern und rot erglänzen, deren Zehnt uns den Pelz einbringt, der uns jetzt wärmt. Nein, Gläubige sind die, die wir anleiten und“, sie beugte sich vor, „Wichtiger: die wir schützen! Immer, jederzeit, egal, wie es uns dabei geht. Du hast gesehen, wie wenige wir noch sind, wie leer unsere Kassen sind. Und? Wir sind und genau das ist unsere Stärke! Ich habe mich also daran erinnert, dass in Baliho, auf meinem Schreibtisch das Gesuch einer Edlen aus der Sichelwacht liegt. Sie bittet um die Unterstützung der Kirche beim Bau eines Wehrtempels.“

Alinja lehnte sich wieder zurück und schlug ein Bein über. „Nun, das ist ein Projekt, das schwierig werden dürfte, denn wir haben nur wenige Geweihte und ... wie gesagt ... wenig Gold. Und in diese Bahn presse ich nun meine Wut: Dieser Tempel muss gebaut und besetzt werden! Hier in der Sichelwacht, denn was für ein Zeichen setzen wir damit?! Ich werde all meine Kraft brauchen, einen würdigen Geweihten zu finden, Spenden einzutreiben, Bauarbeiter zu rekrutieren und dergleichen mehr. Aber wie sehr wird Hensgar wüten, wenn er von einem weiteren Rondratempel erfährt, der in seiner Sichelwacht entsteht? Und wichtiger: Die Gläubigen werden in ihrer Treue belohnt, gestärkt und das bindet sie noch stärker an uns, bestärkt sie in ihrem Vertrauen auf Rondra und ihren Schwertbund. Niemals wird Hensgar dieses Band zerschneiden können, wenn wir so handeln und er dem nur mit Hetztiraden und Schmähung entgegentritt. Denn indem er uns beleidigt, beleidigt er ja auch die, die uns folgen, eh?“ Alinja lächelte schmal.

„Zuletzt gewinnen wir und das ist das Wichtigste von allem: Die Herrin gewinnt ein weiteres Haus, in dem man sie preist und in dem Seelen den Weg zu ihr finden können. Das meine ich mit fokussieren, denn du wirst lernen, dass der Lohn zielgerichteter, kontrollierter Wut eine ungleich größere Zufriedenheit beschert, als die hohle Befriedigung, die nur die Wut des Augenblicks kühlt, die Verletzung deiner Ehre aber nicht heilen kann und eine andere, gefährlich Wut in dir glimmen lässt.“

Hernach saß Lanzelind lange Zeit einfach nur schweigend da. Sie maß ihre Schwertmutter mit aufmerksamem Blick und schien sich alles, was eben gesagt worden war, noch einmal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen. Nicht ganz so gründlich, wie sie auf ihrem Brot herumkaute, aber immerhin. Erst als die Stille sich in eine zusehends unangenehme Länge zog, als Alinja sich schon fragte, ob dies vielleicht die einzige Reaktion auf ihre Erklärung bleiben sollte, und als von der Brotscheibe der jungen Rauheneck fast schon nichts mehr übrig war, gab diese ein leises „Hum“ von sich und griff nach dem Salz.

„Na gut ... so habe ich das Ganze noch nicht betrachtet. Aber das ergibt natürlich Sinn. Sicher tatsächlich viel mehr, als einem derart uneinsichtigen Menschen den Hosenboden strammziehen zu wollen“, mit erstaunlicher Akribie streute sie eine sehr bescheidene Menge Salz auf ihr Brot und blickte Alinja dann wieder ins Gesicht. „Allerdings glaub ich nicht, dass ich von selbst auf so was gekommen wär.“ Sie lächelte verlegen und steckte sich dann den Rest ihres Brotes in den Mund. Nachdem sie aufgekaut hatte, hob die Schwerttochter Alinjas fragend die Brauen. „Und was ist das für ein Gesuch? Von was für einer Edlen kommt das? Würde dieser Tempel denn in der Nähe von Salthel gebaut? Wär ja schön, wenn wir Hensgar einen Teil seiner Sichelwacht ganz in seiner Nähe abjagen könnten. Wobei ... ich glaub, unser Praetor tut mir jetzt schon leid. Ein bisschen wenigstens.“

Alinja lachte leise. „Das Schöne ist ja, dass wir ihm nichts abjagen müssen. Rondra ist die Herrin über dieses Land, hoch verehrt und innig geliebt. Wir müssen nur dafür sorgen, dass das auch genau so bleibt. Das ist meine Aufgabe, das wird die deine sein. Salthel … du bringst mich auf eine Idee, aber darüber muss ich erst nachdenken, ehe ich weitere Worte darüber verliere.“ Nachdenklich blickte sie in die Flamme der Kerze, die ihren Tisch erhellte, ein seltsamer Glanz legte sich auf ihr Auge.

„Das Gesuch hingegen kommt aus… “, kurz runzelte sie die Stirn, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, „… Rotenforst, heißt das Lehen. Direkt an der Grenze zum Bornland. Warte, der Name der Edlen fällt mir auch gleich wieder ein. Sie hat ein einprägsames Wappen, auf Silber ein Adlerflug in rot, sehr erhaben. Ah ja, von Lhandroval war der Name der Familie. Es ist ziemlich weit weg von Salthel, aber in einem Bereich der von den Goblins stark bedroht wird. Vor allem darum habe ich das Gesuch nicht längst abschlägig beschieden. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich die Mittel auftreiben soll, aber ich sagte ja schon, mein Zorn wird mir die Kraft geben, einen Weg zu finden.“

Mit dem Ausdruck höchster Konzentration auf ihren Zügen verfolgte Lanzelind das wechselhafte Mienenspiel der Schwertmutter. Sie schien sehr interessiert daran, auf was für eine Idee ihre Worte die Legatin wohl gebracht haben mochten – getraute sich aber nicht, direkt danach zu fragen. Stattdessen schlug sie ihren Blick nieder, als der seltsame Glanz sich auf Alinjas Auge legte, und starrte sinnend auf den Brotkorb, alldieweil sie mit den Fingerspitzen über den Rand ihres halbleeren Tonkruges hinweg fuhr.

Erst als die Hochgeweihte den Namen der Baronie nannte, aus der das Gesuch nach dem Bau eines neuen Rondratempels gekommen war, hob die kleine Rauheneck den Kopf wieder und sah ihr Gegenüber fragend an. „Aus Rotenforst?“, ihre Augen funkelten begeistert, alldieweil sie sich breit lächelnd in ihrem Stuhl zurechtsetzte. „Wirklich? Das ist doch die Baronie, aus der meine Verwandten kommen, oder etwa nicht? Vielleicht können die ja auch ein bisschen was zum Bau Eures Tempels beisteuern? Schließlich sind ein paar von ihnen rondragläubig ... irgendwie ... mein ich jedenfalls ... .“ Lanzelind runzelte die Stirn und kratzte sich mit einer fahrigen Geste am Kinn. „Ich könnt ja mal mit ihnen darüber reden ... ihnen schreiben ... . Oder hättet Ihr da was gegen, Hochwürden?“

Die Hochgeweihte lachte leise. „Natürlich nicht, wie käme ich dazu, Lanzelind? Das ist ja wirklich eine Überraschung, ausgerechnet in dieser Baronie lebt also der Weidener Zweig deiner Familie? Welch seltsame Windungen die Wege der Göttin zuweilen doch offenbaren. Du kannst deinen Verwandten gern einen Brief schreiben, sobald ich der Edlen von Erdsang geantwortet habe und schreibe ihnen ruhig auch in meinem Namen, dass jedwede Hilfeleistung mehr als nur willkommen ist.“

„Ja, genau. In Rotenforst. Da haben sie wohl schon immer gelebt. Ich glaub auch, dass sie da eine Burg haben. Oder eine Festung ... oder so. Was Altes jedenfalls. Das hat Firnfee mir erzählt, als sie in Rommilys gewesen ist“, Lanzelind nickte bestätigend und lächelte Alinja dann schüchtern zu. „Ich werd ihnen ganz bestimmt einen Brief schreiben. Ihr müsst mir nur sagen, wann ich das machen soll. Ich schreib ihnen was ... und ich bin mir ganz sicher, dass sie der Kirche Rondras gern beim Bau eines Tempels helfen werden.“ Abermals nickte die junge Rauheneck und griff dann – ihrem Verlangen schließlich doch noch unterliegend – nach einer weiteren Scheibe Brot.

Ehe sie die Scheibe mit Schmalz bestreichen konnte, kam der Wirt schwer beladen aus der Küche und auf direktem Weg zu ihrem Tisch. Er schleppte einen großen und tiefen, ovalen Teller, in dem – auf einem Bett geschmorten Gemüses – ein großes Stück gerösteten Fleisches thronte. Mühsam setzte er den Teller zwischen Lanzelind und Alinja und bemühte sich darum, dies so sanft wie möglich zu bewerkstelligen. Eine Magd folgte ihm nach und deckte den Tisch eilends mit Holztellern sowie eisernen Gabeln und Messern ein.

„Wohlschmecken, Travias Segen und einen guten Appetit“, murmelten beide, ehe sie sich mit einer Verbeugung zurückzogen.

„Travias Dank“, entgegnete Alinja uns beugte ihrerseits das Haupt.

Der Rinderbraten duftete verführerisch und auch das Gemüse – Rüben, Kohl und kleine Zwiebeln – sah ungemein appetitlich aus. Alinja überließ Lanzelind das Auftun, entband sie aber von der Pflicht, dies im Stehen zu tun. „Für dieses Mal! Auch wenn du einst Priesterin sein wirst, sollst du Benimm und Anstand lernen, gerade wie ein Ritter und dazu gehört auch, dass du höher stehenden Personen ein Mahl auftun kannst, wie es sich ziemt“, bemerkte sie sachlich.

Als beide Teller mit je einer dicken Scheibe Fleisch beladen waren, rezitierte Alinja ein leises Dankgebet zu Travias Ehren und wünschte Lanzelind dann einen guten Appetit. Die Hochgeweihte selbst aß langsam, voller Genuss und da es sich – wie Lanzelind wusste – nicht gehörte, dass sie selbst länger aß, als ihre Schwertmutter, war sie dankbar, dass Alinja dies tat, denn so konnte sie ihren Hunger in aller Gemütsruhe stillen und dem köstlichen Mahl ausführlich frönen.